Musik studieren

Marie-Luise ist 21 Jahre alt. Sie stu­diert wie wir, sie sitzt aber nicht 20 Semes­ter­wo­chen­stun­den lang in Semi­na­ren und Vor­le­sun­gen, denn sie übt ca. 4 Stun­den am Tag Oboe, hat Musik­theo­rie­un­ter­richt oder Gehör­bil­dung. Marie-Luise spielt Oboe seit sie 14 Jahre alt ist. Für sie war schon sehr früh klar, dass sie ent­we­der Bal­lett oder Musik machen will, mit beidem wächst sie auf. Der Traum vom Bal­lett wird ver­wor­fen und so bleibt die Musik.

Ganz normal hat sie ange­fan­gen, wie viele von uns. Mit 7 Block­flöte, dann kam die Ent­schei­dung, was folgen sollte. Das Cel­lo­spie­len hat sie auf­ge­ge­ben, ebenso die Kla­ri­nette und so ist sie zur Oboe gekom­men, nach­dem sie eine Mit­schü­le­rin im Schul­or­ches­ter gehört hat. Seit­dem arbei­tet sie auf ihre Auf­nah­me­prü­fung hin. 3 Jahre lang war sie in der Stu­di­en­vor­be­rei­tung (Stuvo) der Musik­schule und hat zusätz­lich zum Obo­en­un­ter­richt Kla­vier- und Theo­rie­un­ter­richt erhalten.

Das alles hat sie neben der Schule geschafft. Dann kam die Auf­nah­me­prü­fung für Orches­ter­mu­sik an der Hanns Eisler. 6 Bewerber/innen gab es und eine/r wurde genom­men. Das war sie. 6 Bewer­ber sind im Ver­gleich zu den ande­ren Instru­men­ten oder zum Gesang noch rela­tiv wenig (für Gesang gab es bei­spiels­weise 365 Bewer­ber auf einen Stu­di­en­platz). Die Vor­stel­lung, dass von den Minu­ten des Vor­spie­lens die ganze Zukunft abhängt, macht mich schon bei der reinen Vor­stel­lung ganz nervös. “Auf­ge­regt”? frage ich sie, doch sie lächelt nur und ant­wor­tet: “Nicht auf­ge­regt sein, son­dern auf­re­gend sein ist mein Motto”. Das über­zeugt mich. Sie hatte sich ein­fach vor­ge­nom­men ihr Bestes zu geben, dann wäre sie auch mit einer Absage zufrie­den gewe­sen, wenn sie nur gut spielt. Die Angst, dass man nicht sein Bestes geben kann, weil man doch nervös ist, liegt wie ein Schleier über ihr. Dann kommt der Tag und es läuft nach ihren Vor­stel­lun­gen. Die Kla­vier­be­glei­tung spornt sie an, so dass sie alles aus sich her­aus­ho­len kann. Glück­lich ver­lässt sie den Raum. Sie ist genom­men, denn auch ihre ande­ren Prü­fun­gen (Kla­vier, Theo­rie, Gehör­bil­dung) hat sie bestanden.

“Ent­ge­gen man­chen Vor­ur­teil liegen die meis­ten Stu­den­ten über die Som­mer­mo­nate nicht tagein tagaus in der Sonne und lassen die Seele baumeln.”

Der Stu­di­en­all­tag sieht so aus, dass man haupt­säch­lich übt, denn wenn man nicht übt, dann bringt auch der Unter­richt nichts. Jeder Stu­dent kann wäh­rend des Semes­ters einen Raum zum Üben bekom­men. Maxi­mal 3 Stun­den am Tag, denn jedem soll die Chance zum Üben gewähr­leis­tet sein. Man trägt sich in Listen ein, gibt den Aus­weis beim Pfört­ner ab und bekommt dafür den Schlüs­sel für einen Raum. Die Räume sind sehr gemüt­lich, jeden­falls für einen Außen­ste­hen­den, aber natür­lich auch gut aus­ge­stat­tet mit Kla­vier, Noten­stän­der usw..

