Wir können jetzt loslassen

Die Band „Vir­gi­nia jetzt” ist im Musi­ker­all­tag ange­kom­men. Ein Gespräch über Künst­ler­exis­tenz, Pro­mi­nenz und Ver­blö­dung in voller Länge: Hier die unge­kürzte Fas­sung, die über das Inter­view in der Print-Aus­gabe von bus hinaus geht. 

bus: Was hat euch aus einer klei­nen Stadt in Bran­den­burg nach Berlin ver­schla­gen?
Mathias: Es war schwie­rig hier in Berlin, weil es unsere Dorf­disco „Blue Sky“ erst mal nicht gibt. (alle lachen)
Thomas: Mathias und ich sind aus beruf­li­chen Grün­den hier­her gezo­gen: Für das Stu­dium und Mathias wollte seinen Zivil­dienst hier leis­ten, den man natür­lich lieber in Berlin macht, als irgendwo in einem klei­nen Dorf. Die ande­ren haben wir dann später zwangs­ver­pflich­tet zu folgen.

bus: Ihr habt alle ein Stu­dium bzw. eine Lehre ange­fan­gen. Was habt ihr gelernt?
Thomas: Ich hab Musik­wis­sen­schaft, Lite­ra­tur­wis­sen­schaft und Publi­zis­tik stu­diert.
Mathias: Ich bin mit­ten­drin. Das Stu­di­en­fach heißt Leben und Musik­ma­chen. Ich bin aber Quer­ein­stei­ger – ich hab vorher eine Aus­bil­dung zum Ein­zel­han­dels­kauf­mann gemacht.
Nino: Ich habe unge­fähr bis zur Hälfte Jura stu­diert.
Angelo: Ich bin Holzmechaniker. 

Ver­misst ihr es zu stu­die­ren?
Thomas: Nein. … ein biss­chen. Wir ver­mis­sen es, sich Wissen anzu­eig­nen, das hat auf jeden Fall schon Spaß gemacht. Aber was ich nach dem Abbruch bekom­men habe, ist viel wert­vol­ler. Natür­lich ist man manch­mal ein biss­chen unter­for­dert.
Nino: Du bist bei uns noch unter­for­dert?
Thomas: Naja, was den wis­sen­schaft­li­chen Aspekt angeht schon. Aber ich ver­misse es jetzt nicht direkt, im Hör­saal zu sitzen, früh auf­zu­ste­hen und Haus­ar­bei­ten schrei­ben zu müssen. Ich habe mich ja auch dazu ent­schie­den, Musik zu machen. Also wenn mich jemand vor die Wahl stel­len würde, würde ich trotz­dem weiter Musik machen. 

Und wie wäre es mit einer Fern-Uni?
Thomas: Es ist ja wirk­lich keine Zeit dafür.
Mathias: Ich habe zwar nie stu­diert, aber ich habe eine roman­ti­sche Vor­stel­lung vom Stu­die­ren. Wenn man den Campus und das ganze Drum­herum in Filmen sieht … Also die Mensa zum Bei­spiel, die ist sicher­lich nicht der schönste Ort, hat aber auf jeden Fall was Roman­ti­sches. Das Pro­blem ist, dass man als Musi­ker nahezu ver­blö­det.
Thomas: Man muss es halt selbst in die Hand nehmen.
Mathias: Ja stimmt. Wenn man immer auf Tour ist – was bei uns ja noch gar nicht so krass ist – dann ver­lierst du kom­plett das Inter­esse. Aber ich merke das, wenn wir auf Tour sind. Die ersten drei Tage sind: „Oh geil, komm, lass uns die ganze Stadt sehen…“ und dann kommst du in Güs­trow an und nach dem vier­ten Tag haben wir dazu echt keine Lust mehr. Dann inter­es­siert einen nicht mehr, was gerade los ist und was in der Zei­tung steht. Dann ist alles egal. 

