Berlin für Einsteiger

Der Stu­den­ten­run auf Berlin hat begon­nen. Was aber hat die Stadt hinter der Hör­saal- und Mensa-Fas­sade zu bieten? Eine kleine Rundschau.

Berlin ist unter Stu­den­ten momen­tan extrem ange­sagt. Der Berlin Hype ist ange­sichts des Damo­kles­schwerts eines flä­chen­de­cken­den Nume­rus Clau­sus neu ent­facht und hat in diesem Semes­ter für wahre Stu­den­ten­flu­ten gesorgt. Nach ersten Anfangs­tur­bo­len­zen mit Woh­nungs­su­che und Lehr­plan­stu­dium ist nun Ruhe ein­ge­kehrt. Die Fluten haben sich Nester gebaut und wälzen flei­ßig Bücher. Einzig, der gebüh­rende Über­blick auf Ber­lins kul­tu­rel­les Tages- und unter­halt­sa­mes Nacht­le­ben fehlt noch. Was machen Kunst, Lite­ra­tur, Musik, Film in Berlin? Fragen über Fragen, die man alleine ins Blaue hinein oder aber ab jetzt mit bus zusam­men erkun­den kann. An dieser Stelle stel­len wir in jeder Aus­gabe zwei the­ma­ti­sche Schwer­punkte vor, um Euch den Ein­stieg in Berlin abseits von Lese­saal und Büchern ange­nehm zu erleich­tern. Pas­send zur kalten Jah­res­zeit fangen wir in dieser Win­ter­aus­gabe mit Ört­lich­kei­ten an, die Euch zum gemüt­li­chen Ver­wei­len ein­la­den oder Euch gar warm ums Herz werden lassen: der Musik- und Museumsszene.

“Die Musik lebt”

Abseits vom Main­stream der Groß­raum­ver­an­stal­tungs­sze­ne­rie lassen sich beson­ders in Berlin viele kleine Nischen ent­de­cken, die man jedem Musik­lieb­ha­ber ans Herz legen kann. Ob lau­schi­ger Jazz, har­mo­ni­sche Klas­sik oder tief­hän­gen­der Gitarren-Rock’n’Roll, Berlin liegt Euch zu Füßen und bietet eini­ges. Freunde vom Jazz finden ihren gemüt­li­chen Ein­stieg in die Ber­li­ner Szene am besten in der Kreuz­ber­ger Insti­tu­tion Yorck­schlöss­chen. Neben den Platz­hir­schen Qua­si­modo und A Train findet sich im Yorck­schlöss­chen wahres New Orleans Leben wieder. Als Restau­rant, Kneipe, Bier­gar­ten und Live Club kon­zi­piert, hält das Yorck­schlöss­chen seit nun­mehr 100 Jahren unter glei­chen Namen die ber­li­ner Seele hoch und ver­eint seit 1970 unter­schied­lichste Schich­ten in ihrer Liebe nach gutem Jazz. Und wahr­lich, schon beim Betre­ten fühlt man sich in eine andere Zeit zurück­ver­setzt, die Musik lebt. Jeweils Mitt­woch, Sams­tag und Sonn­tag werden die Gehör­gänge mit tra­di­tio­nel­lem Jazz und Swing sowie schwar­zem Rhythm & Blues ver­wöhnt. Ob kleine oder große Größen, ein Besuch lohnt sich in beson­de­rer Hin­sicht immer: Der Ein­tritt ist frei! Bei einem Auf­schlag von 40 Cent pro Getränk kann man viel trin­ken, ehe man den übli­chen Ein­tritts­preis wieder erreicht hat.

