Zwischen Gebetsruf und Popmusik

Ich glaube, ich habe das Wort “Dop­pel­mo­ral” das erste Mal in Bezug auf Ägyp­ten benutzt. Auf der einen Seite hat der Islam dort in den letz­ten Jahren unheim­lich an Bedeu­tung gewonnen.

Die große Mehr­heit der Frauen trägt wieder Kopf­tuch, die Männer sitzen frei­tags bis auf die Straße vor der Moschee, um der laut nach außen über­tra­ge­nen Pre­digt zu lau­schen. Auf der ande­ren Seite ist das Land durch­drun­gen von west­li­cher Kultur: McDonald’s ist all­ge­gen­wär­tig, auf den Bild­schir­men in den Shop­ping Malls tanzt Shakira halb­nackt und unter den Kopf­tü­chern ist das Make-up per­fekt und die Klei­dung modisch. 

“…unter den Kopf­tü­chern ist das Make-up perfekt”

Mich hat es im letz­ten Winter für drei Monate nach Alex­an­dria ver­schla­gen, nach Kairo die zweit­größte Stadt Ägyp­tens. Schon in den ersten Tagen merkte ich, dass hier Grie­chen und andere Euro­päer völlig aus dem Stadt­bild ver­drängt sind. Und dass man von den zehn Mil­lio­nen Ein­woh­nern nicht viel merkt, son­dern sich fast wie in der Pro­vinz vor­kommt. Ich war vorher schon drei Wochen durchs Land gereist und kannte andere nord­afri­ka­ni­sche Länder — von daher war der Kul­tur­schock nicht allzu groß. 

Ich brannte darauf, eine feste Woh­nung zu haben und den ägyp­ti­schen Alltag kennen zu lernen. Doch die Woh­nungs­su­che läuft dort nur über Mund-zu-Mund-Pro­pa­ganda und Bezie­hun­gen, die ich noch nicht hatte. So musste ich warten, bis die Direk­to­rin des klei­nen pri­va­ten Sprach­cen­ters mir eine Woh­nung per “Vet­tern­wirt­schaft” ver­mit­telt hatte. 

Kris­tin aus Nor­we­gen, meine künf­tige Mit­strei­te­rin im Sprach­kurs, war zum Glück auch als Mit­be­woh­ne­rin ganz ange­nehm. Unser neues Zuhause hatte drei große Zimmer und kos­tete uns alles inklu­sive nur knappe 200 Euro monat­lich. Die Möblie­rung war zwar scheuß­lich — in der lan­des­ty­pi­schen Emp­fangs­halle stand ein neon­grü­nes Sofa mit aus­geb­li­che­nen rosa Blüm­chen, an der Wand hing ein Ölschin­ken mit röh­ren­dem Hirsch — aber dafür sah die Küche freund­lich aus und ver­fügte über eine neu­zeit­li­che Wasch­ma­schine! Antike Modelle zum Wasser-Selbst-Ein­fül­len waren näm­lich keine Sel­ten­heit. Wir hatten sogar TV — leider nur zwei Pro­gramme des staat­li­chen Fern­se­hens — und Tele­fon, für Gesprä­che in die Heimat muss­ten wir jedoch zur Tele­fon­zelle gehen. Das Meer war nur fünf Minu­ten Fußweg ent­fernt und die Stra­ßen­bahn hielt um die Ecke. Diese prägt in Alex das Stadt­bild, ist oft lang­sam und eklig voll, aber noch besser als das Mini­bus-System, das man nie ver­steht. Nun konnte ich mich voller Elan mit den Wider­sprü­chen Alex­an­drias beschäftigen. 

Punkt 1

 

Das Wetter im Winter. Ich habe selten so viele sint­flut­ar­tige Regen­fälle erlebt. Außer­dem hagelte und stürmte es und wir froren schreck­lich. Natür­lich war die Kälte nicht einem deut­schen Winter ver­gleich­bar, es wurden nicht weni­ger als 10 Grad. Aber aus irgend­wel­chen Grün­den gibt es dort kei­ner­lei Hei­zung in den Gebäu­den, und wenn die Raum­tem­pe­ra­tur bei 12 Grad liegt, ist das kein Spaß mehr. Immer, wenn wir kurz vor dem Kauf eines Heiz­lüf­ters waren, strahlte am nächs­ten Tag wieder die Sonne. 