Auf eurer Inter­net­seite gibt’s einen Blog, in dem ihr euch gegen­sei­tig fragt, in wel­cher Stadt ihr gerade seid und nie­mand weiß eine Ant­wort. Ist es denn so stres­sig?
Thomas: Da ist ein biss­chen Koket­te­rie dabei, aber es kommt auch manch­mal vor, dass man gerade nicht weiß, wo man ist. Bei unse­rer letz­ten Tour war das weni­ger der Fall. Anders ist es, wenn man jeden Abend mit dem Night­li­ner fährt und von der Stadt nichts sieht, weil man früh am Morgen kommt, bis um Elf schläft, dann aus­steigt und alles, was man vor sich hat, ist der Club, in dem man spielt. Ganz so schlimm ist es zwar nicht, aber es kommt schon mal vor, dass man nicht weiß, wo man gerade ist. Vor allem, wenn man zwi­schen 20 Städ­ten rotiert und das in drei Wochen – da kann man schon mal was durch­ein­an­der brin­gen.
Mathias: Einer der größ­ten Gags bei den Sim­sons han­delt auch davon. Da spielt eine Band – ich weiß gerade nicht welche – und der Gitar­rist hatte sich den Stadt­na­men hinten auf die Gitarre geschrie­ben. (Mathias hält eine ima­gi­näre Gitarre in der Hand, begrüßt die ande­ren „Hallo …”, er schaut auf die Gitarre, „… Spring­field”. Alle lachen) Nino geht das tat­säch­lich auch sehr häufig so. 

Habt ihr denn schon mal den fal­schen Namen gesagt?
Mathias: Ja.
Thomas: Schlimm ist es, wenn man in diesen „-burg”-Städten spielt, also Würz­burg, Ham­burg, Flens­burg, … Da kommt es schon vor, dass man die Namen ver­wech­selt.
Mathias: Es gibt nichts Schlim­me­res, um ein Kon­zert gleich am Anfang tot­zu­ma­chen, als den fal­schen Namen zu sagen und das fal­sche Bun­des­land dann noch hin­ter­her­zu­schi­cken. Dann kann man eigent­lich direkt wieder ein­pa­cken. Es ist unglaub­lich, wie viel Pro­vinz­stolz es in Deutsch­land gibt. Fragt man jeman­den „Fin­dest du es hier geil?“, dann sagt jeder „Ach na ja … ich wäre schon lieber in Ham­burg oder Berlin.“ Wenn du aber zu jeman­den, der viel­leicht noch nicht mal in Würz­burg wohnt, son­dern nur dort ist, weil er stu­die­ren muss, wenn du zu dem „Hallo Nürn­berg“ sagst, dann ist der echt sauer.
Thomas: Irgend­wie sind die Städte alle gleich. Man kommt nicht wirk­lich dazu, sich ein kon­kre­tes Bild von der Stadt zu machen. Wenn man in die Innen­stadt geht, dann sehen die Ein­kaufs­pas­sa­gen eh alle gleich aus.
Mathias: Das wäre schön für „Wetten, dass…?“: Wetten, dass ich alle Ein­kaufs­pas­sa­gen von mit­tel­gro­ßen Städ­ten in Deutsch­land erkenne?
Thomas: Du hast dort ja auch immer die glei­chen Geschäfte, da ist dann ein Dou­glas, neben einem Esprit, neben einem Schle­cker …
Mathias: … und dann kommt die Post. 

Würdet ihr gern mal bei „Wetten, dass…?“ singen?
Mathias: Ja, auf jeden Fall! 

Und neben wem würdet ihr danach gern auf der Couch sitzen?
Thomas: Auf der Couch sitzen die ja meist gar nicht.
Nino: Justin Tim­ber­lake durfte auch auf die Couch. 

Habt ihr das letzte „Wetten, dass…?“ geguckt?
Mathias: Nein. Meine Mutter hat es mir erzählt. Sie war ganz begeis­tert von Justin Tim­ber­lake und mein Vater konnte ihn über­haupt nicht leiden. 

