Hier ist das Konventionelle die Alternative: Interview mit Daisy Steinert

An einem Sams­tag­mor­gen treffe ich Daisy Stei­nert (28 J.) zum Inter­view. Die Sozi­al­ar­bei­te­rin und beken­nende Vega­ne­rin möchte mir bzgl. ihrer Ernäh­rungs­ge­wohn­hei­ten Rede und Ant­wort stehen. Nach freund­li­cher Begrü­ßung und einer Tasse Latte Mac­chiato mit Soja-Milch kommen wir gleich zur Sache:

AG: Möch­test du dich kurz vor­stel­len?
DS: Mein Name ist Daisy Stei­nert. Ich wohne in Prenz­lauer Berg mit zwei Katzen und meinem Freund. Ich bin Sozi­al­ar­bei­te­rin mit FH-Abschluss und habe ein Zusatz­stu­dium in Gen­der­kom­pe­tenz absol­viert. Ich ernähre mich vegan, bio­lo­gisch, glu­ten­frei und vollwertig. 

AG: Hast du in Berlin stu­diert?
DS: Ja, an der Katho­li­schen Fach­hoch­schule Sozi­al­ar­beit und an der FU Genderkompetenz. 

AG: Du hast das Thema des Inter­views schon erwähnt. Es geht um Ernäh­rung. Wie kannst du deine Ernäh­rung und deine Ess­ge­wohn­hei­ten beschreiben? 

DS: Ich fange mit dem Ein­fa­chen an. Da ich eine Glu­ten­un­ver­träg­lich­keit habe, darf ich mich nicht von Getreide ernäh­ren. Alles, was mit Weizen, Gerste, Roggen und Hafer zu tun hat, darf ich nicht essen. Dann ernähre ich mich schon seit vielen Jahren vege­ta­risch. Tiere zu essen habe ich als Kind schon nicht gemocht. Meine Haupt­nah­rungs­mit­tel sind, neben Obst und Gemüse, Kar­tof­feln und Reis. Später bin ich dann zu vega­nem Essen über­ge­gan­gen, weil ich Eier auch nicht sehr mochte. Auf Milch zu ver­zich­ten war schon ärger­li­cher. Auf die Glu­ten­un­ver­träg­lich­keit folgte eine Lak­to­se­un­ver­träg­lich­keit, beides bedingt sich oft. Bio­es­sen kon­su­miere ich, seit­dem bei uns gegen­über ein Bio-Laden eröff­nete. Dort sind wir gele­gent­lich hin­ge­gan­gen, haben aber bald gemerkt, dass man gesün­der lebt, wenn man sich bio­lo­gisch ernährt. Zu Beginn habe ich mich immer über die Leute gewun­dert, die für ihren Wochen­ein­kauf 70 Euro bezah­len – heute tun wir das auch. Seit dieser Zeit befasse ich mich inten­si­ver mit Ernäh­rung, lese viel dar­über, und habe ein Bewusst­sein dafür ent­wi­ckelt. Kon­ven­tio­nelle Lebens­mit­tel haben sich weit von dem weg­ent­wi­ckelt, was für eine natür­li­che Ernäh­rung för­der­lich ist. Man denke nur an che­mi­sche Kon­ser­vie­rungs­stoffe, Aro­ma­stoffe und stark behan­del­tes Essen. 

AG: Kann man sagen, dass sich bei dir eine grund­le­gende Über­zeu­gung ent­wi­ckelt hat? Es gibt doch dieses Sprich­wort: „Man ist, was man isst!“. Ist deine Ernäh­rung Aus­druck eines bestimm­ten Den­kens?
DS: Die Über­zeu­gung war schon vorher da. Gesunde Ernäh­rung ist Teil dieser Über­zeu­gung. Ich will aber nicht sagen, dass ich in irgend­ei­ner Art und Weise fest­ge­legt bin. Ich stehe neuen Theo­rien offen gegen­über. Meine Über­zeu­gung hat sich auch aus der jah­re­lan­gen Beschäf­ti­gung mit der The­ma­tik her­aus­kris­tal­li­siert. Ich bin aller­dings in meiner Ernäh­rung durch die Krank­heit schon stark ein­ge­schränkt. Abge­se­hen von den medi­zi­ni­schen Vor­schrif­ten habe ich aber keine beson­dere Methode. Ich will ein­fach natür­li­ches, voll­wer­ti­ges und fri­sches Essen zu mir nehmen! Mir geht es nicht darum, mög­lichst schnell satt zu werden. Da ist auch eine gute Por­tion Sinn­lich­keit dabei. Denken und Ernäh­rung beein­flus­sen sich gegen­sei­tig. Ernäh­rung ist aber nicht der ein­zige Aspekt meines Lebens. 

