Auf nach Osteuropa!

Rumä­nien war der Ort, genauer Con­stanza am schwar­zen Meer, an dem sich im Mai dieses Jahres fast 1000 Stu­den­ten aus ganz Europa trafen, um sich gegen­sei­tig kennen zu lernen, Ideen aus­zu­tau­schen und natür­lich, um gemein­sam zu feiern.

Für mich war es nicht das erste Tref­fen mit Stu­den­ten aus ande­ren Länder, doch war dieses Tref­fen ein beson­ders Ereig­nis. Ich erlebte einen euro­päi­schen Spirit — gekenn­zeich­net durch Gemein­sam­kei­ten und Unter­schiede und vor allem durch Vielfalt.

Die Ent­schei­dung, an der dies­jäh­ri­gen Agora des Euro­päi­schen Stu­den­ten­fo­rums Aegee teil­zu­neh­men, fiel spon­tan. Meine Freun­din aus Finn­land, die ich bei einer Aegee-Summer Uni­ver­sity in Ungarn kennen gelernt habe, über­re­dete mich, diese Reise auf mich zu nehmen. Schon die Anreise ver­sprach span­nend zu werden: Nach end­lo­sen Recher­chen im Inter­net nach bil­li­gen Flügen, ergab sich eine Alter­na­tive: Aron und Joseph, Aegee Mit­glie­der aus Buda­pest, boten uns zwei Mit­fahr­ge­le­gen­hei­ten an. Wir ergrif­fen diese Gele­gen­heit und trafen uns in Buda­pest. Das Aben­teuer konnte begin­nen: In einem ver­kehrstüch­ti­gen, aber leider sehr klei­nen Auto, bela­den mit vier Per­so­nen und über­trie­ben viel Gepäck, ging es los.

Die nächt­li­che Bus­fahrt von Berlin nach Buda­pest hatte meinen Körper sehr stra­pa­ziert- ich schlief sofort ein. Erst an der Grenze nach Rumä­nien wachte ich wieder auf mit dem Wissen, dass wir noch viele Kilo­me­ter vor uns hatten. Ohne eine Zwi­schen­über­nach­tung in Rumä­nien war es nicht zu schaf­fen. Freund­lich wurden wir von Aegee Mit­glie­dern in Rumä­nien auf­ge­nom­men, die wir dann für den Rest der Stre­cke im Auto mit­ge­nom­men haben. Zuge­ge­ben: fünf Per­so­nen, 27 Grad, ohne Kli­ma­an­lage — dies war eine Her­aus­for­de­rung. Doch die schöne Land­schaft Trans­sil­va­ni­ens, die Kar­pa­ten, die ursprüng­li­chen Dörfer — dies alles ent­schä­digte für die Anstren­gun­gen, die wir auf uns genom­men haben.

Rumä­nien ist gekenn­zeich­net durch Land­wirt­schaft und Indus­tria­li­sie­rung, neben Autos sieht man immer noch Esel und Pferde als Trans­port­mit­tel. Gleich­zei­tig gibt es moderne Städte, die sich dem Bild west­li­cher Städte annä­hern. Die typi­sche Bau­weise aus kom­mu­nis­ti­schen Zeiten und der rie­sige Palast des Dik­ta­tors Ceau­sescu, der 1991 gestürzt wurde, erin­nert an die Geschichte Rumä­ni­ens. Die Per­spek­tive des Bei­tritts zur Euro­päi­schen Union ist da, es wird aber noch viel Zeit ver­ge­hen, bis der Bei­tritt voll­zo­gen werden kann.

Die Orga­ni­sa­tion der Agora in Con­stanza durch rumä­ni­sche Stu­den­ten, war eine große Chance, um den euro­päi­schen Gedan­ken schon jetzt zusam­men leben zu können. Kurz nach dem Fall der Mauer fiel die Ent­schei­dung, Aegee auch für Stu­den­ten in Ost und Mit­tel­eu­ropa zu öffnen. Nach einer langen Auto­fahrt kamen wir an unse­rem Ziel an: Ich war gespannt auf die kom­men­den vier Tage. Von über­all her hörte ich Wort­fet­zen in den ver­schie­dens­ten Sprachen.

Beim ersten gemein­sa­men Tref­fen aller Teil­neh­mer in der Uni­ver­si­tät von Con­stanza wurden wir vom rumä­ni­schen Bil­dungs­mi­nis­ter begrüßt, der sich sehr freute und uns mit­teilte, dass für die Abend­ver­an­stal­tung Bier gespon­sert wurde. Viele Worte waren nicht not­wen­dig, um sich zu ver­ste­hen und er wünschte uns viel Spaß. Am Abend ging es dann zu einer Strand­party. Die nächs­ten Tage waren ein Mix aus Work­shops, Wahl des Vor­stan­des von Aegee Europa und einer Flut von neuen Infor­ma­tio­nen und neuen Menschen.

Aegee ist eine viel­sei­tige Stu­den­ten­or­ga­ni­sa­tion, gemixt aus Stu­den­ten ver­schie­de­ner Länder und Fach­rich­tun­gen. Mir wurde bewusst, welche Mög­lich­kei­ten sich boten in inter­na­tio­na­len Pro­jek­ten mit­zu­ar­bei­ten und das die jähr­li­chen Summer-Uni­ver­si­tä­ten nicht die ein­zige Mög­lich­keit sind, Aegee zu erle­ben. 1985 wurde das euro­päi­sche Stu­den­ten­fo­rum gegrün­det. Das Netz­werk ver­grö­ßerte sich und heute hat Aegee 17 000 Mit­glie­der an 271 Uni­ver­si­tä­ten in 40 Län­dern. Das Euro­pean Board von Aegee hält die Fäden in der Hand und pflegt vor Ort in Brüs­sel den Kon­takt zu den euro­päi­schen Insti­tu­tio­nen. Unter­stützt wird das Forum als Non-Profit Orga­ni­sa­tion von der Euro­päi­schen Kommission.

