Hohe Ansprüche

Da will man sein Stu­dium in der Praxis anwen­den und ein jour­na­lis­ti­sches Prak­ti­kum machen. Dann kommt die Rea­li­tät mit ihren völlig eige­nen Ansich­ten und rui­niert alles. Nach­dem mich andere Tages­zei­tun­gen abge­lehnt hatten, lud mich ein Blatt end­lich zu einem Vor­stel­lungs­ge­spräch ein.

Das Gespräch ver­lief sehr seriös. Mir war klar, dass diese Zei­tung nicht jeden nimmt. Der Chef­re­dak­teur stellte eine gezielte Frage zu meinen Qua­li­fi­ka­tio­nen: „Hast Du ein Pro­blem damit, Men­schen auf der Straße anzu­spre­chen?” Nein, habe ich nicht. „Du musst sie aber auch solche Dinge fragen wie, wann sie das letzte Mal Sex hatten.” Mit dieser Aus­sage führte er mir die Anfor­de­run­gen des Blat­tes glas­klar vor Augen. Ich war mir plötz­lich nicht mehr sicher, ob ich ihnen ent­spre­chen könnte. Aber vor­erst ließ ich mich noch nicht einschüchtern.

Am ersten Tag wurde ich allen aus­führ­lich vor­ge­stellt: „Ab heute haben wir eine neue hüb­sche Prak­ti­kan­tin.” Dass man nicht über­all meinen Lebens­lauf und meine fach­li­chen Kom­pe­ten­zen rum­zei­gen konnte, war ja klar. Die Redak­teure konn­ten sich meinen Namen nur schwer merken. Das lag ein­deu­tig an der Exotik und Schwer­fäl­lig­keit des Namens „Helena”. Die rest­li­che Zeit des Tages ver­brachte ich mit Warten. Das tat man häu­fi­ger in der Redak­tion. Ich tat es fast die halbe Praktikumszeit. 

Schon inner­halb der ersten Woche bekam ich dann eine ernst­zu­neh­mende Auf­gabe. Am Ende des Som­mers sollte ich noch einmal ein Oben-Ohne-Girl inter­viewen und foto­gra­fie­ren. Natür­lich ließ man mich nicht gehen, ohne mir vorher genaue Anga­ben zum gefor­der­ten Inter­viewin­halt zu geben: „Unter 30! Blond! Schlank!” Alles klar. Nach vier Tagen musste ich jedoch schwe­ren Her­zens die Erfolg­lo­sig­keit ein­ge­ste­hen und auf­ge­ben. Dabei hatte ich mich so sehr in dieses Thema hineingekniet.

Später durfte ich teil­weise auch ver­su­chen, eigene Texte zu ver­fas­sen. Zur Unter­stüt­zung erhielt ich den zwei­ten Chef­re­dak­teur zur Seite, denn es fiel mir unwahr­schein­lich schwer, drei Sätze zu ver­fas­sen, die auf ein kom­men­des Event ver­wie­sen. Er kri­ti­sierte mich des­halb auch aufs schärfste: „Du schreibst ein­fach zu seriös für uns!” Das traf mich hart. Er musste mich auch stän­dig ver­bes­sern. „Du kannst nicht schrei­ben, dass der Jugend­för­der­ver­band zu einer Ver­an­stal­tung ein­lädt! Weißt Du nicht, dass ein Ver­band keine Person ist, die ein­la­den kann? Ich dachte, Du stu­dierst!” Tja, da haben mir die Dozen­ten wohl etwas fal­sches beigebracht.

Natür­lich ver­suchte ich, mich trotz aller Rück­schläge dem Niveau der Zei­tung anzu­pas­sen. Leider klappte das selten. Eigent­lich nie. Die Recher­chen zu Geschich­ten wie „Ich schwänze die Schule für Robbie Wil­liams!”, „Ich bin sauer, weil das Strand­bad schon geschlos­sen hat!” oder „Wie ich den Herbst nackt begrüße” haben mich schlicht­weg über­for­dert. Eines habe ich dabei gelernt: Für einen Job sollte man sich nicht verbiegen.