Der Bachelor geht um!

Die Rede ist dabei aber dies­mal nicht von einem schmie­ri­gen Lai­en­dar­stel­ler auf einem bekann­ten Pri­vat­sen­der, der vor medi­ter­ran-gedie­ge­ner Kulisse hei­rats­wil­li­gen Frauen vor­gau­kelt, eine gute Partie zu sein.

Nein, der “Bache­lor” ist neben “Elite” eines der Schlag­wör­ter in der Dis­kus­sion um die deut­sche Bil­dungs­mi­sere. Seit eini­gen Jahren schon wird die Inter­na­tio­na­li­sie­rung der Stu­di­en­gänge gefor­dert (“What the f*** is a Magis­ter?!”), und seit der so genann­ten “Bolo­gna-Erklä­rung” der euro­päi­schen Bil­dungs­mi­nis­ter vor 5 Jahren zur Schaf­fung eines ein­heit­li­chen “euro­päi­schen Hoch­schul­raums” wird damit an vielen deut­schen Hoch­schu­len auch Ernst gemacht. Bis zum Jahr 2010 sollen alle Stu­di­en­gänge modu­la­ri­siert und auf ein Leis­tungs­punk­te­sys­tem umge­stellt werden, d.h., es werden die aus dem angel­säch­si­schen Raum bekann­ten Abschlüsse Bache­lor (BA) und Master (MA) ein­ge­führt. Diese sollen pra­xis­nä­her, kürzer und besser ver­gleich­bar sein.

In Berlin/Brandenburg war man schon flei­ßig: Die FU bspw. bietet der­zeit bereits 13 BAs und 10 MAs an, die TU 9 MAs und die Uni Pots­dam 5 BAs und 10 MAs. Das Ange­bot reicht von Urban Manage­ment über Ita­lian Stu­dies bis hin zu Poly­mer Sci­ence. Aber was genau unter­schei­det die neuen Stu­di­en­gänge von “den Alten”?

Zunächst einmal gibt es keine punk­tu­el­len Prü­fun­gen mehr. Bis­lang sam­melte man häufig eifrig Scheine an, um sich dann für eine Prü­fung (Zwischenprüfung/Vordiplom bzw. Magisterprüfung/Diplomprüfung) zu qua­li­fi­zie­ren. Alles kam dann auf diese eine Prü­fung an, ob man zuvor nur Einsen oder nur Vierer gemacht hatte, war uner­heb­lich. So konnte es gut sein, dass der Eins­er­kan­di­dat einen schlech­ten Tag erwischte und dann mit einem eher durch­schnitt­li­chen Abschluss von der Uni ging.

In den neuen Stu­di­en­gän­gen werden statt­des­sen alle Leis­tun­gen zusam­men­ge­zählt, die großen Prü­fun­gen ent­fal­len. So soll am Ende eine reprä­sen­ta­ti­vere Gesamt­note ent­ste­hen. Vor allem aber hoffen die Unis, dass die Abbre­cher­quo­ten gesenkt werden können. Denn nicht wenige Stu­die­rende werden ein­fach des­halb nie fertig, weil sie zu große Angst vor den Prü­fun­gen (ent­wi­ckelt) haben.

Stu­den­ten sollen bereits nach drei Jahren den (berufs­qua­li­fi­zie­ren­den) Abschluss in der Hand halten, der Master dauert ein bis zwei Jahre länger.

“Bis zum Jahr 2010 sollen alle Stu­di­en­gänge modu­la­ri­siert werden.”

Zum “kon­se­quen­ten Stu­dium” wird man dabei auf unter­schied­li­che Weise angehalten:

Am Anfang seines Stu­di­ums erhält jeder Stu­die­rende eine feste Anzahl so genann­ter Beleg­punkte, mit denen er Kurse bele­gen kann. Die Beleg­punkte sind also ein kost­ba­res Gut, und man über­legt sich somit sehr viel genauer, wel­chen Kurs man belegt oder ob man einen Kurs ein­fach “sausen” lässt. Besucht man den Kurs erfolg­reich, gibt’s dafür Leis­tungs­punkte, wobei ein Kurs ebenso viele Beleg­punkte kostet, wie man mit ihm Leis­tungs­punkte erwer­ben kann. Die Anzahl der Leis­tungs­punkte, die man bekom­men kann, vari­iert mit dem Zeit­auf­wand für den jewei­li­gen Kurs. Für Vor­le­sun­gen gibt es zwei, für Semi­nare mit “nor­ma­lem” Zeit­auf­wand vier, und bei beson­ders zeit­in­ten­si­ven Semi­na­ren bis zu acht Punkte. Bei einem drei­jäh­ri­gen Stu­dium sind in der Regel 180 Leis­tungs­punkte anzusammeln.