Ist „Wetten, dass…?“ zu spie­ßig, um es sich anzu­ku­cken?
Mathias: Ich habe keinen Fernseher. 

Aus Prin­zip nicht?
Mathias: Nein, es inter­es­siert mich nicht. Vorher hatte ich eine Woh­nung, in der ich einen Fern­se­her hatte. Da hatte ich über­haupt eine Woh­nung, jetzt habe ich gar keine Woh­nung mehr. Ich habe halt nie den Fern­se­her ange­macht. Wenn ich irgendwo bin und Fern­seh­gu­cken kann, dann find ich das toll, aber ich brau­che das nicht. Ich beschäf­tige mich lieber mit ande­ren Sachen, als damit, was im Fern­se­hen kommt. 

Willst du damit gegen die Ver­blö­dung arbei­ten?
Mathias: Nein, nicht gegen die Ver­blö­dung. Es gibt ja schon inter­es­sante Sachen.
Thomas: Fern­seh­gu­cken heißt ja nicht, dass man das Ding anmacht und dann wird man unter­hal­ten. Man wird schon unter­hal­ten, aber ob das nun die Unter­hal­tung ist, die man möchte, dass ist dann die andere Frage. Fern­seh­gu­cken setzt ja voraus, dass man sich mit dem Pro­gramm beschäf­tigt, dass man sich eine Zei­tung kauft und sieht, was in wel­chem Pro­gramm kommt.
Mathias: Da gibt es aber unter­schied­li­che Ansätze inner­halb der Band.
Nino: Angelo guckt zum Bei­spiel alles; ich dage­gen bin ein sehr gewis­sen­haf­ter TV-Zeit­schrif­ten­stu­die­rer. Aber sams­tag­abends sollte man bes­se­res zu tun haben als Fern­seh­gu­cken. Außer­dem ist Thomas Gott­schalk so was von unlus­tig, der ist eigent­lich untrag­bar.
Mathias: Na danke, die Tür hast du jetzt zuge­macht. Da werden wir nie ein­ge­la­den.
Nino: Naja, er ist manch­mal eben unfass­bar respekt­los gegen­über seinen Gästen und tritt auch in sehr viele Fett­näpf­chen rein. 

Du wür­dest also nicht so gern da auf­tre­ten?
Nino: Doch. Es gab mal ein Inter­view in dieser Show mit Götz Als­mann. Ihn hat das dort so ange­kotzt, dass es rich­tig lustig war. Thomas Gott­schalk hat ihn so ober­fläch­lich zu seinem neuen Film befragt und Götz Als­mann sieht sich als Künst­ler und ist damit über­haupt nicht zurecht gekom­men. Er hat das deut­lich gezeigt und damit die ganze Sen­dung gesprengt. 

Gibt es denn Frage
n, die man euch lieber nicht stel­len sollte?

Thomas: Man würde es schon an unse­ren Ant­wor­ten merken, dass uns eine Frage unan­ge­nehm ist.
Mathias: Aber wenn man schon mal da ist … (alle lachen)
Nino: Naja, irgend einen Sei­ten­hieb würde es wahr­schein­lich schon geben. Aber Gott­schalk lebt in Flo­rida und ist schon ein biss­chen welt­fremd.
Thomas: So kann man keine Natio­nal­elf regie­ren und auch nicht Fern­se­hen machen.
Mathias: Flo­rida und Kali­for­nien – nur weil das Wetter dort schö­ner ist.
Thomas: Apro­pos Kali­for­nien … Schwar­zen­eg­ger hat mit großer Mehr­heit gewon­nen.
Nino: Mh, also kein „Ter­mi­na­tor 4”!
Thomas: Ich sag’s euch, irgend­wann wird der noch Prä­si­dent. Aber egal … jetzt zu unse­rem Album (alle lachen). 