“Und immer Mitt­wochs kos­ten­lose Perlen”

Keine 100, dafür aber auch schon gute 51 Jahre hat der Knaack Klub auf dem Buckel. Vom Jugend­club mit Tanz­mög­lich­keit über die Beset­zung des Darm­wä­sche­rei­kel­lers hin zum heu­ti­gen 4. stö­cki­gen Club hat das Knaack eini­ges durch­ge­macht und sich dabei einen kon­kre­ten Namen gemacht. Näm­lich als Portal für junge fri­sche Rock und Punk Bands, die auf dem Weg nach oben sind — oder bei­zei­ten ins Nir­gendwo, denn natür­lich schafft es nicht jeder, den glei­chen Weg wie Ramm­stein, Knor­ka­tor oder den Toten Hosen zu gehen. Aber es gibt sie, die Knaack-Perlen. Und immer mitt­wochs kann man in der Reihe “wide open” kos­ten­los diesen mög­li­chen unbe­kann­ten Perlen lau­schen. Ansons­ten bietet das Knaack unter­schied­li­che Ebenen mit unter­schied­li­chen Kon­zer­tan­schluß­par­ties, damit man ja nicht allzu früh nach Hause kommt.

Eher klei­ner, dafür aber umso feiner, sind dage­gen die Junc­tion Bar und der Scho­ko­la­den, wobei ers­te­res als der Alles­kön­ner zu bezeich­nen ist, findet man schließ­lich auf dem Spiel­plan über Rock/Pop bis hin zu Funk/ Soul alles. Beiden Clubs ist eine unge­mein gemüt­li­che und intime Atmo­sphäre gemein­sam. Ange­sichts der klei­nen Bühnen ist man zwar bei­zei­ten über die Kör­per­akro­ba­tik der Band­mit­glie­der über­rascht, doch der erwünschte direkte Kon­takt zur Band bürgt beson­ders atmo­sphä­ri­sche Vor­teile. Die Inter­ak­tion zwi­schen Publi­kum und Bühne wird in den beiden Clubs groß geschrie­ben und die Stim­mung durch diese Nähe unge­mein gestei­gert. Unver­gess­lich bleibt der Abend mit One­li­ne­drawing im Scho­ko­la­den, als nach dem völlig über­füll­ten Kon­zert Jonah Matranga noch stun­den­lang mit dem Publi­kum beim Bier plau­derte und man gemein­sam die Nacht begoss.

Es findet sich also für jeden ein Platz in der Ber­li­ner Club­szene. Fragt sich nur, wann man da noch zum Lernen kommen mag?

Win­ter­sonn­tage

Es ist ein Sonn­tag in einem der Monate, die auf ‑er enden. Es ist zu kalt, um im Park zu liegen, und drau­ßen Milch­kaf­fee trin­ken ist auch nicht mehr. Was tun? Zum Bei­spiel ins Museum gehen. Das muss nicht unbe­dingt teuer und lang­wei­lig sein, denn das Ange­bot ist viel­fäl­tig. Und in den Museen, die sich unter dem Namen “Staat­li­che Museen zu Berlin” zusam­men­ge­schlos­sen haben, ist der Ein­tritt an jedem ersten Sonn­tag im Monat sogar frei. Auch sonst liegen die Preise für Stu­den­ten fast immer unter fünf Euro.

Auf jeden Fall lohnt sich immer ein Blick ins Inter­net oder in die Stadt­zeit­schrif­ten, um Wan­der­aus­stel­lun­gen, die oft auch kos­ten­los sind, nicht zu ver­pas­sen. An dieser Stelle sollen Museen vor­ge­stellt werden, wo es weder berühmte Werke aus Male­rei und Bild­haue­rei gibt, noch es wie so oft um die Ver­feh­lun­gen der Deut­schen in der Nazi­zeit geht. Museen für etwas andere Stim­mun­gen also, mit Themen, die ange­sichts der vielen — zu Recht — berühm­ten und groß­ar­ti­gen Museen Ber­lins oft untergehen.

