Was nun?

Es scheint zum Natu­rell des Poli­ti­kers zu gehö­ren, Ein­falls­reich­tum und trick­rei­ches Han­deln erst dann an den Tag zu legen, wenn man mit dem Rücken zur Wand steht. Dieser Tage zeigt sich dieses Ver­hal­ten wieder einmal in seiner Best­form in Berlin.

Berlin ist pleite. Soweit nichts neues aus der Bun­des­haupt­stadt, ist der durch poli­ti­sche Fehl­spe­ku­la­tio­nen und Miss­wirt­schaf­ten ent­stan­dene finan­zi­ell mise­ra­ble Zustand Ber­lins doch all­ge­mein bekannt. ‘Was nun?‘ frag­ten sich da einige Herren aus der Lan­des­re­gie­rung. Steu­er­erhö­hun­gen als All­heil­mit­tel der Finanz­loch­stop­fung kamen nicht in Frage, würde der Unmut inner­halb der Bevöl­ke­rung nur ins Uner­mess­li­che stei­gen und die schon not­lei­dende Wirt­schaft wei­ter­hin am Hun­ger­tuch der Rezen­sion nagen. Nun greift also der gewiefte Poli­ti­ker in die Trick­kiste, zeigt nie vor­han­dene Krea­ti­vi­tät, et voilá, eine Umge­hungs­mög­lich­keit zeigt sich auf. Nach lang­sa­men, fast zärt­li­chen Ver­su­chen des Finanz­mi­nis­ters Sar­ra­zin, den Ber­li­nern sein neues Lieb­lings­wort Stu­di­en­ge­büh­ren schmack­haft zu machen, zeigen seine Bemü­hun­gen nun Wir­kung. Große Schlag­zei­len, Titel­sei­ten und pro­mi­nente Unter­stüt­zer wie Wowe­reit lassen seinen Stern am Ber­li­ner Himmel auf­ge­hen. Der Tabu­bruch ist geschafft, die Dis­kus­sio­nen ent­facht und die unter­schied­li­chen Posi­tio­nen aus Wirt­schaft, Hoch­schul­lei­tung und Stu­den­ten zeigen, dass Bewe­gung in die Sache gekom­men ist.

Mit Thesen, dass jeder seinen Bei­trag zum Sparen leis­ten muss, das Stu­dium durch Gebüh­ren effi­zi­en­ter wird und Eltern und Stu­den­ten den Betrag auf­brin­gen können, ohne dass die soziale Kluft größer wird, baut Sar­ra­zin eine Argu­men­ta­ti­ons­lo­gik auf, in der sich seine Kon­tra­hen­ten zu ver­stri­cken drohen. Wäh­rend näm­lich die Wirt­schaft eine Stu­di­en­platz­len­kung zwar kri­tisch beäugt und keine Dis­kri­mi­nie­rung der Geis­tes- und Sozi­al­wis­sen­schaf­ten for­dert, findet sie mit Sar­ra­zin im Wunsch nach kür­zere Stu­di­en­zei­ten und jün­gere Absol­ven­ten zusam­men. Und die Hoch­schu­len schla­gen zwar momen­tan auf die Pauke, aber nicht wegen der gefor­der­ten Gebüh­ren, son­dern wegen der mög­li­chen Ver­wen­dung. Ein gefähr­li­cher Spagat, gibt doch Sarrazin‘s Spre­cher an, dass sämt­li­che Ein­nah­men nur im Zusam­men­hang mit der Haus­halts­de­batte zu sehen sind. Einzig die Stu­den­ten­schaft mobi­li­siert gegen Sar­ra­zin, doch stellt gerade diese für ihn keine Gefahr dar, gelten Stu­den­ten heut­zu­tage doch eher als Belas­tung anstatt kul­tu­relle Zukunft. Es läuft, und schon schei­nen sich par­tei­über­grei­fende Alli­an­zen zu bilden. Wäh­rend einige Länder Gebüh­ren für Lang­zeit­stu­den­ten ver­lan­gen oder vor­be­rei­ten und Bayern, Baden Würt­tem­berg, Sach­sen und Ham­burg eine Klage zur Stu­di­en­ge­büh­ren­ein­füh­rung für das Erst­stu­dium vor­be­rei­ten, schla­gen Uni­ons­po­li­ti­ker wie Sozi­al­de­mo­kra­ten den glei­chen Ton an. Der Stein ist ins Rollen gebracht, wer kann ihn noch aufhalten?