Okay, warum ein neues Album?
Mathias: Ja, warum macht man ein neues Album? Weil man das Bedürf­nis hat ein neues Album zu machen. Wir sind da rela­tiv lang­wei­lig und haben es fast wie immer gemacht, wir waren im selben Pro­ben­raum und hatten den­sel­ben Pro­du­zen­ten.
Thomas: Man kann ja vom Musik­ma­chen nicht los­las­sen und will auch wieder auf Tour gehen. Außer­dem warten die Fans auf neue Musik. Wir sind Musi­ker und da kommt der größte Antrieb sicher von uns selbst. Wir hatten ein­fach das Bedürf­nis nach mehr und haben noch nicht alles gesagt. Das letzte Album war schon gut, aber da ist noch etwas, was viel besser ist. Wir haben den Antrieb, Songs zu schrei­ben und zu arran­gie­ren. Dann beginnt natür­lich alles immer wieder von vorn: man fängt an Songs zu schrei­ben, man geht ins Studio, man gibt Inter­views und irgend­wann, wenn die Platte drau­ßen ist, geht man auf Tour. Man kann ja nicht sein Leben lang mit der glei­chen Platte auf Tour gehen. 

Ihr seid jetzt in eurem „ver­flix­ten sieb­ten” Band­jahr. Was hat sich seit dem Beginn und seit eurer ersten CD ver­än­dert?
Mathias: In erster Linie haben wir uns ver­än­dert. Die Art und Weise, wie wir Sachen sehen, wie wir an Dinge her­an­ge­hen, mit wel­cher Ernst­haf­tig­keit wir manche Sachen machen und mit wel­chem Maß an Per­fek­tion wir an manche Dinge her­an­ge­hen, aber auch wie wir in vielen Sachen ein­fach los­las­sen können, das hat sich ver­än­dert. Das ist, glaube ich, die Erfah­rung auch inner­halb der Band, wenn man fest­stellt, das man ein Künst­ler ist. Da man merkt, dass kaum etwas ande­res zählt als Musik zu machen. Dabei ist es egal, ob das in der U‑Bahn, in einem Klub oder in einem Gespräch ist – man ist immer ein Künst­ler. Da sind wir jetzt näher dran als je zuvor. Das ist der Unter­schied zum ersten Album.
Thomas: Wir haben auch vor fünf Jahren nie daran gedacht, mal bei „Rock am Ring” zu spie­len. Du freust dich riesig dar­über, dass du es tust, aber du weißt noch gar nicht rich­tig, was du da eigent­lich tust. Das ist ein­fach so ein Moment, in dem man am liebs­ten die Zeit anhal­ten würde. Unser Selbst­ver­ständ­nis ist eben, Künst­ler zu sein. Genauso wie wir dieses Selbst­ver­ständ­nis haben, hat ein Maurer für sich das Selbst­ver­ständ­nis zum Mauern da zu sein. Das ist sein Zweck und wenn er die Arbeit gern tut, dann macht er sie auch gut. 

War es das Größte für euch bis jetzt, bei „Rock am Ring” zu spie­len?
Mathias: Nein bei Weitem nicht. Es ist schwie­rig, das über acht Jahre zu sagen, aber rück­bli­ckend ist es immer das Beste, ein Album end­lich so fertig zu haben, wie es dann auch sein wird. Gerade weil wir jetzt auch mehr Künst­ler sind, geht es gar nicht mehr nur darum bei „Rock am Ring” drei Tage lang Spaß zu haben, son­dern eher darum, einen Bei­trag zu leis­ten. Wenn dann end­lich das Cover für die CD fertig ist oder wenn wir im nächs­ten Jahr wieder auf Tour gehen und dann wieder unser erstes Kon­zert haben – das sind so die tollen Momente.
Thomas: So ein „Rock am Ring”-Auftritt, der ist ver­gäng­lich.
Mathias: Und von den über 360 Kon­zert­auf­trit­ten bis jetzt gibt es viel­leicht zehn oder zwölf, die es für uns alle vier schaf­fen, magisch zu sein. 

