Schwarz-Weiß-Idylle
Jeder kennt die unverwechselbare Geräuschwelt dieser wunderbaren Stadt. Vorbeizischende Autos, gleitende Straßenbahnen und das laut-leise Stadtgeflüster der Innenstadt. Zwar hat sich die Kulisse des Hackeschen Markts in den letzten 15 Jahren gewaltig verändert,
doch gibt es noch einige Orte, die zwischen dem Chic der Designer-Läden und Szenebars ihre unverfälschte und damit einzigartige Atmosphäre nicht verloren haben. Hierzu gehört das Café Cinema, das unscheinbar zwischen dem von Touristen überfüllten Starbucks und den Hackeschen Höfen fast verloren geht.
Seit Oktober 1990 verzaubert das Café seine Besucher mit der Atmosphäre der Alten Zeiten, die man von Leinwänden kennt. Alte Kinoplakate hängen an den Wänden, beleuchtet von den Scheinwerfern der letzten Jahrzehnte. Inmitten dieser Kulisse sitzt ein älterer Herr, der selbst dieser Zeit entsprungen scheint. Arwid Lagenpusch, der 34 Jahre lang Theaterfotograf an der Komischen Oper war, ist seit 16 Jahren verantwortlich für die zahlreichen Portraits in bezauberndem Schwarz-weiß, die großflächig die Wände des Cafés schmücken. Verführt von dem Ambiente scheint es fast so, als würden die Fotografien alte Filmstars verkörpern. Doch handelt es sich hierbei um anonyme Stadtgesichter, die sich für einen flüchtigen Augenblick in das Café verliefen.
Inspiriert von der Atmosphäre der alten Zeit und den Gesichtern des 21. Jahrhunderts, kommt der in Litauen 1934 geborene Fotograf Woche für Woche in das Café und hält die zahlreichen Besucher für einen Moment mit seiner Kamera fest. Ob vertieft in ein Gespräch, an der Kaffeeschale nippend oder nachdenklich von einer Rauchwolke umschwärmt – solche und ähnliche Motive findet man auf den Bildern wieder. „Ich fotografiere, um Freude zu bereiten“, erklärt der leidenschaftliche Lichtbildner. „Die Faszination ist, dass viele meinen unfotogen zu sein, bis sie ihre Bilder sehen und überrascht sind, wie schön sie aussehen.“
Schon als Kind hat sich Arwid für Portraitzeichnen, Kunst und Schauspielerei interessiert. Aber erst 1956, als er eine kleine Rolle in dem deutsch-französischen Film „Die Hexen von Salem“ bekam und dort Portraitfotos von dem französischen Filmfotografen Roger Corbeau erblickte, wurde seine Leidenschaft für die Schwarz-Weiß-Portraitfotografie geweckt. Von dem Zeitpunkt an beherrschte sie sein Leben. „Aufhören konnte ich nie mehr, denn sonst hätte ich blind werden müssen.“
Sich selbst betrachtet Arwid in einem altmodischen Licht. „Ich bin ein Überbleibsel der französischen Portraitfotografie der 50er Jahre. Ich bin kein moderner Fotograf.“ Das erkennt man, wenn man ihn bei der Arbeit beobachtet. Seine Hauptlichtquelle ist eine einfache Kerze, Blitz und Stativ benötigt er nicht. Inspiriert von einem bestimmten Augenblick, hält er in der rechten Hand die Kamera, während er mit links die Kerze bewegt, bis sie im Zusammenspiel mit dem matten Außenlicht die perfekte Beleuchtung für eine Portraitaufnahme bietet.
„Jedes Gesicht ist anders und braucht individuelles Licht. Manchmal dauert es Stunden. Wenn einer in fünf Minuten ein Bild will, dann soll er zu einem Fotoautomaten gehen.“ Es ist offensichtlich, dass der Künstler den Prozess des Fotografierens liebt. Zu gern verliert er sich in dieser Kulisse. „Für mich ist Fotografieren wie einen Film drehen.“ Ein biss-chen stimmt es ja. Die zahlreichen Fotografien tragen zu einer zauberhaften Scheinwelt bei, einer gewissen Idylle, die wenigstens innerhalb der Café Cinema-Wände die Stadtanonymität für einen Augenblick verblassen lässt.