Mög­lich­kei­ten zur Mit­be­stim­mung über die Zukunft Euro­pas eröff­nen sich durch den Bera­ter­sta­tus Aegee´s im Euro­päi­schen Rat. So viel­fäl­tig wie Aegee selbst sind auch die Themen: Hoch­schul­bil­dung, Frie­den und Demo­kra­tie, Kul­tur­aus­tausch und der Aufbau eines Netz­wer­kes von Stu­den­ten für Stu­den­ten. Aktiv werden kann jeder: Die Ost- West Arbeit­gruppe, die poli­ti­sche Arbeit­gruppe oder die Arbeits­gruppe, die sich dem Thema der Bil­dung und Mobi­li­tät von Stu­den­ten widmet, sind nur wenige von vielen Mög­lich­kei­ten, sich zu beteiligen.

Ein Aegee Mit­glied fand die pas­sen­den Worte: ” Euro­pean Minded find in Aegee an almost per­fect envi­ron­ment to learn and act as a European”. 

Eine Erfah­rung, die ich nur bestä­ti­gen kann. Man hat das Gefühl, sich als Euro­päer zu fühlen, lernt viele inter­es­sante Men­schen kennen, tauscht Ideen aus, dis­ku­tiert Pro­bleme und das Wich­tigste- man baut Vor­ur­teile ab. Das Ziel Aegees — zu einer offe­nen und tole­rante Zukunfts­ge­sell­schaft bei­zu­tra­gen, wird mit jedem Tref­fen, mit jedem gemein­sa­men Work­shop, mit jeder gemein­sa­men Kon­fe­renz, mit jeder gemein­sa­men Party belebt.

Vor allem bewahrt man sich die Offen­heit, Neues zu ent­de­cken und immer wieder dazu­zu­ler­nen. Es war wohl auch diese Neu­gierde, die uns moti­vierte, wei­tere Kilo­me­ter zurück­zu­le­gen und wei­tere Gren­zen zu über­schrei­ten um Mol­da­wien, das Nach­bar­land Rumä­ni­ens und der Ukraine, kennen zu lernen. Natür­lich nicht ganz allein: Aegee Chi­si­nau- Haupt­stadt Mol­da­wi­ens hatte ein ein­wö­chi­ges Event orga­ni­siert, um uns ihr Land vorzustellen.

Zuge­ge­ben- Mol­da­wien ist ein eher unbe­kann­tes Rei­se­ziel und ohne Aegee hätte es mich auch nicht so schnell dort­hin geführt. Mol­da­wien hat eine sehr bewegte Geschichte hinter sich: Inva­sio­nen mach­ten es zum Spiel­ball ver­schie­de­ner Staa­ten. Die frü­here Sowjet­re­pu­blik wurde 1991 unab­hän­gig. In Mol­da­wien wird neben Mol­da­wisch und Rus­sisch auch Tür­kisch gespro­chen und die Kultur ist eng mit Rumä­nien ver­bun­den. Wie auch in ande­ren Trans­for­ma­ti­ons­län­der gibt es durch unglei­che Ein­kom­mens­ver­tei­lung und Armut große soziale Pro­bleme. Kor­rup­tion und Organ­han­del sind drän­gende Pro­bleme. Die Armut der Men­schen wird aus­ge­nutzt. Sie ver­kau­fen aus der Not heraus ihre Gesund­heit für ein paar Tau­send Euro, um über­le­ben zu können.

Trotz vieler Pro­bleme waren die Men­schen freund­lich und die Stadt Chi­si­nau über­raschte uns mit ihrer Schön­heit. Wir besuch­ten die Uni­ver­si­tät, aßen in der Mensa, schlen­der­ten über den Markt, auf dem die Zeit stehen geblie­ben zu sein schien. Alles konnte hier erwor­ben werden: Klei­dung, selbst­ge­machte Butter, Käse, Haus­halts­wa­ren, Musik, Lebens­mit­tel — sogar leben­dige Hüh­nern. Auch moderne Ein­kaufs­zen­tren mit Läden inter­na­tio­na­ler Marken sind gebaut worden, die sich aber die wenigs­ten mit ihrem gerin­gen Ein­kom­men leis­ten können.

Die Mit­glie­der von Aegee Chi­si­nau haben es nicht nur geschafft, uns von einem Besuch ihres Landes zu über­zeu­gen, son­dern uns auch die Schön­hei­ten zu zeigen. Der Besuch eines tra­di­tio­nel­len Dorfes mit lie­be­voll bemalte Hauser und Brun­nen, die wei­ter­hin genutzt werden, war ein beson­de­res Erlebnis.

Unse­ren Abschieds­abend ver­brach­ten wir in einem tra­di­tio­nel­len Restau­rant bei lecke­rem Essen und viel Wein. Diese gemein­sa­men Tage werden wir nie ver­ges­sen und man hofft, sich irgendwo in Europa wieder zu sehen.

Die ins­ge­samt 3200 Kilo­me­ter mit dem Auto haben sich gelohnt — jeder ein­zelne Kilo­me­ter. Ein Flug wäre beque­mer gewe­sen: doch wir hätten viel weni­ger gese­hen und manch­mal ist der Weg dann doch das Ziel. Die Rei­se­lust und die Neu­gierde auf Ost­eu­ropa ist geweckt worden- wenn ihr auch Lust habt, zu spüren wie sich Europa anfühlt, tut es einfach!