Was erwar­tet denn den Hörer auf eurer neuen CD? Inwie­fern ist „Land unter“ jetzt besser bzw. anders im Gegen­satz zu den Vor­gän­ger­al­ben?
Thomas: Das ist schwie­rig zu beschrei­ben. Da sollte die Musik für sich selber spre­chen.
Mathias: Es geht gar nicht darum, dass sie jetzt besser ist. Du bringst halt ein Album raus und freust die tie­risch dar­über, dass du es hast. Da spielt es keine Rolle, wie viele Leute das kaufen und wie sie es finden. Du hast etwas geschafft und das ist toll!
Thomas: Dass uns das aktu­elle Album näher ist, liegt ja daran, dass es unsere aktu­el­len Lebens­um­stände wider­spie­gelt. Aber des­we­gen ist es an sich jetzt noch nicht besser. 

Habt ihr ein Lieb­lings­lied auf dem Album?
Mathias: Nein eigent­lich nicht.
Nino: Jein. Also ich mag alles sehr. (alle lachen) Das war nicht immer so, aber dieses Mal war das ein Ziel, das wir auch als Band errei­chen woll­ten. Es gibt aber Lieder, die auf­grund eini­ger bestimm­ter Tat­sa­chen noch mehr her­aus­ste­chen. Für mich ist das „weit weg“ – der erste Song. Der ist halt total anders als die Lieder, die wir sonst gemacht haben und er ver­bin­det Sachen, die für uns bis dahin noch gar nicht so exis­tent waren. Außer­dem ist das ein Lied, dass ich nach 200mal Anhö­ren immer noch frisch finde. Das ändert sich aber irgend­wann auch wieder. Bei den ande­ren Alben gefal­len mir, wenn ich noch mal zurück­gehe, jetzt andere Sachen als früher.
Mathias: Dir gefällt doch eh immer das erste Lied auf dem Album am besten.
Nino: Ja, das stimmt. Das ist so ein Punkt, der das Album klar­macht.
Angelo: Bei mir sind es eigent­lich auch alle. „Singen und singen“ ist schon weit vorn, aber ansons­ten gefal­len mir alle.
Thomas: Ich kann auch kein Stück fest­ma­chen, vor allem weil es dann so klingt, als würde ich die ande­ren abwer­ten.
Nino: Es ist dann etwas ganz ande­res, wenn man fragt, wel­ches Stück spielt ihr am liebs­ten live, denn das ist mit ganz ande­ren Sachen verbunden. 

Wie ent­schei­det ihr die Rei­hen­folge der Lieder auf dem Album?
Nino: Naja, wir haben eine recht homo­gene Vor­stel­lung davon, wie ein Album auf­ge­baut sein sollte. Die Dra­ma­tur­gie der drei Alben ist schon sehr ähn­lich, weil es am Ende immer ein biss­chen epi­scher wird. In erster Linie geht es um das Gefühl, aber dann spie­len natür­lich auch Tonart und Tempo eine Rolle. Beim ersten Album haben wir sehr lange debattiert. 

Auf Ein­la­dung des Goethe-Insti­tuts habt ihr vor zwei Jahren in Russ­land ein paar Kon­zerte gege­ben. Wie war das und was habt ihr dabei erlebt?
Mathias: Es waren ein­fach so viele tolle Sachen, aber es ist jetzt auch schon wieder mäch­tig weit weg. 

Es sind zwei Jahre, ver­schwimmt die Zeit so schnell?
Mathias: Nein, eigent­lich nicht. Die Tage in Russ­land zählen zu den span­nends­ten, die wir bisher als Band hatten. 

