Und wenn sie nicht gestorben sind…

Wie jeden Früh­ling wollen uns schein­bar völlig neu­ar­tige Lie­bes­filme im Früh­lings­ge­fühl­wahn beglü­cken. Sie sind kit­schig. Albern. Über­trie­ben. Und so was von nicht wahr! Trotz­dem lieben wir sie und können nicht genug davon bekommen.

„Ich habe eine Was­ser­me­lone getra­gen“, sagt sie. „Mein Baby gehört zu mir“, sagt er etli­che Film­mi­nu­ten später, und beide bewei­sen in einem eksta­ti­schen Mambo allen Anwe­sen­den, wie sehr sie zusam­men­ge­hö­ren. Abspann. 

Chick flicks ohne Ende

Lie­bes­filme oder „chick flicks“ (Weiber-Strei­fen), wie sie in den USA heißen, sind wahr­schein­lich die mit Abstand vor­her­seh­bars­ten Filme. Klas­si­ker wie „Vom Winde ver­weht“ ebne­ten den Weg für etwas, was man heut­zu­tage als Schnulze iden­tifi zieren würde und in den 60ern mit den Doris-Day-Filmen einen Höhe­punkt als Lie­bes­ko­mö­die erlebte. Es folg­ten die Zeiten von „Grease“, „Pretty Woman“, „Schlaf­los in Seat­tle“ und „Tita­nic“. Ein Ende ist nicht abzu­se­hen. Die Geschich­ten waren und sind sich ziem­lich ähn­lich: Zwei ziem­lich unter­schied­li­che Men­schen gera­ten anein­an­der, doch am Ende führt sie das Schick­sal end­lich gegen alle Wider­stände zusam­men, und es kommt zu dem, was wir alle kennen (und lieben?) – dem Happy End. 

Lie­bes­filme sind ein Genre der Über­ra­schungs­ar­mut, und eigent­lich sollte unser Bedarf für die nächs­ten Jahr­zehnte gedeckt sein. Den­noch star­ren wir bei jedem neuen herz­zer­rei­ßen­den Strei­fen gebannt auf die Lein­wand und hoff en und bangen. Ein Aspekt wird gern geleug­net, darf aber nicht unter­schätzt werden: Es ist wesent­lich schö­ner, Leo­nardo DiCa­prio die letz­ten Lie­bes­worte im eisi­gen Wasser hau­chen zu sehen als bei­spiels­weise Danny DeVito oder Rowan Atkin­son. Der Dar­stel­ler­fak­tor ist zwar rele­vant, kann das Phä­no­men allein aber nicht erklä­ren. Die Hol­ly­wood­schrei­ber­linge bemü­hen sich zwar, indem sie die Geschich­ten indi­vi­dua­li­sie­ren. Den­noch ent­puppt sich „Save the last Dance“ nur als wei­tere „West Side Story“/„Dirty Dancing“-Version, wäh­rend die Geschichte von „Pretty Woman“ an Aschen­put­tel erinnert. 

Mär­chen­hafte Rea­li­tät

Viel­leicht liegt gerade darin die Ant­wort: Mär­chen. Traum­hafte „Es war einmal…“-Geschichten von Prin­zes­sin­nen und Prin­zen und von der gren­zen­lo­sen „Sie-lebten-glück­lich-bis-anihr- Lebensende“-Liebe. Doch je älter man wird, desto mehr ent­zieht man sich dieser traum­haf­ten Welt. Die harte dunkle Rea­li­tät gewinnt die Ober­hand. Der Glaube an den Prin­zen, der uns befreit, schwin­det mit jeder Bezie­hungs­krise. Genau da kommen Lie­bes­filme ins Spiel. Denn wenn Kinder Mär­chen brau­chen, brau­chen Erwach­sene Liebesfilme. 

„Eska­pis­mus“ nennen Psy­cho­lo­gen dieses Ver­hal­ten. Das absicht­li­che Flie­hen aus der Rea­li­tät, wo man mit Kunstfi guren seine Träume aus­lebt. Romane, Lieder, Filme dienen als Werk­zeug, dem realen Leben zu entfl iehen. Dort gibt es einen win­zi­gen Hoff — nungs­schim­mer – das „Viel­leicht“. „Viel­leicht“ gibt es sie ja doch: die ewige Liebe. Doch han­delt es sich bei den Hol­ly­wood­hel­den schon lange nicht mehr um Prin­zes­sin­nen, Plan­ta­gen­be­sit­ze­rin­nen oder pro­mi­nente Sän­ge­rin­nen. Seit Jahr­zehn­ten ver­kör­pern unsere Idole Frauen aus dem all­täg­li­chen Leben. Genau das ist der Grund, warum wir an das „Viel­leicht“ glau­ben, das uns auf „gehirn­wa­schende“ Art ein­ge­trich­tert wird: Die ist wie ich, und ihr ist es pas­siert – also warum nicht auch mir? 

Rea­lis­ti­sche Mär­chen

Aller­dings ist die Balance zwi­schen rea­lis­tisch und mär­chen­haft aus­schlag­ge­bend. Einer­seits will man eine ver­ständ­li­che rea­li­täts­be­zo­gene Geschichte, mit all­täg­li­chen Schwie­rig­kei­ten, sonst ist es zu idea­lis­tisch und die Zuschauer schlu­cken die Glücks­pille nicht. Ande­rer­seits müssen die rea­li­täts­na­hen Pro­bleme am Ende gelöst werden können, denn für unge­löste Pro­bleme mag kaum jemand Ein­tritts­geld zahlen. 

Doch die inhalt­li­che Essenz ist und bleibt meist die glei­che. Aber das Publi­kum mag es nicht erken­nen – wozu sich die Illu­sion rauben? Para­do­xer­weise stel­len Fik­tio­nen oft die Moti­va­tion dar, um in der realen Welt zurecht­zu­kom­men. Des­halb schauen wir immer noch zu, wenn der Romeo des 21. Jahr­hun­derts für Julia sein Leben gibt. Denn ob zu Shake­speares Zeiten oder heute – die Leute wollen das, was sie nicht haben können. Also her mit den hol­ly­wood­schen Träu­me­ma­chern, denn das Leben ist lange nicht so schön, wie es sein könnte, Hol­ly­woodfi lme aber schon