Im Einsatz für die Armen

Eine Fla­sche Scham­pus für 99,53 Euro, eine 75-Gramm-Tafel Scho­ko­lade für 3,40 Euro und ein Kilo Fleisch vom Kobe-Rind für bis zu 150 Euro. Nur das Feinste gibt es im Fri­sche Para­dies Goe­de­ken in Ham­burg. Wäh­rend sich die Super-Rei­chen mit feinen Häpp­chen und guten Trop­fen ein­de­cken, sieht die Lebens­rea­li­tät für viele Men­schen ganz anders aus. Was also liegt näher, als das Robin Hood-Prin­zip anzu­wen­den: Von den Rei­chen nehmen, an die Armen geben. Die selbst­er­nann­ten pre­kä­ren Super­hel­den haben genau dies in die Praxis umge­setzt. Im April des ver­gan­ge­nen Jahres mach­ten sie einen Groß­ein­kauf in dem Fein­kost­ge­schäft erster Güte  ohne zu bezah­len ver­steht sich.

Die ver­klei­de­ten Super­hel­den schnapp­ten die vor­ge­pack­ten Ein­kaufs­körbe, drück­ten den Beschäf­tig­ten Blumen in die Hand; vor der Tür noch schnell ein Foto für die rest­li­che Welt und dann nix wie weg! Die Beute erhiel­ten Kita-Erzie­hende, Prak­ti­kan­tin­nen, Putz­frauen und Ein-Euro-Jobber.

Die pre­kä­ren Super­hel­den heißen Spider Mum, Ope­rais­to­rix, Super­flex dun Santa Gevara und schrei­ben in ihrer Mit­tei­lung: Ob als voll­ver­netzte Dau­er­prak­ti­kan­tin, Call­c­en­ter­an­gel, auf­ent­halts­lose Putz­frau oder aus­bil­dungs­platz­lo­ser Ein-Euro-Jobber: Ohne die Fähig­kei­ten von Super­hel­den ist ein Über­le­ben in der Stadt der Mil­lio­näre nicht möglich.

Wie der­einst Robin Hood ver­tei­len heute einige selbst­er­nannte Helden den Reich­tum um. Foto: Albrecht Noack

Dass nicht nur Ham­burg eine Stadt der Mil­lio­näre ist, hatte eine ähn­li­che Aktion kurz vor Weih­nach­ten 2004 in Berlin gezeigt. Tatort damals: das Nobel­re­stau­rant Bor­chert. Wieder hor­rende Preise, wieder exklu­siv für Super-Reiche, wieder ein Besuch von ver­klei­de­ten Men­schen. Sie nennen sich die Über­flüs­si­gen, und es gibt sie inzwi­schen in ver­schie­de­nen Städ­ten Deutsch­lands. Im Kapi­ta­lis­mus sind sie über­flüs­sig; sie hin­ge­gen finden den Kapi­ta­lis­mus über­flüs­sig. Da sie in diesem Wirt­schafts­sys­tem nur gesichts­los vor­kä­men, und prin­zi­pi­ell aus­tausch­bar seien, tragen sie immer weiße Masken. So auch am 18. Dezem­ber, an dem etwa 40 von ihnen dem Restau­rant Bor­chert in Berlin-Mitte einen Besuch abstat­ten. Anspie­lend auf die Bedarfs­ge­mein­schaf­ten in den Hartz-IV-Geset­zen erklä­ren sie: Wir haben hier Bedarfs­ge­mein­schaf­ten mit denen gegrün­det, die sich ein Menü für 85 Euro leis­ten können. Die Preise sind tat­säch­lich nicht ganz ohne: Die Fla­sche Wasser kostet 6,20 Euro, ein Menü gibt es ab 75 Euro.

Auf eige­nen Spei­se­kar­ten ver­glei­chen die Über­flüs­si­gen diese Preise mit den vor­ge­se­he­nen Aus­ga­ben einer ALG-II-Emp­fän­ge­rin. Michael Kro­ne­wet­ter, arbeits­lo­ser Tisch­ler, erklärt: Ein Hartz-IV-Opfer hat im Schnitt nur rund 30 Euro zur freien Ver­fü­gung im Monat! Im Bor­chard gibt?fs dafür gerade mal eine Vor­speise. Die Über­flüs­si­gen setzen sich an die Tische, werden teil­weise von den anwe­sen­den Gästen ein­ge­la­den, aber bedie­nen sich auch dar­über hinaus an Essen und Geträn­ken. Sie haben damit kein Pro­blem: Wir haben uns genom­men, was uns sowieso zusteht, so eine Spre­che­rin nach der Aktion. Das Per­so­nal sieht das aller­dings anders und sorgt dafür, dass die Über­flüs­si­gen das Restau­rant wieder ver­las­sen. Die Poli­zei kommt zu spät, genauso wie auch die Robin Hoods aus Ham­burg spur­los davonkamen.

Die Presse berich­tete in beiden Fällen sehr aus­führ­lich, über Ham­burg sogar inter­na­tio­nal. Mit ihrem Titel Chao­ten-Alarm im ‚Borchardt?f illus­trierte die BZ, wel­chen Stel­len­wert diese Akti­ons­form in der Gesell­schaft hat. Die tag­täg­li­chen Ungleich­hei­ten for­dern gera­dezu die Umver­tei­lung von oben nach unten. In Zeiten klaf­fen­der Ein­kom­mens­un­ter­schiede brau­chen wir mehr pre­käre Superhelden.

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