Eklig waren auch die Sand­stürme, wäh­rend derer die Luft sti­ckig und gelb war und man drau­ßen den Sand zwi­schen den Zähnen spürte. Auch nicht ver­ges­sen werden soll­ten aber die vielen milden Tage und dass die Luft nor­ma­ler­weise durch den bestän­di­gen See­wind viel besser war als in Kairo. 

Punkt 2

 

Die Männer. Die schei­nen zwar oft sehr nett Kon­takt zu suchen, doch man kann in 95 Pro­zent der Fälle davon aus­ge­hen, dass er plant, eine Lie­bes­be­zie­hung anzu­fan­gen um so irgend­wann nach Europa zu kommen. Das ist leider kein Scherz, wird von Ägyp­tern bestä­tigt und läuft immer wieder erfolg­reich. Ich war zum Glück durch meinen Schatz zu Hause resis­tent. Aber trotz­dem: Das per­ma­nente Ange­quat­sche und Ange­starre konnte man irgend­wann igno­rie­ren. Bitter aber waren die paar Erleb­nisse, wo ich von puber­tie­ren­den Jungen übelst ange­grapscht bzw. ange­spuckt wurde aus dem ein­zi­gen Grund, dass ich offen­sicht­lich Aus­län­de­rin war. 

“…das per­ma­nente Ange­quat­sche ignorieren”

Manch­mal hatte ich keine Lust mehr, die Woh­nung zu ver­las­sen. Kris­tin fing irgend­wann sogar an, ein Kopf­tuch zu tragen, und berich­tete, der Schutz wäre per­fekt. Aber das wollte ich nicht, denn ich bin keine Mus­lima und habe nie­man­den absicht­lich gereizt — viel­leicht hätte ich meinen Jeans-Hin­tern noch besser umhül­len sollen. Auf der ande­ren Seite gibt es aber auch viele (ver­hei­ra­tete) Ägyp­ter, die sehr hilfs­be­reit sind und keine Gegen­leis­tung verlangen. 

Punkt 3 

Die Spra­che. Mein Pri­vatcen­ter war teuer, schlecht besucht und chao­tisch und wie ich bald wusste, wäre das Sprach­in­sti­tut der Uni­ver­si­tät von Alex besser gewe­sen. Aber die Lehrer waren nett und ich konnte mich nach drei Mona­ten ganz gut in “Ägyp­tisch” ver­stän­di­gen und hatte mein hoch­ara­bi­sches Voka­bu­lar enorm erwei­tert. Zum Glück gab es noch das Goethe-Institut.

Dort fand ich nicht nur deut­sche Lite­ra­tur, um mal wieder ohne sprach­li­che Qualen zu schmö­kern, son­dern auch Freunde. Ich suchte per Aus­hang Tandem-Sprach­part­ner, also Ägypter(innen), die Deutsch lernen — und derer gibt es sehr viele. 

Das war erst mal ein Unter­hal­tungs­fak­tor, denn in den nächs­ten Tagen riefen ca. 50 Männer bei uns an, die mir unbe­dingt “Ara­bisch bei­brin­gen” woll­ten. Aber ich fand so auch Mona und Tamer, mit denen ich in den fol­gen­den Mona­ten viel Zeit ver­brachte. Die beiden haben mir sehr gehol­fen und mir durch Ein­la­dun­gen zu ihren Eltern auch vieles über ägyp­ti­sches Pri­vat­le­ben nahe gebracht. 

Punkt 4 

Das liebe Geld. Nah­rung und Ver­kehrs­mit­tel sind wirk­lich ver­füh­re­risch billig in Ägyp­ten, Klei­dung auch, so dass Shop­ping zur Sucht werden kann — obwohl die Qua­li­tät oft nicht gut ist. Aber das erhär­tet natür­lich ein Vor­ur­teil im Land: Euro­päer haben viel Geld übrig. 

