Politik als Lebensaufgabe

Hans-Chris­tian Strö­bele, der erste Direkt­kan­di­dat der Grünen in Friedrichshain/Kreuzberg über seinen Weg in die Poli­tik, Elite-Unis, seine Moti­va­tion nicht auf­zu­ge­ben und die Fas­zi­na­tion der Stadt Berlin im Gespräch mit bus.

bus: Herr Strö­bele, im Jahre 2002 gelang es Ihnen, Direkt­kan­di­dat für den Wahl­kreis Friedrichshain/Kreuzberg zu werden. Ein großer Erfolg, auch wenn viele dies nicht für mög­lich gehal­ten haben. Wie kam es eigent­lich zu der Ent­schei­dung, in die Poli­tik zu gehen?
Strö­bele:
Ich habe außer Jura auch Poli­tik stu­diert, doch anfangs war ich noch nicht poli­tisch aktiv, son­dern eher ein Beob­ach­ter. Dies änderte sich mit der Stu­den­tin­nen­re­volte, ins­be­son­dere mit dem 2. Juni 1967, als der Stu­dent Benno Ohnes­org erschos­sen wurde. Aus­lö­ser für mein Enga­ge­ment war das Foto einer blut­über­ström­ten Frau auf der ersten Seite der BZ am Tag nach der Demons­tra­tion unter der Schlag­zeile: Getrof­fen von einem Pflas­ter­stein. Die Wahr­heit war ganz anders: Poli­zei­knüp­pel hatten die Frau ver­letzt. Die Unge­rech­tig­keit war offen­sicht­lich. Ich musste mich ein­mi­schen. Ich habe als Ver­tei­di­ger in Straf­pro­zes­sen ange­klag­ten Stu­den­ten gehol­fen oder als Anwalt, als sie von der Uni flie­gen soll­ten. Bis heute bin ich als poli­ti­scher Anwalt eine Art „Zwit­ter“, ver­binde juris­ti­sche Hilfe mit poli­ti­scher Einmischung. 

bus: Was mögen Sie an ihrem Job als Poli­ti­ker?
S.:
Ich arbeite als Poli­ti­ker in dem Bereich, in dem ich Jahr­zehnte als Straf­ver­tei­di­ger tätig war. Da kann ich Gesetze mit­ge­stal­ten, die ich immer poli­ti­sche kri­ti­siert habe, aber anwen­den musste. Das hat seinen Reiz. Ich kann beim „Ent­sen­de­ge­setz“ darauf achten, dass nur der Bun­des­tag deut­sche Sol­da­ten ins Aus­land schi­cken kann. Das Geld, dass ich als Poli­ti­ker erhalte, ist nicht meine Moti­va­tion. Als Anwalt könnte ich genug ver­die­nen. Die Aner­ken­nung für meine Arbeit, die klei­nen Erfolge in der poli­ti­schen Aus­ein­an­der­set­zung, die wirken wie ein Jungbrunnen. 

bus: Wie gehen Sie mit Nie­der­la­gen um?
S.:
Nach Nie­der­la­gen bin ich sauer. Das zeige ich auch. Die Ent­täu­schung kann und will ich nicht ver­ber­gen. Das hilft, wieder auf die Beine zu kommen und weiter zu machen. 

bus: Sie haben bei der Abstim­mung im Bun­des­tag gegen den Krieg gestimmt und scheuen nicht den Kon­flikt mit der eige­nen Partei. Wie finden Sie die Balance zwi­schen Anpas­sung an die Par­tei­li­nie und der Treue zu Ihren Idea­len?
S.:
Oft scheine ich der „Par­tei­en­ab­weich­ler“, dabei ist es umge­kehrt. Ich bin es, der sich an das gel­tende Pro­gramm der Grünen gehal­ten hat. Dort hieß es, dass „Krieg keine Option ist, um poli­ti­sche oder gesell­schaft­li­che Pro­bleme zu lösen“. Meine Abstim­mung gegen den Krieg ent­sprach dem. Die ande­ren, die zuge­stimmt haben, waren also die „Abweich­ler“, die Dis­si­den­ten. Die Kriegs­be­tei­li­gung war falsch, grund­ge­setz- und völkerrechtswidrig. 