Es gibt aller­dings einige Haken, die der Finanz­mi­nis­ter in seinen Sta­tis­ti­ken und Über­le­gun­gen nicht berück­sich­tigt hat. Stim­men denn seine Thesen über­haupt? Zunächst gilt noch das Hoch­schul­rah­men­ge­setz, das Gebüh­ren auf ein Erst­stu­dium ver­bie­ten. Trotz­dem fällt schon heute Stu­den­ten ein effi­zi­en­tes Stu­dium schwer, auch wenn der Wille vor­han­den ist. Ange­sichts über­füll­ter Semi­nare und schlech­ter Aus­stat­tung ver­lie­ren viele Stu­den­ten früh­zei­tig die anfäng­li­che Moti­va­tion. Was ist an einem Semi­nar mit 150 Teil­neh­mern noch ein Seminar?

Die Spar­maß­nah­men der letz­ten Jahre schür­ten diese Pro­ble­ma­tik, wurde doch das Kurs­an­ge­bot und die biblio­the­ka­ri­sche Aus­stat­tung der Ber­li­ner Unis stetig redu­ziert. Ange­sichts dieser Ser­vice­wüste Uni kann man schwer­lich von einem Buhlen um Stu­den­ten und deren effi­zi­en­tem Stu­dium spre­chen. Wie nun aber die Uni­ver­si­tä­ten ihre Qua­li­tät mit weni­ger Geld erhö­hen sollen, beant­wor­tet Herr Sar­ra­zin leider nicht. Genauso wenig beschäf­tigt er sich mit der der­zei­ti­gen Lage der in Berlin leben­den Stu­den­ten. Ein Stu­dium ver­läuft in den sel­tens­ten Fällen grad­li­nig, sind doch Stu­den­ten heut­zu­tage mehr und mehr darauf ange­wie­sen, neben dem wis­sen­schaft­li­chen Stu­dium pra­xis­nahe Bezüge her­zu­stel­len. Hier ein Prak­ti­kum, dort ein außer­uni­ver­si­tä­res Pro­jekt oder uni­in­terne Auf­ga­ben im hoch­schul­po­li­ti­schen Bereich wie dem Asta, und ehe man sich ver­sieht, ist die Regel­stu­di­en­zeit überschritten.

Zudem bedeu­tet die Regel­stu­di­en­zeit eine nor­male 40h-Woche mit Unise­mi­na­ren und deren Vor- und Nach­be­rei­tung. In wel­chen Ver­hält­nis steht dies aller­dings bei mehr als der Hälfte aller Stu­den­ten, die ihr Finanz­loch durch einen Neben­job stop­fen? Wer Eltern besitzt, die bereit­wil­lig alle Uni­ge­büh­ren und Lebens­kos­ten über­neh­men, darf sich zu einer pri­vi­le­gier­ten Min­der­heit zählen. Jobben gehört heut­zu­tage zum Stu­dium dazu, ohne dass es irgend­ein Rah­men­plan der Hoch­schule oder der Poli­tik beinhal­ten. In den meis­ten Fällen können oder wollen Eltern nicht über 25 Jahre oder länger den Gold­esel spie­len. Kinder kosten viel, aber was ist es für ein Zei­chen unse­rer Gesell­schaft, wenn Kinder laut der neu­es­ten Studie des Sta­tis­ti­schen Lan­des­am­tes den Haupt­fak­tor für Armut dar­stel­len? Wie bewer­tet man ange­sichts sol­cher Zahlen Wolf­gang Schäub­les Worte, es sei gerecht, dass Eltern, die für einen Kin­der­gar­ten­platz zahlen, eben auch für einen Stu­di­en­platz zahlen sollen? Wie ordnet man Kanz­ler Schrö­ders Worte in die Stu­di­en­ge­büh­ren­dis­kus­sion ein, ein eltern­un­ab­hän­gi­ges Kin­der­geld sei nicht mög­lich, weil Eltern dieses Geld in ihrer fami­li­el­len Finanz­pla­nung berück­sich­tigt hätten? Und die Kinder? Abhän­gig von der finan­zi­el­len Belast­bar­keit der Eltern und ihrem Willen stu­diert es sich nicht schnel­ler, son­dern lang­sa­mer und schlech­ter. Bafög ist aber nur in den sel­tens­ten Fällen eine adäquate Lösung.