Neben Beleg- und Leis­tungs­punk­ten gibt es zusätz­lich noch so genannte Malus­punkte – schon der Name allein ver­spricht nichts Gutes. Von der Uni wird eine Höchst­grenze für Malus­punkte fest­ge­legt (z. B. fünf). Sobald dieses Limit erreicht ist, wird gna­den­los exmatrikuliert! 

Einen Malus­punkt erhält man, wenn man einen Kurs nicht erfolg­reich besucht, also z. B. durch eine Klau­sur fällt. Was erst­mal irgend­wie gemein klingt, ist dabei sogar noch eine Kulanz­re­ge­lung der Uni­ver­si­tä­ten: Denn nach dem Gesetz soll es den Stu­die­ren­den nur einmal erlaubt werden, eine Prü­fung zu machen. Mit dem Malus­punk­te­sys­tem ermög­licht die Uni den Stu­die­ren­den aber, den­noch Prü­fun­gen zu wie­der­ho­len – aller­dings nicht mehr so oft, wie das noch in den her­kömm­li­chen Stu­di­en­gän­gen mög­lich ist. Zusätz­lich werden Malus­punkte ver­ge­ben, wenn vom Stu­die­ren­den pro Semes­ter nicht eine gewisse Summe von Leis­tungs­punk­ten erwor­ben wird. An der FU z. B. müssen inner­halb von zwei auf­ein­an­der fol­gen­den Semes­tern ins­ge­samt min­des­tens 30 Punkte gemacht werden. Bleibt man unter dieser Grenze, gibt es 2 Malus­punkte. Diese Rege­lung macht vielen Stu­die­ren­den auf den ersten Blick Angst. Wie soll man bei solch einer stren­gen Stu­di­en­ord­nung noch neben­her arbei­ten? Tat­säch­lich ist es jedoch so, dass sich auch unter diesen Umstän­den das Stu­dium stre­cken lässt. Wer immer am unte­ren Limit der Kurs­be­le­gung bleibt, kann sein Stu­dium theo­re­tisch sogar auf bis zu 12 Semes­ter dehnen. Die Zeiten aber, in denen man ganze Semes­ter nur mit Selbst­fin­dung, durch­fei­er­ten Näch­ten oder Lie­bes­kum­mer ver­brin­gen konnte, sind defi­ni­tiv vorbei.

Das zweite Cha­rak­te­ris­ti­kum des Bache­lors neben dem Leis­tungs­punk­te­sys­tem ist die Modu­la­ri­sie­rung. Das Stu­dium besteht zumeist aus Basis- und Wahl­pflicht­mo­du­len. Diese Module bestehen aus meh­re­ren the­ma­tisch zusam­men­hän­gen­den Lehr­ver­an­stal­tun­gen, die im All­ge­mei­nen auch in auf­ein­an­der fol­gen­den Semes­tern ange­bo­ten werden. Die Ein­füh­rung von Modu­len dient der bes­se­ren Ver­gleich­bar­keit und soll so z. B. den Wech­sel an eine andere (euro­päi­sche) Hoch­schule erleichtern.

Schöne neue (Uni-)Welt also? Nicht ganz. Viele der neuen Stu­di­en­gänge haben noch diverse Kin­der­krank­hei­ten. Da werden Ver­an­stal­tun­gen nicht ange­bo­ten, die die Erst­se­mes­ter aber eigent­lich besu­chen müss­ten, um auf ihre Leis­tungs­punkte kommen zu können. Oder die Kurse der ein­zel­nen Module werden nicht in der rich­ti­gen Rei­hen­folge ange­bo­ten. Fast alle Hoch­schu­len müssen auf­grund der dra­ma­ti­schen Haus­halts­lage gleich­zei­tig sparen, umstruk­tu­rie­ren und die neuen Stu­di­en­gänge ein­füh­ren. Diplom‑, Magis­ter- und Bache­lor­stu­die­rende müssen häufig noch par­al­lel betreut werden, doch fehlen dazu oft die Kapa­zi­tä­ten. Ande­rer­seits erscheint es unfair, von Magis­ter- oder Diplom­stu­den­ten im Semi­nar das glei­che zu erwar­ten wie von Bache­lor­stu­den­ten, da sie über­dies ja auch noch die her­kömm­li­chen Prü­fun­gen able­gen müssen. So sind Pro­fes­so­ren und Mit­ar­bei­ter oft über­for­dert und wissen selbst nicht genau, wie alles laufen soll.