bus: Herr Strö­bele, Sie waren bei der Bun­des­wehr, dies hat mich sehr über­rascht.
S.:
Damals war ich noch nicht poli­tisch enga­giert. Mein Inter­esse für Recht und Gerech­tig­keit war schon da. Ich habe mir ein Gesetz­buch gekauft und Kame­ra­den in Rechts­fra­gen bera­ten – übri­gens als Abitu­ri­ent auch mal beim Schrei­ben von Lie­bes­brie­fen. Ich wurde zum „Ver­trau­ens­mann“ gewählt, eine Art Per­so­nal­rat bei der Bun­des­wehr. Ich habe die Beför­de­rung zum Gefrei­ten abge­lehnt. Im Wehr­ge­setz hatte ich einen Para­gra­phen gele­sen, der die Ableh­nung der Beför­de­rung vor­sieht. Darauf habe ich mich beru­fen, um auf eine Unge­rech­tig­keit auf­merk­sam zu machen. Das war bis dahin nie vor­ge­kom­men. Die ganze schöne Sol­da­ten­ord­nung geriet durch­ein­an­der. Ich musste mich zum Rap­port beim Kom­man­deur melden. (Wäh­rend er diese Epi­sode erzählt, schmun­zelt er). 

bus: Was hat Sie wäh­rend Ihrer Stu­di­en­zeit in Berlin und Hei­del­berg geprägt?
S.:
Ich habe Poli­to­lo­gie und Jura stu­diert, erst in Hei­del­berg und ab 1961 in Berlin. Der beson­dere Reiz der Stadt hat mich nicht los­ge­las­sen. Ich wollte sogar in Poli­to­lo­gie pro­mo­vie­ren. Das Thema war was mit „Bol­sche­wi­sie­rung“, aber irgend­wie kam mir der Dok­tor­va­ter abhan­den. Poli­tik hat mich immer interessiert. 

bus: Hatten Sie die Mög­lich­keit, Stu­den­ten aus ande­ren Län­dern kennen zu lernen?
S.:
Nein, jeden­falls nicht näher. Und die Mög­lich­keit eines Aus­lands­se­mes­ters war damals nicht in Reich­weite. Ich rate allen Stu­den­ten, solche Chan­cen zu nutzen. Gerade im Fach Jura ist es heute unver­zicht­bar, sich mit aus­län­di­schem Recht, z.B EU- Recht zu beschäf­ti­gen und andere Spra­chen zu lernen. Wir haben des­halb extra die Juris­ten­aus­bil­dung neu definiert. 

bus: Die Shell-Jugend­stu­die aus dem Jahre 2000 stellt fest: „Das poli­ti­sche Inter­esse auf Seiten der Jugend­li­chen sinkt weiter“. Dies trifft auch auf das poli­ti­sche Enga­ge­ment von Stu­den­ten zu. Was unter­schei­det die heu­ti­gen Stu­den­ten von den dama­li­gen Stu­den­ten?
S.:
Ich glaube nicht, dass es dort große Unter­schiede gibt: Es war schon immer eine Min­der­heit, die sich in einer Partei enga­giert hat. Auch in der Hoch­schul­po­li­tik war es nie die Mehr­heit, die aktiv war. Die „Akti­ven“ haben die „Pas­si­ven“ manch­mal mit­ge­ris­sen. Das war auch in den sech­zi­ger Jahren nicht anders. 

bus: Was war anders an den Stu­den­ten­streiks der 68-er und den heu­ti­gen Streiks?
S.:
Man kann die heu­tige Situa­tion mit der von 1968 nicht ver­glei­chen. So war es damals in den Vor­le­sun­gen nicht üblich, Fragen zu stel­len. Heute freuen sich Pro­fes­so­ren über eine aktive Betei­li­gung und Diskussion. 

bus: Würden Sie sich von den Stu­den­ten mehr Enga­ge­ment wün­schen?
S.:
Ja sicher. Stu­den­ti­sche Mit­ar­bei­tende unter­stüt­zen mich in der Par­la­ments­ar­beit oder waren heftig dabei im Wahl­kampf. Es war toll, wie die vielen Stu­den­ten gegen den Irak­krieg demons­triert haben. Es war ein biss­chen wie früher. 

bus: Leider konnte der Krieg trotz Enga­ge­ment und Wider­stand der Men­schen nicht ver­hin­dert werden. Es hat den Anschein, die Demons­tra­tio­nen gegen den Irak­krieg hätten nichts gebracht.
S.:
Das stimmt nicht. Der Wider­stand war nicht wir­kungs- und sinn­los. Ohne die welt­wei­ten Demons­tra­tio­nen hätte es die Ver­wei­ge­rung der UNO so nicht gege­ben. Die Aggres­so­ren blie­ben iso­liert, trotz Druck und Geld­ver­spre­chun­gen. Der Wider­stand hat die Völ­ker­ge­mein­schaft gestärkt. 