“Demons­tra­tio­nen hatte die ägyp­ti­sche Poli­zei im Griff”

Des­halb wird oft ver­sucht, zu betrü­gen — beson­dere Ner­ven­stärke erfor­dern da die Taxi­fah­rer und manche Händ­ler auf den Souqs, aber selbst unsere Direk­to­rin hatte ihre Tricks mit den Kurs­ge­büh­ren. Tipp dazu: Werden Gebüh­ren in einer “harten” Wäh­rung ange­ge­ben, sollte man sie mög­lichst auch in dieser bezah­len, sonst gibt es später Dis­kus­sio­nen über den “offi­zi­el­len” und den “tat­säch­li­chen” Wechselkurs.

Ich wollte aber nicht zu laut meckern, denn ande­rer­seits bekam ich über­ra­schend ein Sti­pen­dium eines ägyp­ti­schen Minis­te­ri­ums, wodurch ich mit ca. 150 Euro monat­lich drei­mal soviel aus­ge­zahlt bekam wie ein ägyp­ti­sches Arzt­ge­halt. Und meine neuen Freunde woll­ten mich pein­li­cher­weise stän­dig einladen. 

Punkt 5 

Die Frei­zeit. Ich habe einmal pro Woche Aero­bic in einem Spor­ting-Club gemacht, doch die sind recht teuer. Ansons­ten tun dort auch die Ein­hei­mi­schen außer Fla­nie­ren und Shop­pen nicht viel. Und ich muss zuge­ben, dass ich auch viele Stun­den im Cyber-Café und mit Schla­fen ver­bracht habe. Etwas “Hei­mat­ge­fühl” kam auf, als ich andere deut­sche Sprach­stu­den­ten kennen lernte, mit denen ich lus­tige Abende in der “Havanna Bar” ver­lebte — einem der weni­gen Orte in Alex, wo es Alko­hol gibt.

Schließ­lich bin ich an freien Tagen noch viel gereist, zum Bei­spiel mit Tamer zu seiner Fami­lie aufs Land. 

Zum Schluss aber noch was Poli­ti­sches: Viele frag­ten, was ich dort vom Irak-Krieg mit­be­kom­men hätte. Nun, fast nichts, wenn wir nicht die Nach­rich­ten im Inter­net ver­folgt und uns besorgte Anrufe aus Deutsch­land bzw. Nor­we­gen erreicht hätten. Demons­tra­tio­nen hatte die ägyp­ti­sche Poli­zei im Griff, des­halb fanden sie in Alex auch nur inner­halb des Unige­län­des statt. Nur einmal war mir mulmig zumute, als ich abends alleine in einer Ein­kaufs­straße an einer Kund­ge­bung mit der Parole “Allahu akbar min imrika” (Gott ist größer als Ame­rika) vorbeikam. 

Und dann waren da noch die besorg­ten Fragen von Taxi­fah­rern nach der Natio­na­li­tät, die auf die Ant­wort “Alma­niya” immer erleich­tert lächelten. 

Deut­lich war bei meinen ägyp­ti­schen Freun­den die Wut über das Gesche­hen und die Soli­da­ri­tät mit den “ara­bi­schen Brü­dern und Schwes­tern” im Irak. Meist wuss­ten sie aus Inter­net und Sat-TV über die ver­schie­de­nen Posi­tio­nen im UN-Sicher­heits­rat besser Bescheid als ich. 

Ihre Wut ging einher mit dem Zorn über die eigene Regie­rung und die dazu­ge­hö­rige reiche Füh­rungs­schicht, die alles Geld in die eigene Tasche wirt­schaf­tet und kaum etwas für das Volk tut. Aber Ägyp­ten ist eben voller Widersprüche.

Wei­tere Informationen:

TAFL-Centre (Centre for Tea­ching Arabic as a For­eign Language)

Uni­ver­sity of Alex­an­dria, Faculty of Arts

Chatby — Alexandria

  • Tel.: +20–3 — 48 28 762 (Frau Magda Abou Youssef)
  • Fax: +20–3 — 48 33 088
  • E‑Mail: magdaay@​hotmail.​com
  • Inte­net: www.cairo.daad.de (DAAD-Büros in Kairo)