Die Start­phase der Bache­lor­stu­di­en­gänge ist daher vie­ler­orts noch eine Test­phase, sehr zum Unmut der betrof­fe­nen Stu­die­ren­den. Die FU hat alle neu ein­ge­führ­ten Stu­di­en­gänge vor­erst auf drei Jahre befris­tet, um sie dann zu eva­lu­ie­ren, und die Uni Pots­dam wartet auch erst einmal ab, bevor sie die Akkre­di­tie­rung beantragt.

An vielen Insti­tu­ten regt sich auch immer noch Wider­stand gegen die neuen Stu­di­en­gänge. So sind vor allem viele Natur­wis­sen­schaft­ler der Mei­nung, dass man nun einmal fünf Jahre braucht, um ein gut aus­ge­bil­de­ter Wis­sen­schaft­ler zu sein. Da schwingt eine Befürch­tung mit, die auch einige Stu­di­en­an­fän­ger teilen: Werden Bache­lor­ab­sol­ven­ten am Ende nur als “Schmal­spur­aka­de­mi­ker” belä­chelt, denen nie­mand etwas zutraut?

“Die Start­phase ist vie­ler­orts noch Testphase”

Kritik kommt außer­dem von den Stu­den­ten­gre­mien: Durch das Leis­tungs­punkt­sys­tem und die Modu­la­ri­sie­rung werde das Stu­dium zu stark ein­ge­engt. Zum einen würde die jet­zige Semi­nar­viel­falt deut­lich redu­ziert, weil Semi­nare, die nicht direkt beruf­lich ver­wert­bar sind, weg­ra­tio­na­li­siert würden. Zum ande­ren sei “nach links und rechts gucken” und viel­leicht als Geo­lo­gie­stu­dent mal eine Poli­tik­vor­le­sung besu­chen – ein­fach aus Inter­esse – nicht mehr möglich. 

Ins­ge­samt wird eine “Ent­wis­sen­schaft­li­chung” des Stu­di­ums gefürch­tet, und viele fragen sich, wes­halb in einem Land wie Deutsch­land, das mit seinem dualen System (Berufs­schule und betrieb­li­che Aus­bil­dung) sehr dif­fe­ren­zierte Aus­bil­dungs­mög­lich­kei­ten lie­fert, nun auch noch das Stu­dium dem “Fetisch der Pra­xis­nähe” unter­wor­fen werden muss.

Hier mag die Ver­mu­tung nahe liegen, dass man durch die Ver­kür­zung der Stu­di­en­zei­ten ein­fach die Stu­die­ren­den schnel­ler los­wer­den will, um Kosten zu senken… 

Auch für den wis­sen­schaft­li­chen Nach­wuchs könnte die Umstel­lung Folgen haben. Von der Pro­mo­tion ist man nun zwei Abschlüsse ent­fernt. Eine andere oft geäu­ßerte Befürch­tung kann an dieser Stelle aller­dings zer­streut werden: BAföG gibt es auch wei­ter­hin, und zwar sowohl für den Bache­lor- als auch für den Mas­ter­stu­di­en­gang. Vor­aus­set­zung hier­für ist, dass es sich um so genannte kon­se­ku­tive (also auf­ein­an­der auf­bau­ende) Stu­di­en­gänge han­delt. Eine För­de­rung für einen Mas­ter­stu­di­en­gang ist nur dann nicht mehr mög­lich, wenn man bereits einen ande­ren als einen Bache­lor­ab­schluss hat, sprich Magis­ter oder Diplom.

Was werden die neuen Stu­di­en­gänge also brin­gen? Zum jet­zi­gen Zeit­punkt lässt sich dar­über noch nichts Genaues sagen. Sie sind ein Expe­ri­ment, das nicht mehr rück­gän­gig gemacht werden kann. Bleibt nur zu hoffen, dass sie die erwünsch­ten Effekte erbrin­gen können und die Kri­ti­ker unrecht haben — sonst müssen die neuen Absol­ven­ten mit ihrem Abschluss sich am Ende doch noch bei der ein­gangs erwähn­ten Show ver­din­gen, um ihren Lebens­un­ter­halt zu verdienen…