bus: Was denken Sie über die Demons­tra­tio­nen der Stu­den­ten gegen Stu­di­en­ge­büh­ren?
S.:
Ich fand viele Aktio­nen wäh­rend des Streiks gegen die Ein­füh­rung von Stu­di­en­ge­büh­ren phan­ta­sie- und ein­drucks­voll. Grund­sätz­lich bin ich gegen Stu­di­en­ge­büh­ren. Sie würden miss­braucht, um den Staat aus der Ver­pflich­tung zu nehmen. Es würden noch mehr Zuschusse für die Unis gekürzt werden. Ich fürchte, sie werden nicht ganz ver­hin­dert werden können. Gleich­wohl sollte der Wider­stand solange wie mög­lich blei­ben, auch um Bewusst­sein für die Pro­bleme zu schaf­fen und um Gebüh­ren, wenn sie doch kommen, sozial so gerecht wie mög­lich zu gestalten. 

bus: Wie könnte eine gerechte Gestal­tung von Stu­di­en­ge­büh­ren aus­se­hen?
S.:
Wenn das Ver­fas­sungs­ge­richt Stu­di­en­ge­büh­ren zulässt, soll­ten sie nur nach­ge­la­gert sein und nur für die, die nach dem Stu­dium auch einen Job haben. Es ist wich­tig, dass alle die Mög­lich­keit haben, min­des­tens ein erstes Voll­stu­dium zu absol­vie­ren, ohne Rück­sicht auf die Finan­zen der Eltern. Und ich finde die Idee ganz rich­tig und pfif­fig, die­je­ni­gen ‑wie mich — die gebüh­ren­frei stu­die­ren konn­ten, als erste nach­ge­la­gert zur Zah­lung her­an­zu­zie­hen. Einige Poli­ti­ker, die Gebüh­ren for­dern, würden etwas ruhi­ger. Ein wei­te­rer wich­ti­ger Punkt im Sinne der Gerech­tig­keit wäre, da
ss das Geld den Hoch­schu­len zufließt und nicht in die Haus­halts­lö­cher. Hohe und lange Bil­dung und Aus­bil­dung sind für unsere Gesell­schaft lebens­wich­tig. Wir soll­ten uns des­halb freuen, wenn viele viel stu­die­ren und nicht Stu­di­en­plätze abbauen, wie in Berlin. 120 000 Stu­di­en­plätze sind eine Zierde für die Stadt und kein Missstand. 

bus: Wie stehen Sie zu der aktu­el­len Dis­kus­sion um Elite – Uni­ver­si­tä­ten?
S.:
Die Elite-Uni-Dis­kus­sion treibt ver­rückte Blüten. Sie erweckt den Ein­druck, dass Deutsch­land keine her­vor­ra­gen­den wis­sen­schaft­li­chen Ein­rich­tun­gen hat. Damit tut man z.B. den Zen­tral-Insti­tu­ten, Ost­eu­ropa- und Latein­ame­ri­ka­in­sti­tut oder dem Max Planck Insti­tut, Unrecht. Dort wird jetzt ein­ge­spart, obwohl uns viele Länder um sie benei­den. Diese Insti­tute sind zum Teil eine Frucht der Stu­den­ten­re­volte. Auch sie begrün­den den Ruf Ber­lins als Stadt der Wis­sen­schaft. Mit diesen Pfun­den soll­ten man mehr wuchern. Die der­zei­tige „Eli­ten­dis­kus­sion“ scha­det dem Wis­sens­stand­ort, weil sie den Ein­druck erweckt, es gäbe keine her­vor­ra­gen­den Hoch­schu­len und der Abbau von Stu­di­en­plät­zen sei not­wen­dig, um beson­dere wis­sen­schaft­li­che Leis­tun­gen zu erbringen. 

