Und es bewegt sich doch etwas

Es ist ein ver­reg­ne­ter Frei­tag­mit­tag, an dem ich durch die Gänge der Uni schlei­che. Zwi­schen zwei alten oran­ge­far­be­nen Fahr­stuhl­tü­ren fällt mir ein strah­lend weißer Zettel auf. “Wie kann ich etwas an meiner Uni bewe­gen?” fragte er.

Ich über­lege kurz und gehe zu dem nicht weit ent­fern­ten Raum, auf den noch hin­ge­wie­sen wird. Hinter der Tür sehe ich weit und breit nur graue Pull­over und blasse Gesich­ter sitzen. Trotz­dem über­rascht mich eine unge­ahnte Spannung. 

“Wie kann ich etwas an meiner Uni bewegen?”

“Pro Blatt 5 Cent? Die haben uns vor voll­endete Tat­sa­chen gestellt! Wieso wußte keiner etwas davon?” regt sich einer mit Bart und viel zu großem Pull­over auf. Man erzählt mir, dass die Infor­ma­tik­stu­den­ten früher hun­dert Seiten im Monat kos­ten­los aus­dru­cken durf­ten. Seit dem Win­ter­se­mes­ter 0203 jedoch hat eine Kopier­dienst-Firma ihre Dru­cker in den Infor­ma­tik­räu­men auf­ge­stellt. Um diese zu bedie­nen, braucht man eine Chip­karte. In ihrer eige­nen News­group berat­schlag­ten die ver­är­ger­ten Stu­den­ten dann, was zu tun sei und orga­ni­sier­ten mit Hilfe des Wis­sen­schaft­li­chen Mit­ar­bei­ters Gunnar Schrö­ter dieses Treffen.

“Wieso regt ihr euch so auf? Wo wart ihr, als die Fakul­täts­rat­sit­zung über die Dru­cker-Umstel­lung ent­schie­den hat? Ich habe keinen ein­zi­gen stu­den­ti­schen Ver­tre­ter gese­hen”, erzählt Gunnar. “Wieso soll ich mich als Wis­sen­schaft­li­cher Mit­ar­bei­ter dann für die Belange der Stu­den­ten ein­set­zen?” Die Infor­ma­ti­ker haben sehr wenig stu­den­ti­sche Ver­tre­ter. Nur drei Stu­den­ten halten momen­tan noch die Infor­ma­ti­ker-Initia­tive am Leben, doch jeder von ihnen steht bereits am Ende seines Stu­di­ums. Jochen Kleu­cker ist einer von ihnen. “Wieso kommt nicht mal jemand von euch zu unse­rer Ini-Sit­zung, wenn ihr euch so für die Uni-Poli­tik inter­es­siert?” fragt er, worauf sich sogleich ein auf­ge­brach­ter junger Stu­dent meldet: “Ich wollte ja kommen. Aber dann las ich auf eurer Home­page, dass ihr femi­nis­tisch und links­ra­di­kal seid. Das hat mich abgeschreckt.” 

Andere wissen gar nicht, was eine Initia­tive ist und welche Gre­mien es über­haupt gibt. Der wis­sen­schaft­li­che Assis­tent Stef­fen Merk­ler erklärt es ihnen gerne, sowohl theo­re­tisch als auch an der Tafel. Und es wird klar, dass eigent­lich in jedem ent­schei­dungs­be­fug­ten Gre­mium die Pro­fes­so­ren mehr Stim­men haben als die Stu­den­ten. Die Zuhö­ren­den fragen sich, wie so etwas mög­lich sein kann. “Es gibt viel mehr Stu­den­ten als Pro­fes­so­ren! Wo bleibt da die Demo­kra­tie?” Nach Gunnar gibt es nur zwei Mög­lich­kei­ten: “Ent­we­der man sträubt sich, oder man nutzt wenigs­tens die Rechte, die einem gege­ben sind, ob unde­mo­kra­tisch oder nicht. Ich habe mich für die zweite Vari­ante ent­schie­den.” Er grinst die Stu­den­ten fröh­lich an, und man merkt, wie er sie immer stär­ker für die zweite Vari­ante begeis­tern kann. Sie wollen wenigs­tens irgend­was verändern.

“Es gibt viel mehr Stu­den­ten als Pro­fes­so­ren! Wo bleibt da die Demokratie?” 

Die zwei Infor­ma­ti­ker Timo Glaser und Thomas Kaschwig ver­fol­gen schon die ganze Zeit auf­merk­sam das Gesche­hen. Sie sitzen vorne und ver­su­chen nun, die Dis­kus­sion zu leiten. Sie sehen das Haupt­pro­blem für feh­len­des Enga­ge­ment und nied­rige stu­den­ti­sche Wahl­be­tei­li­gung bei den Gre­mien-Wahlen in der schlech­ten Wei­ter­lei­tung von Infor­ma­tion. “Wer weiß denn schon, wann und wo welche Beschlüsse gefaßt werden? Viele Sit­zun­gen sind öffent­lich. Trotz­dem geht keiner hin”, fragt Timo Glaser. Viel­leicht ist eine Home­page mit allen Infor­ma­tio­nen zu Gre­mien, Beschlüs­sen und Wahlen eine Lösung? Sie freuen sich: “Das dürfte für uns tech­nisch gese­hen kein Pro­blem sein!” Aber wo bleibt das Uni-poli­ti­sche Enga­ge­ment? Andert­halb Stun­den sind ver­gan­gen, die Zuhö­rer packen ihre Taschen. “Leute, wenn Ihr jetzt weg­rennt, ist alles ver­lo­ren”, warnt Thomas Kaschwig. Schnell ver­ab­re­den sie sich für eine Woche später, selbe Zeit, selber Ort.

Der weiße Zettel hängt nicht mehr aus, und hinter der Tür finde ich nur noch ein Vier­tel der Stu­den­ten vom letz­ten Frei­tag vor. “Wer sind wir eigent­lich?” fragen sie sich. Wieder fallen mir die grauen Pull­over auf. Sie brau­chen Ziele. Defi­ni­tio­nen. “Im Gegen­satz zur alten Ini möchte ich mich nicht an eine poli­ti­sche Rich­tung binden”, betont Thomas. Dem stim­men die meis­ten zu. Ein ande­rer möchte sich für wirk­lich demo­kra­ti­sche Gre­mien ein­set­zen. Außer­dem möch­ten sie für alle Stu­den­ten ihrer Fakul­tät offen sein. Doch das wich­tigste Ziel ist — da sind sich alle einig — die Lehre zu ver­bes­sern. Am 27. Novem­ber 2002 sind die nächs­ten Gre­mien-Wahlen. Thomas Kaschwig sagt: “Bis dahin müssen wir noch Nägel mit Köpfen machen. In wel­cher Form ist noch unklar — aber wir werden uns aufstellen.”