AG: Was ist dir noch wich­tig?
DS: Über den Vege­ta­ris­mus kommen natür­lich auch ethi­sche Über­le­gun­gen hinzu. Die sind aber nur Folge meiner natür­li­chen Abnei­gung gegen­über Mas­sen­tier­hal­tung zum Bei­spiel. Durch die Aus­ein­an­der­set­zung, auch wäh­rend des Stu­di­ums, ist für mich ganz all­ge­mein das Thema Dis­kri­mi­nie­rung wich­tig. Auch Tiere sind Opfer von Dis­kri­mi­nie­rung. Ich ver­su­che ganz all­ge­mein mein Leben zu reflektieren. 

AG: Das Eti­kett „Bio“ ist ja modern gewor­den. Wo man hin­schaut, begeg­net es einem. Selbst die Dis­count­märkte oder die Ber­li­ner Uni-Mensen haben Bio­es­sen ins Sor­ti­ment auf­ge­nom­men. Wie stehst du sol­chen Ent­wick­lun­gen gegen­über?
DS: Einer­seits finde ich das posi­tiv, weil die Ent­wick­lung des Bio-Sie­gels schon zu einer Bewusst­seins­er­we­ckung oder Bewusst­seins­er­wei­te­rung in der Bevöl­ke­rung geführt hat. Ande­rer­seits ist die Ent­wick­lung aber nicht nur posi­tiv, weil der Bio-Hype auch ein Selek­ti­ons­den­ken zur Folge haben könnte. Es wird ja oft gedacht: wer das kauft, muss Bir­ken­stock­trä­ger oder Hippie sein. Aus diesen Vor­stel­lun­gen heraus folgt wieder Abwehr. Ich selbst kaufe nicht im Dis­coun­ter ein, da gibt es zu wenig Pro­dukte für mich. Außer­dem machen die das nur aus Pres­ti­ge­grün­den oder zum Zweck von Mar­ke­ting­stra­te­gien. Zumin­dest kann ich da keine Hal­tung erken­nen. Man erhält im Super­markt zum Bei­spiel keine Beratung. 

AG: Hast du schon einmal ein Bio­es­sen in der Mensa pro­biert?
DS: In der FU-Mensa gab es das. Ich bin selten essen gegan­gen, weil, wenn es Bio­es­sen gab, war das damals haupt­säch­lich Fleisch. Ich stehe gene­rell nicht auf Mas­sen­kü­che. Ich habe meis­tens mein eige­nes Essen dabei. 

AG: Wie kann man sicher gehen, dass der Begriff „Bio“ nicht als reines Absatz­mit­tel instru­men­ta­li­siert wird? Kann man das über­haupt?
DS: Sicher­sein kann man da nie. Ich muss Ver­trauen zum Händ­ler auf­bauen können. Die Dis­count­märkte haben das bisher nicht geschafft. Außer­dem ist die Bio-Pro­dukt­pa­lette im Dis­coun­ter unvoll­stän­dig. Da gibt es zum Bei­spiel Bio-Nudeln, aber die Sauce müsste ich her­kömm­lich kaufen. Da gehe ich zum Bio-Laden und bekomme beides. Die Super­märkte bieten nur Pro­dukte an, die sich rasch ver­kau­fen oder lang lager­bar sind. Bio-Essen wird im Dis­coun­ter immer Rand­pro­dukt sein. 

AG: Ich weiß nicht, ob dir bekannt ist, dass die Dis­coun­ter­kette Rewe an einem eige­nen Bio­markt-Kon­zept baut. Passt das für dich zusam­men?
DS: Das ist schwie­rig. Ich weiß davon nichts, aber wenn Rewe mit regio­na­len Bauern zum Bei­spiel zusam­men arbei­tet und Pro­jekte unter­stützt, wäre das in Ord­nung. Ein Dis­coun­ter bleibt es trotz­dem. Nur aus Grün­den der Pres­ti­ge­stei­ge­rung würde ich solch ein Kon­zept aber ablehnen. 

AG: Mal ganz pro­vo­kant gefragt: Ist über­all „Bio“ drin, wo „Bio“ drauf­steht?
DS: Auch das ist eine Ver­trau­ens­frage. Bei den Händ­lern, bei denen ich ein­kaufe, weiß ich, dass sie hohe Auf­la­gen erfül­len. Die Öko­bau­ern auf dem Markt zum Bei­spiel werden rich­tig streng geprüft. In dem Bereich ist alles trans­pa­ren­ter, als beim Dis­coun­ter. Im Super­markt bekommt man in der Regel nicht mit, welche Auf­la­gen die zu erfül­len haben. Und davon berich­ten tun die natür­lich auch nicht. Schwarze Schafe gibt es aber über­all. Hun­dert­pro­zent sicher kann man nir­gends sein. 