bus: Was ist gut und was ist ver­bes­se­rungs­fä­hig am deut­schen Hoch­schul­sys­tem?
S.:
Der Ansatz deut­scher Uni­ver­si­tä­ten ist gut, ins­be­son­dere die Breite der Aus­bil­dung sehe ich posi­tiv. Pro­ble­ma­tisch sind Mas­sen­vor­le­sun­gen mit über­füll­ten Hör­sä­len. Dies gab es auch schon zu meinen Stu­di­en­zei­ten. Nach wie vor brau­chen wir nicht weni­ger, son­dern mehr und ande­res Lehr­per­so­nal, um die Stu­di­en­be­din­gun­gen zu ver­bes­sern. Über bes­sere Hoch­schul­leh­rer können wir von ande­ren Län­dern lernen. So ist es in den USA völlig üblich, dass Pro­fes­so­ren nach Leis­tung — auch von den Stu­die­ren­den — beur­teilt und bezahlt werden. Stu­die­rende haben die Mög­lich­keit, Ein­fluss zu üben. Es gibt neben vielen enga­gier­ten auch faule Pro­fes­so­ren, die sich auf ihrem Beam­ten­sta­tus und so man­chen Pri­vi­le­gien ausruhen. 

bus: Wel­ches Pflicht­stu­di­en­fach würden Sie ein­füh­ren?
S.:
Ein Wenig Jura ist immer gut — wie Latein in der Schule. Das kann man fast über­all brau­chen. Sonst das Stu­dium Gene­rale, um über den Tel­ler­rand der eige­nen Stu­di­en­rich­tung zu schauen. 

bus: Herr Strö­bele, Sie haben sich für die Poli­tik ent­schie­den. Viele Men­schen haben das Ver­trauen ver­lo­ren und enga­gie­ren sich nicht. Der Schritt in eine Partei ein­zu­tre­ten, fällt vielen schwer. Wo sehen Sie die Gründe für diese „Ein­tritts­bar­rie­ren“?
S.:
Par­tei­struk­tu­ren sind starr. Par­teien sind häufig wenig attrak­tive Ingroups. Ohne langen Atem kann man kaum etwas bewir­ken. Die Grünen sind immer noch offe­ner, wenn auch viel Alter­na­ti­ves ver­lo­ren gegan­gen ist. Die Kar­rie­re­lei­ter ist nicht so lang. Ein Bei­spiel ist meine Frak­ti­ons­kol­le­gin Anna Lühr­mann, mit 20 Jahren die jüngste Bundestagsabgeordnete. 

bus: Sagen wir, die Ent­schei­dung für das Enga­ge­ment in einer Partei ist gefal­len. Was kann man kon­kret bewe­gen und wie sieht das Tages­ge­schäft aus?
S.:
Man sollte sich ein The­men­ge­biet aus­su­chen und sich dort ein­mi­schen. Mit Beharr­lich­keit und Sitz­fleisch erreicht man Ein­fluß. In meinem Wahl­kreis ver­sam­meln sich alle 14 Tage die Akti­ven und dis­ku­tie­ren Pro­bleme vom Irak­krieg bis zur Brun­nen­ge­stal­tung im Kiez. Es kommen 30 bis 60 von den rund 600 Mit­glie­dern. In Wahl­kampf­zei­ten ist mehr los. Fast täg­lich waren wir unter­wegs, mit dem Fahr­rad oder Elek­tro­auto. Wir hatten viele Gesprä­che und Dis­kus­sio­nen in der Bevölkerung. 

bus: Wie halten Sie als Poli­ti­ker den Kon­takt zu den Men­schen in Ihrem Wahl­kreis?
S.:
Die Ansprech­bar­keit und Prä­senz für die Men­schen ist wich­tig. Täg­lich rede ich mit Leuten, wenn ich mit dem Rad und der U — Bahn unter­wegs bin. Mal gibt es Zuspruch, mal Rat­schläge, mal Kritik — Beschimp­fun­gen oder gar Aggres­sio­nen fast nie. Ich habe zwei Wahl­kreis­bü­ros und mache Sprech­stun­den nach Bedarf, soweit es meine Zeit zulässt. Zu beson­de­ren Pro­ble­men wie dem 1. Mai oder zur Agenda 2010 gibt es Veranstaltungen. 

bus: Wir haben jetzt viel über den Poli­ti­ker Hans-Chris­tian Strö­bele erfah­ren. Gern würde ich noch etwas mehr über den Men­schen, der hinter dem Poli­ti­ker steht, wissen. Wie würden Sie sich selbst beschrei­ben?
S.:
Ich sehe mich als aus­dau­ernd beharr­lich. Um ein mir wich­ti­ges Ziel zu errei­chen, arbeite ich lange daran und ver­su­che viele Wege manch­mal gleichzeitig. 

bus: Was lieben Sie an Berlin?
S.:
Seit 1961 lebe ich in Berlin. Die Stadt hatte für mich immer neue, andere Fas­zi­na­tio­nen. Viele Jahre war sie ein­ge­mau­ert, eine Insel, ein Expe­ri­men­tier­ge­biet – wie ein gesell­schaft­li­cher Biotop. Es war immer span­nend, die Ent­wick­lung Ber­lins mitzuerleben. 

