Berlin für Alle!
Der Rundblick über Berlins Leben geht in die nächste Runde, denn auch in diesem Semester soll nicht nur studiert, sondern gelebt werden. Und dafür bietet sich Berlin wie kaum eine andere Stadt Deutschlands bestens an.
Aus diesem Grund setzt “bus” wie schon in der letzten Ausgabe angekündigt seine Reihe zum Berliner Leben fort, um auch diesmal wieder Neuankömmlingen und Fortgeschrittenen gleichermaßen kleine Berliner Nischen abseits des Massengeschmacks vorzustellen. Nunmehr geht der Ausflug ins Reich des auf Papier geschriebenen Wortes und der auf Celluloid gebannten Geschichten: der Literatur- und Filmszene.
Wörter, die die Welt bedeuten
Lesen, so heißt es, bedeutet sehen. Und sehen wiederum verstehen. Berlin nun lädt auf vielfältigste Art und Weise zum Verstehen ein, entweder alleine oder unter Freunden, auf kleiner oder großer Bühne, literarische Feinheiten trifft man überall in der Stadt. Auch ist der Zugang zur Literatur mannigfaltig, ob übers Lesen, schreiben oder zuhören, das Angebot ist vorhanden. Literatur hat schließlich viele Orte. Einer der historisch wertvollsten und traditionsreichsten ist das LCB, das Literarische Colloquium Berlin, mit seinem Haus am Wannsee. 1963 von Walter Höllerer gegründet etablierte sich das LCB schnell zum zentralen Punkt der deutschsprachigen Literatur, wurde ein Treffpunkt für Autoren, Wissenschaftler und Leser zugleich. Seitdem haben sich Autoren wie Heinrich Böll, Ilse Aichinger oder Günther Grass die Klinke in die Hand gegeben und immer wieder die künstlerische Freiheit eines Raumes ohne Mitgliedsausweis oder ästhetische Normierung genossen. Denn wenn es eins sein wollte, dann der Raum zum Schreiben. Grenzen, politischer oder konventioneller Art, wurden und werden hierbei für die Literatur immer wieder umgestoßen, die Tore am Wannsee stehen jedem offen. Besonders weit sind diese zu den legendären Sommerfesten geöffnet, wenn bei bestem Wetter der riesige Garten am Wannsee genutzt werden kann, um in entspannter Atmosphäre dem Treiben des LCB’s zu frönen.
Und im Keller liest die Berliner Boheme
Weniger etabliert im traditionellen literarischen Kanon Deutschlands, dafür aber umso mehr im Stadtleben kommt das LSD daher. “Liebe Statt Drogen” verbindet Live-Literatur mit Live-Musik mit Live-Berlin. Jeden Dienstag findet um 21:30 Uhr im Café Zosch eine Lesung ungewöhnlicher Art statt. Im Keller des Cafés treten Literaten und Musiker gemeinsam auf, um Kurzgeschichten, Gedichte und Lieder kennerhaft in angenehmer Runde vorzutragen. Junge, frische Literatur aus der Stadt, unkonventionell, beizeiten subtil, mal süffisant, dann aber auch wieder ergreifend, eben abwechslungsreich und oftmals mit einem Späßekin auf den Lippen dargeboten, kommt im LSD als beste Unterhaltung daher. Abseits vom großen literarischen Betrieb frönt so die Berliner Schriftsteller-Boheme ihr Dasein und bereichert das literarische Leben der Stadt. Denn beim lockeren Bierchen sinniert es sich eh am besten.
Beizeiten ein wenig steif, aber freundlich
Nun eher wieder in der konventionellen Literatur verwurzelt findet man das Literaturhaus Berlin in der Nähe des Ku’damms. Seit 1986 residiert das als literarische Veranstaltungsstätte gegründete Literaturhaus in Berlin und lädt mit einem anspruchsvollem Programm Gäste zu internationalen Lesungen, Diskussionen, Vorträgen, Tagungen, Aufführungen und Literaturausstellungen. Seinen Schwerpunkt setzt das Literaturhaus eindeutig im literarisch-wissenschaftlichen Bereich, spiegelt die Geschichte der literarischen Moderne, deren Konflikte in der Zeitgeschichte sowie literaturpolitische und ästhetische Fragen der internationalen Gegenwartsliteratur. Hört sich nach schwerer Kost an, ist aber bei genauer Betrachtung des Programms nicht nur für Germanistikstudenten eine Freude. Vermeintlich große und allzu intellektuelle Themen werden angemessen dargeboten, auch wenn es natürlich nicht bloße Unterhaltung darstellt, ist man schließlich weniger in der Prenzlauer Berg-Boheme als mehr im Charlottenburger Intellektuellen-Zirkel verwurzelt. Aber keine Berührungsängste, Literaten sind freundlich. Beizeiten ein wenig steif, aber bestimmt freundlich.