Ist man da stolz, wenn das Goethe-Insti­tut einen zu einer Art Bot­schaf­ter für deut­sche Kultur macht?
Mathias: Nicht unbe­dingt stolz. Es ist eher eine Sache von gespannt und her­aus­ge­for­dert sein. Das fängt bei den Men­schen an, die man da trifft, und geht über die Klubs, in denen man spielt, weiter. Es war auf jeden Fall eine unglaub­lich geile Zeit.
Nino: Es war eine Zeit voller Gegen­sätze und alles war natür­lich viel span­nen­der als hier. Wir haben unglaub­lich viel Herz­lich­keit von den Men­schen dort erfah­ren, wir ha
ben unglaub­li­chen Luxus erfah­ren und gleich­zei­tig unglaub­li­che Armut gese­hen. Wir hatten extrem geniale Kon­zerte und einen Tag später unglaub­lich schlechte Kon­zerte … Aber es war auf jeden Fall die span­nendste Zeit, die ich mit der Band zusam­men hatte. Ich glaube, das ist fast nicht mehr zu toppen. 

Wie war das mit der Spra­che, wurdet ihr ver­stan­den, wenn ihr deutsch gesun­gen habt?
Nino: Ja, viele Jugend­li­che in Russ­land haben Deutsch als Fremd­spra­che und die meis­ten konn­ten dem­entspre­chend auch gut deutsch reden. 

Ihr habt in diesem Jahr eine JUZE-Tour ver­an­stal­tet. Wie seid ihr auf die Idee gekom­men, nur durch Jugend­zen­tren zu touren?
Thomas: Zu der letz­ten CD haben wir zwei Touren gemacht. Die erste hat uns durch grö­ßere Klubs und Hallen geführt. Danach war es mal wieder Zeit für die etwas klei­ne­ren Klubs. Da bieten sich Jugend­zen­tren an, weil sie auch einen gewis­sen poli­ti­schen Hin­ter­grund haben, weil man als Band eben immer in diesen klei­nen Klubs anfan­gen muss. Man kommt als neue Band nicht mal eben so in das Magnet oder das Knaack und kann große Hallen füllen. 

Worin liegt der Vor­teil klei­ner Klubs?
Thomas: Der Nach­teil bei großen Klubs und Hallen ist ein­fach, dass eine Kom­mu­ni­ka­tion mit den Fans nicht so gege­ben ist, wie es nun mal in klei­ne­ren Loca­ti­ons der Fall ist: Die Bühne ist viel höher, der Abstand zum Publi­kum viel größer und wenn du nach dem Kon­zert noch mal raus­ge­hen und dich unter die Menge mischen willst, dann sind die Leute schon ver­schwun­den, weil die Secu­rity-Leute alle aus der Halle krie­gen wollen. Das ist in klei­ne­ren Klubs anders. Außer­dem ist es auch nicht ver­kehrt, sich bewusst zu machen, wie man mal ange­fan­gen hat.
Mathias: Es war auch eine sozio-poli­ti­sche Ent­schei­dung, in die Jugend­zen­tren zu gehen. Das sind die Plätze, die im Stadt­bild wirk­lich stören – also, die von vielen wegen der Jugend­li­chen dort als stö­rend wahr­ge­nom­men werden. Gerade weil wir in einer Zeit leben, in der das Spieß­bür­ger­tum immer mehr zum Tragen kommt. Es will ein­fach nie­mand beläs­tigt werden. Wo kommen wir denn hin, wenn es keine Rebel­lion mehr gibt? Außer­dem haben wir auch in den Klubs gemerkt, wie wenige Kon­zerte dort noch gespielt werden. 

Hier an der Wand hängt ein Poster mit der Auf­schrift „B‑Promis“. Worin unter­schei­den sich A‑Promis von B‑Promis?
Nino: Das hängt damit zusam­men, wie viele Leute pro­zen­tual einen kennen. Das wird auch noch weiter nach unten abge­stuft. Nennt mir doch mal ein und ich stufe ihn für euch ein. 