bus: Was tun Sie gern in Ihrer freien Zeit?
S.:
Ich sehe fern, gehe ins Kino oder auch mal in die Sauna, wenn ich abschal­ten will. Der letzte Kino­film, war „Gegen die Wand“. Aber die Poli­tik lässt mich auch in der „Frei­zeit“ nicht los. Ich enga­giere mich gegen Unter­drü­ckung in den Län­dern des Südens und für Entwicklungszusammenarbeit. 

bus: Gut, nun sind wir doch wieder beim Poli­ti­ker Strö­bele. Wie stehen Sie zur Antiglo­ba­li­sie­rungs­be­we­gung?
S.:
Die Glo­ba­li­sie­rung ist nicht auf­zu­hal­ten, aber gerecht zu gestal­ten. Die Welt ist unso­zial. Die Aus­tausch­ver­hält­nisse zwi­schen erster und so genann­ter Drit­ter Welt sind unge­recht. In Deutsch­land zahlen wir für eine Milch­kuh pro Tag zwei Euro Sub­ven­tio­nen. Eine afri­ka­ni­sche Fami­lie muss von der Hälfte dieses Ein­kom­mens, 30 Euro im Monat, leben. Das will ich ändern. Für Waffen und Krieg steht fast jede Summe zur Ver­fü­gung, für Pro­jekte der Ent­wick­lungs­zu­sam­men­ar­beit fehlt das Geld, allen gegen­tei­li­gen Schwü­ren zum Trotz jedes Jahr mehr. Mit den Mil­li­ar­den, die die USA für den Irak­krieg aus­ge­ben, könnte der Hunger von Mil­lio­nen besei­tigt werden. 

bus: Erzäh­len Sie mehr von Pro­jek­ten aus der Ent­wick­lungs­hilfe!
S.:
Ich war gerade mit einer Dele­ga­tion im Kongo und in Ruanda. Wir haben mit vielen Men­schen dort gespro­chen, Prä­si­den­ten, Par­la­men­ta­ri­ern und Leuten auf der Straße. Die Völker leiden große Not trotz ihrer para­die­si­schen Frucht­bar­keit. Die Länder sind ver­armt und ver­wüs­tet durch Krieg und Völ­ker­mord. Die Leute setzen große Hoff­nung auf uns. So selt­sam es klingt: Gerade auch auf uns Deut­sche. Wir sollen und können helfen, Sicher­heit, eine funk­tio­nie­rende Infra­struk­tur und Ener­gie­ver­sor­gung zu schaf­fen. Den Erwar­tun­gen soll­ten wir uns nicht ent­zie­hen. Wir haben Ver­ant­wor­tung nicht nur wegen der euro­päi­schen Kolo­ni­al­ge­schichte. Wirk­same Hilfe ist mög­lich. Wir haben Bei­spiele gese­hen. Reso­zia­li­sie­rung von Kin­der­sol­da­ten, Betreu­ung von ver­ge­wal­tigte und ver­sklavte Frauen, Rekon­struk­tion von Stra­ßen durch die Welt­hun­ger­hilfe oder Hilfen für Frau­en­pro­jekte in der Landwirtschaft. 

bus: Bitte geben Sie uns eine Defi­ni­tion des Begrif­fes soziale Gerech­tig­keit.
S.:
Gerecht ist eine Welt, wenn sie allen Men­schen die Chance gibt, sich so zu ent­wi­ckeln, wie es ihren Fähig­kei­ten und Wün­schen ent­spricht. Diesem Ideal müssen wir uns nähern. 

bus: Wenn Sie Kanz­ler wären, für welche Ver­än­de­run­gen würden Sie sich ein­set­zen?
S.:
Für mehr soziale Gerech­tig­keit würde ich erst­mal die Ver­mö­gens­steuer wieder ein­füh­ren, die es in Deutsch­land bis 1996 gab und auch noch in ande­ren Län­dern gibt. Dieses Geld würde ich dann ziel­ge­rich­tet für die Finan­zie­rung von Bil­dung einsetzen. 

bus: Herr Strö­bele, wann hören Sie auf, Poli­tik zu machen?
S.:
Früher habe ich gesagt, wenn die Spree wieder so sauber ist, dass
ich darin baden kann. Aber im Ernst: Solange ich aus­rei­chend fit bin, werde ich weitermachen. 

bus: Vielen Dank für das Interview.