Das Museum für Naturkunde

Schön zen­tral in der Inva­li­den­straße 43 gele­gen, lädt das Natur­his­to­ri­sche Museum zu einem spon­ta­nen Besuch ein — für nur zwei Euro. Hier gibt es dann auch mal etwas ande­res als immer nur Gemälde und Skulp­tu­ren. Kaum hat

Presse- und Infor­ma­ti­ons­amt des Landes Berlin/Thies

man die Ein­gangs­halle betre­ten, sieht man sich umge­ben von Ske­let­ten aus­ge­stor­be­ner Tierarten.

Zum Bei­spiel trifft man hier — auf einem Ehren­platz in der Mitte der Halle — auf das welt­weit größte in einem Museum auf­ge­stellte Dino­sau­ri­er­ske­lett, das eines Bra­chio­sau­rus bran­cai, unter einem üppi­gen Glasdach.

Neben der Sau­ri­er­halle bietet das Museum einen Über­blick über die Evo­lu­tion ver­schie­dens­ter Tier­ar­ten. So wird die Theo­rie Dar­wins am Bei­spiel von Mäusen und Schmet­ter­lin­gen in Schau­käs­ten erklärt und zahl­rei­che Dia­gramme, Zeich­nun­gen und auch Texte geben Aus­kunft über die Ent­wick­lung von Säu­ge­tie­ren, Fischen und Vögeln.

Sehr beein­dru­ckend sind die zahl­rei­chen, sehr lie­be­voll und auf­wän­dig gestal­te­ten Diora­men, in denen ver­schie­dene ein­hei­mi­sche und exo­ti­schere Tier­ar­ten in ihrer natür­li­chen Umge­bung dar­ge­stellt sind — tot natür­lich, aber manch­mal glaubt man fast, sie beweg­ten sich auch mal ein wenig.

“Gefähr­li­che, mikro­sko­pisch kleine Monster”

Ein etwas unan­ge­neh­mes Thema hat die Aus­stel­lung, die sich nur noch begrenzte Zeit im Museum für Natur­kunde befin­det — Para­si­ten näm­lich. Nach einem Besuch in diesen Räumen wird man sich die klei­nen Tier­chen, die einem ab und zu zu Hause über den Weg laufen, etwas genauer anschauen, um hof­fent­lich fest­zu­stel­len, dass es keine gefähr­li­chen, mikro­sko­pisch klei­nen Mons­ter sind.

Das Kreuz­berg­mu­seum

Wer sich ein wenig für die Geschichte und die Ent­wick­lung eines der span­nends­ten Bezirke Ber­lins inter­es­siert, der sollte dem Museum in der Adal­bert­straße 95 einen Besuch abstat­ten. Wech­selnde Aus­stel­lun­gen zu allen Themen, die Kreuz­berg, seine Geschichte, seine Men­schen und seine Pro­bleme betref­fen, laden genauso zu einem Besuch ein wie das umfang­rei­che Archiv und die Prä­senz­bi­blio­thek, in denen man sich selbst infor­mie­ren kann.

“Das Leben von Homo­se­xu­el­len im Bezirk von der Kai­ser­zeit bis zur Gegenwart”

Zwei beson­ders inter­es­sante Aus­stel­lun­gen wurden bis zum 11.01.2004 ver­län­gert, zum einen “Von Ande­ren Ufern”, eine umfang­rei­che Samm­lung zum Thema “Lesben und Schwule in Kreuz­berg”, die das Leben von Homo­se­xu­el­len im Bezirk von der Kai­ser­zeit bis zur Gegen­wart beleuch­tet, zum ande­ren eine Aus­stel­lung mit dem viel­ver­spre­chen­den Titel “Geschichte wird gemacht”, die 40 Jahre Stadt­sa­nie­rung und die Pro­test­be­we­gun­gen und Kra­walle rund um das Kott­bus­ser Tor behan­delt. Es müssen also wirk­lich nicht immer nur Gemälde sein.

Björn Trit­sch­ler, Marc Kemper