Eigent­lich ist das Ziel immer der nächste Unter­richt und auf den arbei­tet man hin. Zusätz­lich macht man wäh­rend des Stu­di­ums unter ande­rem noch Gehör­bil­dung, Ton­satz, Instru­men­ten­kunde, Musik­ge­schichte, Pflicht­fach Kla­vier, Hoch­schul­chor, Orches­ter­stu­dien, Kor­re­pe­ti­tion und Atem­gym­nas­tik. In den Semes­ter­fe­rien muss man selbst­ver­ständ­lich weiter üben, was auch ein­fa­cher ist, da die Räume nicht so begehrt sind. Ein wenig einsam kommt einem das vor, wenn man über­legt, dass man den halben Tag alleine mit seinem Instru­ment ver­bringt. Ich frage sie danach und sie bestä­tigt, dass es auch ein biss­chen so ist. Aber es gibt ja auch Orches­ter- und Kam­mer­mu­sik, die dann abwechs­lungs­rei­cher und irgend­wie gesel­li­ger ist. Ansons­ten hat der Musik­stu­dent Mucken (bezahlte Auf­tritte bei Feiern oder ande­ren Anläs­sen. Bei Jaz­zern auch Gigs genannt.), mit denen er Geld ver­die­nen kann. Marie-Luise spielt bei kirch­li­chen Anläs­sen, oder Feiern. 100 Euro kann man für eine Mucke bekom­men. Ich frage, wie man an so etwas her­an­kommt, ganz ein­fach, man wird ange­ru­fen. Für mich hört sich das alles nicht so ein­fach an, aber Marie-Luise scheint das locker zu sehen.

Auch in Sachen Kon­kur­renz ist sie Schlim­me­res gewohnt, vom Bal­lett näm­lich. Sie sagt zwar, dass man sich nicht allzu viele Vor­spiele der ande­ren anhö­ren sollte, aber sonst geht es.

Letzt­end­lich komme ich zu der Frage, die ich selber so hasse, wenn sie mir gestellt wird: “Was willst du eigent­lich damit machen? Wie stehen die Berufs­chan­cen”? Na klar, die Frage mag auch sie nicht son­der­lich. Ihr Ziel ist es Orches­ter­mu­si­ke­rin zu werden, um dann ein gutes Orches­ter zu finden, in dem man spie­len kann. Auch das ist gar nicht so ein­fach, denn nur in sehr berühm­ten Orches­tern (wie zum Bei­spiel bei den Ber­li­ner Phil­har­mo­ni­kern) ver­dient man so viel Geld, dass man auch davon Leben kann. Am Unter­rich­ten kommt man als Musi­ker ver­mut­lich nicht vorbei. 

Tja, so kann also die Rea­li­tät in einem Musikerle­ben aus­se­hen. Die Schluss­be­mer­kung von Marie-Luise erstaunt mich dann aber schon, denn sie sagt, dass sie die Oboe als Instru­ment nicht wei­ter­emp­feh­len würde. Vom Lyri­schen her schon, aber der täg­li­che Rohr­bau, der damit ver­bun­den ist und jedes Spie­len beein­flusst, würde sie davon abhal­ten. Man kann nur so gut spie­len, wie gut auch das Rohr ist. Drei bis vier Rohre, die ein­ge­spielt sind, sollte man besit­zen. Jedes Spiel hängt nicht nur von den tech­ni­schen und musi­ka­li­schen Fähig­kei­ten ab, son­dern auch davon, wie gut das eigene Rohr ist.

Natür­lich ist das in gewis­ser Hin­sicht bei jedem Instru­ment der Fall, denn auch auf einer Stra­di­vari spielt es sich besser als auf Omas Geige, aber als Oboist ist man selbst für den Klang zustän­dig. Gerade der Oboist muss sich aber gegen das Vor­ur­teil sträu­ben sich wie eine Ente anzu­hö­ren (Ich erin­nere nur mal an Peter und der Wolf.), das ist aber eher der Fall, wenn man auf einem schlech­ten Rohr spielt.