Ich muss die Beste sein
Wie ist das eigentlich, wenn man nicht mehr aufhören kann zu studieren? Wenn Vorlesungen, Seminare und Bücher zum Lebensinhalt avancieren? Oder schlicht das Studentenleben einen nicht mehr loslässt?
Zum Beispiel, wenn einen die Gesellschaft als so genannter Langzeitstudent von der Gesellschaft ächtet und selbst die liebenden Großeltern einen nur noch müde belächeln, wird die Frage „Wie geht es denn so im Studium voran?” bedrohlich. Dabei muss das oft gar nicht Hand in Hand gehen mit Liederlichkeit und Faulheit. Oft treibt einen die Unentschlossenheit, womit man später in Lohn und Brot stehen möchte, von Hochschule zu Hochschule. Oder man hat sein Diplom bereits in der Tasche, entscheidet aber, dass jetzt wohl noch nicht Schluss sein kann.
Das schwarze Loch Arbeitsmarkt greift mit seinen Fängen schon nach einem, da hängt man schnell noch einen Aufbaukurs „Electronic Business” oder „Fashion Management” ran. Mehrere Sprachen zu beherrschen ist ein Lebenslauf vervollkommnendes Auswahlkriterium. Da drängt sich ein akademisches Jahr im Ausland doch förmlich auf. Das qualifiziert in der oft beschworenen Wissens- und Weiterbildungsgesellschaft und vor allem: Man darf noch weiter studieren.
Streber, Faulenzer, Dolce Vita
Natürlich setzt die Gewöhnung an Vorlesungen nach 12 Uhr und den obligatorischen Milchkaffee mit Freunden in der Cafeteria schnell ein. Die Studienzeit, die kommt nie wieder, die Sucht nach „dolce vita” übermannt einen und ein Leben ohne scheint schier undenkbar.
Viele Mitstudenten lächeln mehr oder weniger verholen über jene, die seit Beginn der Schulpflicht schlichtweg in ein und dieselbe Schublade verfrachtet werden.
Die wohlbekannten Streber sind in jedem Studiengang anzutreffen: Junge Menschen, die drei Minuten vor Öffnen der Bibliothek ungeduldig vor den Toren, die endloses Wissen verheißen, aufgeregt von einem Fuß auf den anderen treten, die dem Professor ins Wort fallen, weil sie einen schnelleren Rechenweg für die statistische Korrelation erarbeitet haben oder die schon Wochen vor den Semester beschließenden Klausuren in helle Panik ausbrechen darüber, dass sie noch nicht den ganzen Vorlesungswälzer intus haben.
Nun gestaltet es sich so – ob das fair ist, sei gar nicht erst dahingestellt – dass es manchen Menschen mit genialen Genkombinationen einfacher fällt, umwerfend intelligent zu sein als anderen. Und spätestens seit Hesses „Unterm Rad” ist klar, dass es oft harsche Folgen hat, wenn man dem eigenen inneren und dem Erfolgsdruck anderer nicht gerecht werden kann.
Die Symptome der Eliteschulen zeigen die schadhafte Seite der Droge Studium oft so deutlich, dass einem das hämische Lächeln auf dem Gesicht gefriert. In Cambridge schließen die Sittenwächter zum so genannten „Bloody Sunday” alle Türme der Jahrhunderte alten Gemäuer, damit sich verzweifelte Studenten, die an jenem Tag ihre Klausurresultate erhalten, zumindest nicht von dort in den Tod stürzen.
Ehrgeiz, Erfolg, Sucht
Auch hierzulande zeichnen Studienberater und Psychologen ein Bild vom labilen, immer größerem Stress ausgesetzten Studenten. Drogenmissbrauch, Komasaufen nicht nur am Wochenende, Burn-Out-Syndrom bis hin zu Selbstmordversuchen, weil die Situation ausweglos erscheint.
„Ehrgeiz ist eine Tugend”, hat Papa immer gesagt. Dass Erfolg süchtig macht, nicht. Dass es sich so gut anfühlt, eine 1,0 zu haben und Kursbester zu sein, hat Mama nie erwähnt. Selbst wenn alle anderen durch die 1,3 in Buchhaltung degradiert wurden, ist dies nur ein weiterer Ansporn, beim nächsten Mal noch besser zu sein. Denn „nur die Harten komm’ in Garten” und „den letzten fressen die Hunde.”
Warum für manche das Studium zur harten Droge wird, während es für die große Mehrheit einfach ein spannender Lebensabschnitt ist, bewirkt wie bei anderen Drogen auch wahrscheinlich immer ein Zusammenspiel mehrerer Faktoren. Studioholics gehen ganz in ihrem Schaffen auf und sind meist zumindest für ihr Wissen sehr angesehen. Studieren bringt Erfolg, Akzeptanz und Befriedigung. Und zuviel Lob kann es gar nicht geben.
Anderen bietet es Sicherheit und Schutz vor der Welt da draußen, von der die Tagesschau nur Schlechtes zu berichten weiß. Da bleibt man lieber bei Altbekanntem, arbeiten muss man schließlich für den Rest seines noch so jungen Lebens.
Wie bei allen Lastern und Genussmitteln empfiehlt sich wohl, wie heißt es so schön, der verantwortungsvolle Umgang damit.