Frankreich: Hinter der Fassade

Mein größ­ter Traum ging end­lich in Erfül­lung: Paris, eine Metro­pole, die ich ent­de­cken und das wahre Leben hinter der Maske einer Tou­ris­tin kennen lernen wollte, erwar­tete mich. Doch meine Vor­stel­lung, wie ich jeden Tag völlig geblen­det von der Schön­heit dieser Stadt über die Champs Ely­sées fla­niere, endete zwi­schen Winnie Pooh und seinen Freun­den. Denn es bot sich mir die Mög­lich­keit, im Dis­ney­land Resort Paris im Hotel New York zu arbeiten.

Doch wissen, was mich wirk­lich erwar­tet, konnte ich nicht: ein klei­ner, künst­lich erstell­ter Vorort von Paris, der von Men­schen aus aller Welt bevöl­kert ist. Diese ste­cken tags­über in den Hüllen von zahl­rei­chen Disney-Figu­ren und nachts decken sie sich in ste­ri­len Rei­hen­häu­sern zu. Oder sie arbei­ten wie ich im ame­ri­ka­ni­schen Diner-Outfit im Vier-Sterne-McDo­nalds, der zwar auf hoch­do­sier­ten Big Apple Chic zielt, aber eigent­lich nur Big Macs und Spare Rips à la France ser­viert. Also nicht gerade die ehren­vollste Auf­gabe in einer Traum­fa­brik. Meine Woh­nung musste ich mit drei Frem­den teilen, und in meinem gelieb­ten Paris spra­chen die Fran­zo­sen auf ihrem Argot irgend­wel­che Worte aus, die ich noch nie gehört hatte. Ich fühlte mich wie Alice im Wun­der­land, der mit einem Schlag die rosa­rote Brille her­un­ter geris­sen wurde. Es kam noch schlim­mer: Nach sieben Wochen wurde ich um 23:30 Uhr aus meinem Vier Sterne-Imbiss entlassen. 

Eine Woche später stand ich in weißer Puff­är­mel­bluse und grünem boden­lan­gen Cow­girl-Rock mit roter Schürze hinter einer mexi­ka­ni­schen Bar und schüt­telte bis spät in die Nacht Cock­tails. Unser Team bestand aus Marok­ka­nern, Afri­ka­nern, Spa­ni­ern, Schwe­den, Fran­zo­sen, Eng­län­dern, Ita­lie­nern und Deut­schen. Auf den Fluren des Back­stage-Bereichs traf ich Minnie und Mickey, Pluto, Baloo und Goofy, und jeden Tag bekam ich ein neues, frisch gewa­sche­nes und gebü­gel­tes Kostüm in die Hand gedrückt, um wieder ein Teil dieser mär­chen­haf­ten Traum­welt zu werden. 

Lang­sam begann ich, diese Kulisse zu lieben. Für die Tou­ris­ten war es ein rie­si­ges Spek­ta­kel, täg­lich mar­schierte die Prin­zes­sin­nen-Parade einmal durch den Park, die Cow­boys und India­ner der Wild West Show lie­fer­ten sich wilde Kämpfe, und jeder konnte sich mit seinen Lieb­lings­hel­den ablich­ten lassen. 

Was die Besu­cher aller­dings nicht erle­ben durf­ten, war das Leben hinter den Kulis­sen: sehen, wie die sieben Zwerge ihre Masken vom Kopf nahmen und kleine ver­schwitzte Frauen zum Vor­schein kamen; fühlen, wie schwer die Tabletts mit unzäh­li­gen Blech­schüs­seln wirk­lich sind und lange Gesprä­che mit Pluto, einer Fran­zö­sin aus Bor­deaux, führen oder eng umschlun­gen mit Baloo, einem Eng­län­der, auf unse­ren Haus­par­tys tanzen. Buf­falo Bill saß mit uns bis spät in die Nacht in der Sports­bar, und wir tran­ken ein Bier nach dem ande­ren. Einmal ver­suchte Pinoc­chio, mit mir zu flir­ten, aller­dings hörte ich nur selt­sa­mes Gemur­mel aus seiner Maske. Später stand er neben mir im Fahr­stuhl, seinen Kopf hielt er ver­le­gen in der Hand, und grinste mich schüch­tern an. 

Das Leben hinter den Kulis­sen war oft span­nen­der als die Show selbst. Alle Cast Member besa­ßen einen Back­stage Plan, um sich in dieser ver­deck­ten Welt zurecht­zu­fin­den. In einem Bereich wurden die Dar­stel­ler für alle Spek­ta­kel gecas­tet, geschminkt und fri­siert. Wer eine Disney-Figur werden möchte, benö­tigt nicht nur das pas­sende Aus­se­hen und die per­fekte Größe, son­dern muss auch sein Talent in Gesang, Tanz, Bewe­gung und Umgang mit Kin­dern bewei­sen. Obwohl du am Ende bloß win­kend und mit einem star­ren Lächeln durch den Park gefah­ren wirst und jede halbe Stunde Pause machen darfst. 

Ich habe mich dieser „Tortur“ nie gestellt, obwohl ich gern als Mary Pop­pins durch die Lüfte geflo­gen wäre! Meine eigene Show fand den­noch in Paris statt, und ich ent­deckte immer wieder neue Gesich­ter dieser Stadt, sodass mein Traum, das wahre Leben in Frank­reich kennen zu lernen, schluss­end­lich doch in Erfül­lung gegan­gen ist.