Oliver Pocher?
Nino: Das ist ein A‑Promi. Leider. Aber so was wie Kader Loth, das ist ein C‑Promi. B‑Promi kann man natür­lich auch sein, wenn man gut ist, einen aber nicht so viele Leute kennen, wie zum Bei­spiel Götz Als­mann. Der ist ein posi­ti­ves B‑Promi Beispiel. 

Wie ist es mit euch? Wollt ihr irgend­wann A‑Promis werden, oder qua­li­fi­zierte B‑Promis blei­ben?
Nino: Ah, wir sind irgendwo bei M oder N.
Thomas: Das spielt doch gar keine Rolle und es inter­es­siert mich auch nicht. Ich kann mir schon vor­stel­len, dass es für eine Jenny Elvers-Elbert­z­ha­gen von immenser Bedeu­tung ist, ob sie A- oder B‑Promi ist, weil sie, wenn sie A ist, abends bei Kerner mehr Kohle bekommt und, wenn sie eben nur D ist, beim MDR weni­ger Geld ver­dient. Aber für uns ist das nicht wich­tig, wir machen Musik. Die Frage stellt sich für uns nicht und wir stel­len sie uns auch nicht. 

Gibt es Sachen, die ihr nicht machen würdet? Viel­leicht gerade solche Sachen, die C‑Promis machen, um B‑Promis zu werden.
Mathias: Wir machen erst mal alles. Das ist auch eine Frage, die sich uns nicht stellt. Wir sind Musi­ker und wenn wir ein Ange­bot bekom­men, dann setz­ten wir uns zusam­men und denken gemein­sam drüber nach, ob wir das machen wollen oder nicht. 

Es gab ja mal eine Zeit, in der ihr nicht bei Inter­ak­tiv auf Viva auf­tre­ten woll­tet und beim zwei­ten Album habt ihr es dann doch gemacht.
Mathias: Das bedarf ein­fach einer guten Wahr­neh­mung auf sich selbst und die haben wir, glaube ich. Da muss man auch gucken, was man sich zutraut. Bei Inter­ak­tiv war es letzt­end­lich so, dass wir live auf­tre­ten konn­ten. Wenn man da hin­ge­hen kann, um Musik zu machen, ist das eine ganz andere Vor­aus­set­zung.
Nino: Aber natür­lich würden wir nicht alles machen, um bekann­ter zu werden. Es geht immer noch darum, dass man ehr­lich zu sich selber ist. Wenn wir die Chance haben, wir selbst zu sein und zeigen zu können, wie wir sind, dann ist das okay und dann machen wir das auch.
Thomas: Wir haben einen sehr schö­nen Status: Wir können in den Super­markt und in die S‑Bahn gehen ohne erkannt zu werden und auf der ande­ren Seite können wir davon leben. Also das ist schon ganz schön. 

Aber es macht einen doch schon stolz, wenn jemand kommt und Auto­gramme will?
Mathias: Naja, eigent­lich finde ich eher dumm, wenn sich die Leute nur für deinen Krakel inter­es­sie­ren. Ich find es besser, mit den Leuten zu reden und ihnen dadurch etwas zu geben. Man kann natür­lich auch nicht mit allen reden, aber so einen Krakel, der sich bei mir mit der Zeit schon so ver­formt hat, der bringt doch keinen weiter. Gerade bei Auto­gramm­stun­den, wo die Leute mit­un­ter 150 Meter anste­hen müssen, nur um ein Auto­gramm zu bekom­men, da finde ich das sowohl für den, der ansteht, als auch für den, der unter­schreibt, demütigend. 

Letzte Frage. Das letzte Lied des neuen Albums endet mit der Zeile „viel­leicht wird’s Zeit, dass wir uns ver­än­dern“. Ist das ein Wink auf die kom­mende Tour, das nächste Album oder ein­fach nur ein Hin­weis auf die Zukunft?
Mathias: Ein Wink auf alles.
Nino: Naja, es steht da „viel­leicht“ und es bedeu­tet ein­fach nur, dass man sich von Zeit zu Zeit auch mal in Frage stel­len sollte. 

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