AG: Wenn auf einem Lebens­mit­tel „Bio“ drauf­steht, muss dieses Pro­dukt dann bestimme Kri­te­rien erfül­len?
DS: Es gibt das Bio-Siegel. Das erhält das Pro­dukt, wel­ches die Maxi­mal­werte von che­mi­schen Belas­tun­gen nicht über­steigt. Es dürfen nur ganz bestimmte Mengen von Zusatz­stof­fen drin sein, damit es noch ein Bio-Pro­dukt ist. Vor allem geht es um Dün­gungs- und Schäd­lings­be­kämp­fungs­mit­tel bei Frisch­ware. Es gibt aber auch Umwelt-Siegel, die nach der Öko­no­mie eines Her­stel­lers fragen, nach Han­dels­ver­hal­ten usw. 

AG: Geht es auch um fairen Handel?
DS: Ja, aber Bio und fairer Handel sind zwei paar Schuhe. Die bedin­gen ein­an­der nicht. Es gibt eine Menge Bio-Pro­dukte, die nicht fair gehan­delt sind. Anders­herum sind nicht alle fair gehan­del­ten Pro­dukte „Bio“. Es ist aber ein Ziel, beide Güte­sie­gel zu ver­schrän­ken. Gele­gent­lich wird auch Label­schwin­del betrie­ben, wenn zum Bei­spiel Bana­nen eines bekann­ten Kon­zerns zwar fair gehan­delt werden, aber der Kon­su­ment sug­ge­riert bekommt, dass unter dem Wer­bee­ti­kett „Öko“ das Pro­dukt auch bio­lo­gi­schen Richt­wer­ten ent­spricht, was defi­ni­tiv nicht so ist. Die schrei­ben dann nicht „aus bio­lo­gi­schem Anbau“ drauf, son­dern „nach­hal­tig produziert“. 

AG: Du bist ehren­amt­li­ches Mit­glied im Duncker-Club und arbei­test dort im Aus­schank. Wie flie­ßen deine Ein­stel­lun­gen bzgl. deiner per­sön­li­chen Ernäh­rung in die Arbeit ein?
DS:
Ich spre­che Emp­feh­lun­gen aus, was die Bestel­lung von Geträn­ken betrifft. Seit eini­ger Zeit haben wir Bio-Getränke, z.B. Bio-Bier und Bio-Wein, im Ange­bot. Sonn­tag­nach­mit­tags, wenn der Duncker seine Pfor­ten für den Dark Market öffnet, bieten wir auch vega­nen Kuchen und Bio-Kaffee an. 

AG: Fühlst du dich auf­grund deines Enga­ge­ments als Erzie­he­rin? Ver­suchst du bei ande­ren ein Bewusst­sein für ihre Ernäh­rung zu wecken?
DS: Ich sehe es nicht so, aber es mag so sein. Ich bin zwar Sozi­al­päd­ago­gin, fühle mich aber nicht als Erzie­he­rin. Ich möchte ande­ren Leuten über­haupt nichts vor­schrei­ben. Immer­hin bieten wir im Duncker ja auch die andere Alter­na­tive an: kon­ven­tio­nelle Pro­dukte. Ich dis­ku­tiere nicht über die Geträn­ke­wahl der Gäste. Wenn Inter­esse da ist, stehe ich natür­lich für ein Gespräch zur Verfügung. 

AG: Gibt es noch ande­res Enga­ge­ment von deiner Seite?
DS: Ich plane ein Restau­rant für vegane und all­er­gik­er­freund­li­che Küche zu eröff­nen. Das wäre das erste All­er­gie-Restau­rant in Deutsch­land mit öko­lo­gi­scher Ori­en­tie­rung. Kurz gesagt: gesund­heits­för­dernde Gas­tro­no­mie mit Bildungsprogramm. 

AG: Was meint Bil­dungs­pro­gramm?
DS: Das Restau­rant soll auch Raum für auf­klä­rende Arbeit, für Vor­träge und Semi­nare zum Thema Ernäh­rung bieten. Mir geht es vor allem darum, ein Restau­rant für All­er­gi­ker und für alle, die auf Qua­li­tät Wert legen, zu eröffnen. 

AG: Abschlie­ßende Frage: Fühlst du dich als Lebens­re­for­me­rin?
DS: Ja, schon. Ich refor­miere, aber ich bediene keine Sche­mata, die mich so bezeich­nen würden. 

AG: Ich danke dir für das Interview.