Weniger hochtrabend, aber nicht minder ambitioniert kommen Tobias Fuchs und Thomas Krämer mit ihrer AG Literaturwissenschaft an der TU Berlin daher. Sie laden Interessenten ein, an ihrer studentischen Zeitschrift mitzuarbeiten. Literarische Werke aller Couleur sind herzlich willkommen, um ein neues literaturwissenschaftliches Forum in der Berliner Studentenlandschaft zu etablieren. Dafür werden noch bis Ende Mai Werke gesammelt. Es ist also noch genug Zeit, seine literarischen Versuche oder wissenschaftlichen Abhandlungen einem größeren Publikum als dem eigenen Ich zu präsentieren.
Wer dagegen weder schreiben noch zuhören mag, sondern einfach nur lesen möchte, dem seien einige der zahlreichen Literaturcafés, die Berlin im Angebot hat, ans Herz gelegt. Im Gas Light Poetry Café beispielsweise liegt Altbekanntes wie Neues griffbereit in Regalen, um sich in Caféambiente durch die vielfältigen Genres zu stöbern. Auch Eggers Landwehr verfolgt das Prinzip der lesenden Gemütlichkeit, dient allerdings das Café auch gleich als Buchladen für den gleichnamigen Verlag. Mit diesen Synergieeffekten erhofft man eine neuartige Plattform für junge Autoren zu schaffen und das Interesse der Cafébesucher mit Neuerscheinungen zu wecken. Denn bei heißer Schokolade mit Sahne in atmosphärischer Umgebung schaut man gern in das ein oder andere Buch hinein, liest es sich so schließlich bestens.
Kleinode des erlesenen Filmgeschmacks
Wem nun aber Bücher zur Abwechslung weniger gefallen, dem sei die Berliner Kinoszenerie ans Herz gelegt. Es gibt schließlich Tage, da geht einfach gar nichts mehr. Hausarbeiten, Referate, Protokolle, die Bücher türmen sich auf dem Schreibtisch, das leere Blatt war nie so blütenweiß. Da hilft nur eines: Raus! Ab ins Kino! Aber in welches? Folgend vorgestellte “Arthouse”-Kinos seien dem geplagten Studenten unbedingt ans Herz gelegt.
Es gibt sie noch, diese Kleinode des erlesenen Filmgeschmacks. Sorgsam gepflegte Biotope inmitten eines Sumpfes aus Multiplexen und Cubixen — die “Arthouse” Kinos in Berlin: Das Eiszeit Kino in Kreuzberg und das Kino Acud in Mitte zeigen Filme, die man sonst gar nicht oder nicht mehr sehen kann.
Gegründet vor über 15 Jahren ist das Eiszeit Kino in der Zeughofstraße 20 einer der letzten Überlebenden der Berliner Off-Kinoszene aus der stürmischen Zeit der Hausbesetzer und “Das Kannst Du Auch”-Bewegung. In zwei Kinosälen kann man hier europäische, arabische, asiatische Filme in der Originalfassung mit Untertiteln sehen, insbesondere türkische Filme sind beinahe täglich im Programm.
Um ins Kino Acud zu gelangen, muss man bald nicht mehr das vierte Stockwerk des Hauses in der Veteranenstraße 21 erklimmen. Die Eröffnung des neuen Kinos an derselben Stelle im zweiten Stock des frisch sanierten Hinterhauses steht in Kürze an. Ein gleichsam niedrigeres Niveau des Kinoprogramms ist jedoch auch dann nicht zu erwarten. Dieses wird nämlich weiterhin von Dagmar Kaczor gestaltet, derer großartigen Auswahl es zu verdanken ist, das das Acud seit 1994 beinahe jährlich für sein “hervorragendes Jahresfilmprogramm” vom Beauftragten der Bundesregierung für Angelegenheiten der Kultur und Medien prämiert wurde. Neben spannenden Filmreihen mit rar gesäten filmischen Leckerbissen ist das Acud außerdem maßgeblich an kleineren und größeren Filmfestivals beteiligt. Wer also das finnische Filmfestival “Moi Suomi” im März diesen Jahres leider schon verpasst hat, dem sei das “british independent Filmfestival – Brit Spotting” ans Herz gelegt (6. — 12. Mai) und natürlich das globalisierungskritische Filmfestival “globale04” im Dezember. Wie bei der “globale03” im vergangenen Jahr bereits erfolgreich erprobt, werden Acud und Eiszeit wieder miteinander kooperieren und mehr als 50 spannende internationale Dokumentationen und Spielfilme zu Themen wie GATS, WTO und IWF, Macht der Finanzmärkte, Migration, Ressourcen und Umwelt zeigen.
Und weil das Acud neben einem Kino auch noch ein Café und einen Club beherbergt, kann man dort nach entspanntem Filmgenuss auch gleich noch das Tanzbein schwingen. Und natürlich die Hausarbeiten, Referate und leeren weißen Blätter vergessen.
Anja Gossens, Björn Tritschler