Und genau hier liegt der Haken in der Dis­kus­sion. Stu­di­en­ge­büh­ren in der zur Zeit dis­ku­tier­ten Form wären für Fami­lien nicht mehr als eine ver­deckte Steuer, um den Lan­des­haus­halt zu fli­cken. Der Sinn der Gebüh­ren, die Lehre an den Mas­sen­u­nis zu ver­bes­sern, wäre ad absur­dum geführt. Stu­den­ten würden nicht schnel­ler fertig, die Situa­tion an den Unis bliebe unver­än­dert schlecht. Statt­des­sen müss­ten Fami­lien tiefer in die Tasche grei­fen oder Stu­den­ten noch mehr neben­her jobben. Der Teu­fels­kreis­lauf macht seinen Weg, denn wen inter­es­siert der Ver­weis auf ein womög­lich über­durch­schnitt­li­ches spä­te­res Gehalt, wenn das Geld wäh­rend des Stu­di­ums ein­fach nicht vor­han­den ist?

Wollte man tat­säch­lich die Lehre auf­wer­ten, so wird man wahr­schein­lich ange­sichts leerer Haus­halts­kas­sen nicht um Gebüh­ren herum kommen. Doch dürf­ten diese nur flä­chen­de­ckend in ganz Deutsch­land ein­ge­führt werden und an die Hoch­schu­len direkt gehen, um die Qua­li­tät tat­säch­lich zu ver­bes­sern. Soll­ten nur ein­zelne Bun­des­län­der Gebüh­ren erhe­ben, wie Berlin es plant, dann würden Stu­den­ten in Massen die Stadt ver­las­sen und ihr das in Deutsch­land ein­zig­ar­tige Flair nehmen. Auch dies kann nicht im Sinne Sarr­zins sein. Und ohne ein eltern­un­ab­hän­gi­ges Bafög und ein System, dass an dem nach dem Stu­dium tat­säch­lich ver­die­nen­den Gehalt ange­gli­chen ist, wird eine all­ge­meine Stu­di­en­ge­bühr nicht mög­lich sein, schreckt man sonst zu viele Stu­den­ten ab und ver­grö­ßert die soziale Kluft bis ins Uner­träg­li­che. Ange­sichts hor­ren­der Arbeits­lo­sen­zah­len ist der Ver­weis auf ein über­durch­schnitt­li­ches Gehalt nunmal deplat­ziert und der Gedanke an die Schuld­ner­be­ra­tung vor dem ersten beruf­li­chen Kar­rie­re­schritt äußerst ent­mu­ti­gend. Noch ist Deutsch­land ein Sozi­al­staat und trägt für seine Bewoh­ner eine Ver­ant­wor­tung, die die Poli­tik nicht leicht­fer­tig weg­wer­fen sollte.

Es gibt also einige Haken in der der­zei­ti­gen Dis­kus­sion um Stu­di­en­ge­büh­ren. Berlin gilt zur Zeit als ein unkal­ku­lier­ba­res Risiko dank eines auf Abwe­gen schlen­dern­den Finanz­mi­nis­ter, der sich plötz­lich für die Kultur- und Wis­sen­schafts­po­li­tik zustän­dig hält. Diese unsach­lich geführte Debatte muss nicht sein. Wer bitte erin­nert die Poli­tik daran?