Die Drachentöter
Was einen wirklichen Helden ausmacht, wollten wir von
der Band ?Wir sind Helden? wissen. Ihr neues Album “Soundso” erschien Ende Mai. Bassist Mark und Gitarrist Jean-Michel Tourett gelten als die Sound-Tüftler des Quartetts. Judith Holofernes, Leadsängerin und Mutter, trat schon vor der Gründung von Wir sind Helden als Solokünstlerin in kleineren Berliner Clubs auf. Später stieß der Hamburger Schlagzeuger Pola Roy zu Holofernes. Der Name “Wir sind Helden” sollte an David Bowies Single Heroes erinnern
bus: Wieviele Drachen muss man töten, um
ein Held zu sein?
Judith: Viele. Vor allem alle, die man sich selber
mitgebracht hat. Um sich zum Helden zu
qualifizieren, sollte man seine eigenen Dämonen
besiegt haben.
Wieviele Drachen hast du auf dem Weg des Erwachsenwerdens
erlegt?
Judith: Einige. Im Durchschnitt hat der Mensch
bis dreißig vielleicht so 267 Drachen erlegt ?
Mark: ? hoch gegriff en, aber könnte etwa
stimmen in einer satten Gesellschaft.
Was war der schwerste Drachenkampf bis jetzt?
Judith: Bei Rock am Ring 2006 als Headliner zu
spielen. Wir sollten die Limp Bizkit vertreten?
Mark: Das sind natürlich echte Luxusdrachen,
zum Glück sind bei uns die schlimmen Drachen
kaum vertreten.
Jean: Ob man, um ein Held zu sein, Drachen töten
muss, oder einfach ein guter Mensch sein muss,
das ist eine Defi nitionssache. Helden sind eine sehr
persönliche Sache. Mein Nachbar war lange Zeit
mein Held, weil er so nett war und toll Quetschkommode
spielte. Für Kinder haben Helden eine
sehr ursprüngliche und reine Bedeutung.
Können also nur Kinder Helden haben?
Jean: Solange man sich dieses Gefühl zwischen
Respekt und Bewunderung bewahrt und
es nicht rational verklärt, kann man sich diese
Helden bewahren. Aber der Bezug zu Leuten,
die man einmal bewundert hat, relativiert sich.
Was unterscheidet einen Helden von einem
Nicht-Helden?
Judith: Man muss bedenken, dass unser Bandname
nicht ernst gemeint ist; wir wollten den Heldenbegriff
persiflieren. Es gibt schon Menschen,
die für uns Helden sind. Wir fanden nur, dass der
Begriff sehr infl ationär verwendet wird.
Mark: Ich glaube, dass typische Helden oder
Vorbilder seltener Leute sind, die berühmt sind. BeiLeuten, die nicht in der Öffentlichkeit stehen, die
man persönlich kennt, ist man viel näher an der Validität
dieser Information. Letztlich führt das immer
auf etwas Positives zurück, wie altruistisch, gerecht,
fair oder geduldig sein. Solche Leute, die einen beeinfl
usst haben, gerade, wenn man anfängt, sich
erwachsen zu fühlen, sind am ehesten Helden.
Metropolis ist die Stadt von Superman, Gotham
City die von Batman. Ist Berlin die Stadt von ?Wir
sind Helden??
Jean: Berlin ist schon die Stadt von ?Wir sind
Helden?, obwohl ich Hannoveraner bin, und unser
Bassist Mark ist Hamburger. Wir sind jetzt nicht
die Berliner Band, aber Berlin spielt für uns eine
wichtige Rolle. Ich fi nde das noch vorhandene
Provisorische, Unperfekte, diese ganzen Grauzonen,
die viel Kreativität zulassen, die noch nicht
durchsaniert, durchkonzeptioniert, durchimmobilienformisiert
sind, unheimlich spannend. Das
ist ein unglaublicher Nährboden für Kreativität.
Braucht Berlin einen Superhelden?
Judith: Die Superhelden für Berlin kann man
ja in unserem Video zur Single ?Endlich ein
Grund zur Panik? bestaunen. Wir haben für Berlin
ganz eigene Helden.
Wovor müssen uns diese Helden beschützen?
Mark: Vor den anderen Helden. Es gibt sowas
wie Helden auf Abwegen mit Größenwahn.
Wie müsste ein Held aussehen, der die deutschen
Tugenden verkörpert?
Jean: Um Gottes Willen, den will ich mir gar
nicht vorstellen ? die deutschen Tugenden sind
einfach unsexy. Pünktlichkeit ist nicht besonders
glamourös; auch eine gewisse Strenge und Humorlosigkeit
gehören zu diesen Tugenden dazu.
Aber das sind ja alles stereotype Bilder, die sich
immer mehr verwässern ? zum Glück.
Was war denn das letzte Heldenhafte, was ihr in
letzter Zeit getan habt?
Jean: Wir haben eine geile Platte gemacht ?
(alle lachen). Um ehrlich zu sein, heldenhaft sind
wir nicht. Natürlich engagiert man sich für gewisse
Dinge, die einem wichtig sind, aber das
machen wir im Stillen.
Judith: Ich schenke Pola regelmäßig eineinhalb
Stunden Schlaf, obwohl ich selbst nur fünf hatte ?
Mark: ? und heldenhaft von uns ist, dass wir
Pola genauso mitleidig angucken wie Judith.
Ist Muttersein eine heldenhafte Rolle?
Judith: Puh ? es erfordert einige qualifi zierende
Eigenschaften: Selbstaufgabe und großen Mut,
finde ich schon. Man muss ? das sag ich, damit
Deutschland endgültig entvölkert wird ?, wenn
man ein Kind hat, sich mit der Kehle dem Monster
ausliefern. Nichts im Leben erinnert einen so an
die Vergänglichkeit und liefert einen so der grundlegenden
Verdammnis des Menschen aus, dass
man alles verliert, was man liebt. Das ist der größte
Schrecken, weil man so verliebt ist in dieses Kind.
Wird Friedrich auch mal ein Held?
Judith: Will ich ihm nicht wünschen. Also, keine
Ahnung. Soll er sich aussuchen.
In ?Ode an die Arbeit? heißt es ?alles was Spaß
macht, keine Arbeit?. Ist Held-Sein keine Arbeit?
Mark: Das ist das Schönste, dass die Arbeit
dich befriedigt und glücklich macht. Spätestens
seit Huxleys ?Schöne neue Welt? weiß man, dass
das eine Utopie ist. Trotzdem sehe ich das, was
wir machen, auch als Arbeit. Manchmal wirkt es
noch viel mehr wie Arbeit; es gibt Phasen, in denen
es anstrengend wird und man denkt, dass
man eine Pause braucht.
Wie kann man ?eins werden mit der Welt?, wie es
in ?Hände hoch? heißt?
Jean: Jeder kennt das Gefühl, nicht dazuzugehören,
das hat auch mit Einsamkeit zu tun. In diesem
Song geht es darum, dass man loslässt, den
Schmerz nicht ablegt aber sich trotzdem eine
gewisse Form von Schicksalsergebenheit behält.
Was mitunter sehr hilfreich sein kann.
Sind die Helden eins mit der Welt?
Jean: Manchmal ja, manchmal nein. Wir sind
auch nur Menschen.
Jeannine Bahrke, Alexander Florin