Chile: Hasta La Vista

Wer gerne mal ein Aus­lands­se­mes­ter in einem spa­nisch­spra­chi­gen Land ver­brin­gen will, muss dazu nicht unbe­dingt nach Spa­nien reisen. Obwohl natür­lich der Bericht über das “Eras­mus-Jahr in Madrid” in der letz­ten bus-Aus­gabe ja schon Lust auf die Her­aus­for­de­rung zum “Kul­tur­schock auf Spa­nisch” gemacht hat. Doch wie gesagt, den könnt ihr auch anderswo erle­ben, zum Bei­spiel in Kuba, Mexiko und Argen­ti­nien. Bleibt die Frage: Warum Chile?

“Die Frage ‚Warum Chile?‘ ist wohl auch die, die du am meis­ten von Chi­le­nen gestellt bekommst und steht in einem Gespräch mit neuen Bekann­ten spä­tes­tens an zwei­ter oder drit­ter Stelle”, berich­tet Tino Schulz, der an der TU ein Stu­dium des Wirt­schafts­in­ge­nieur­we­sens absol­viert. “Meine ent­schei­den­den Gründe waren haupt­säch­lich, dass ich in ein spa­nisch­spra­chi­ges Land wollte und es span­nen­der fand, ein Jahr außer­halb Euro­pas zu ver­brin­gen. Ich wollte Kul­tur­un­ter­schiede erle­ben und Süd­ame­rika kennen lernen.”

Auch Arne Werner, der an der TU Tech­ni­schen Umwelt­schutz stu­diert hat, war Spa­nien im dop­pel­ten Sinne zu nahe­lie­gend. Nach Süd­ame­rika gab es aller­dings auch nur eine begrenzte Aus­wahl an Aus­tausch­pro­gram­men mit Chile und Ecua­dor, die für ihn in Frage kamen. “Für eines der Chile Pro­gramme lag die Bewer­bungs­frist wesent­lich vor den ande­ren Pro­gram­men, so dass ich die Bestä­tigung schon rela­tiv früh in der Hand hatte. Danach habe ich mich gar nicht mehr weiter beworben.”

Chile ist eine prä­si­diale Repu­blik mit fast 16 Mil­lio­nen Ein­woh­nern, von denen gut ein Drit­tel in der Haupt­stadt Sant­iago leben, zudem aber auch das Gebiet um Sant­iago herum sehr dicht besie­delt ist. Orte wie Con­cep­ción, das Zen­trum der Land­wirt­schaft und Indus­trie, oder der See­ha­fen Val­pa­raíso mit jeweils rund 300.000 Ein­woh­nern sind dage­gen eher “Klein­städte”.

Das Erste, was die meis­ten Men­schen bei ihrer Anreise von Chile sehen, sind die Anden. Dabei spielt es keine Rolle, ob die­je­ni­gen dar­über hinweg flie­gen – oder fahren, wie Laura Geiger von der UdK es getan hat. Zur so genann­ten “Som­mer­uni”, einem deutsch-chi­le­ni­schen Film­pro­jekt zur Glo­ba­li­sie­rung, reiste die Stu­den­tin der Visu­el­len Kom­mu­ni­ka­tion im Bus von Buenos Aires aus an. Sowohl diese eher unüb­li­che Anreise als auch der Auf­ent­halt in Chile war ein Erleb­nis, das sie unbe­dingt emp­feh­len kann. “Einen Schritt nach außen tun und alles aus einer andern Per­spek­tive betrach­ten, ist immer gut. Ein Land und eine Kultur kennen zu lernen und mit den Men­schen vor Ort zu leben, zu arbei­ten und zu lernen gibt Ein­bli­cke, die ein Pau­schal­ur­laub ein­fach nicht bieten kann.”

 

Dadurch, dass die Anden das Land im Osten begren­zen und im Westen der Pazi­fi­sche Ozean liegt, ist Chile durch­schnitt­lich nur 200 km breit. Dafür erstreckt es sich aber in Nord-Süd-Rich­tung über 4.300 km, was dazu führt, dass in Chile fast alle Klima- und Vege­ta­ti­ons­zo­nen zu finden sind. Von daher sollte wäh­rend des dor­ti­gen Stu­di­en­auf­ent­halts auch unbe­dingt Zeit für län­gere Aus­flüge ein­ge­plant werden. Ein paar Rei­se­tipps vorab hat Tino parat. “Chile ist das per­fekte Rei­se­land und das sicherste über­haupt in Süd­ame­rika. Reisen in Chile ist zwar ein biss­chen teurer als in den Nach­bar­län­dern, dafür aber sehr bequem und loh­nend. Beson­ders emp­feh­len würde ich eine Tour mit dem Auto im Sommer, der dort etwa von Novem­ber bis März geht. Sehr schön ist z.B. die Region de Los Lagos, eine Seen­re­gion. Die Seen dort haben das klarste Wasser, was ich je gese­hen habe – und einen akti­ven Vulkan zu bestei­gen ist defi­ni­tiv ein wahn­sin­ni­ges Erleb­nis. Außer­dem kannst du dort auch nach Her­zens­lust Raften, Para­gli­den, Surfen und diverse andere Dinge machen. Auch nicht zu ver­pas­sen: ein Besuch im Natio­nal­park Torres de Paine, auf der Oster­in­sel oder in der Atacama-Wüste.”

Da in der Ata­cama-Wüste schon mal jah­re­lang kein Regen fällt, gilt sie welt­weit als einer der tro­ckens­ten Orte. 

Doch nicht nur land­schaft­lich unter­schei­det sich Chile natür­lich von Deutsch­land, son­dern auch beim Stu­dium an z.B. der Pon­ti­fi­cia Uni­ver­sidad Cató­lica in Sant­iago de Chile gibt es Unter­schiede, wie Tino berich­tet. “Das Stu­dium in Chile ist wesent­lich ver­schul­ter. Das Niveau an der Cató­lica ist sehr hoch und liegt teil­weise über dem an der TU. Die Uni gilt als eine der besten Uni­ver­si­tä­ten in Süd­ame­rika, beson­ders für Wirt­schaft. Sie hat eine bes­tens aus­ge­stat­tete Biblio­thek, Com­pu­ter- und Vor­le­sungs­säle. Es gibt am Anfang des Semes­ters ein Pro­gramm mit Lite­ra­tur­lis­ten und Klau­su­ren. Klau­su­ren und Test werden etwa einmal im Monat geschrie­ben. Am Ende des Semes­ters gibt ein Examen, wozu man alles noch mal lernen muss.”

 

Auch für Arne war diese Art der Leis­tungs­kon­trolle eine der wich­tigs­ten Beson­der­hei­ten. Denn von der Mate­rie her war es nicht wirk­lich son­der­lich anders, auch wenn einige Sachen mehr an die Gege­ben­hei­ten in Chile ange­passt waren. Die Eva­lua­tion hat sich dage­gen eben immens unter­schie­den. “Wäh­rend ich es in Berlin gewohnt war, eine Prü­fung am Ende eines Semes­ters für einen oder gar meh­rere Kurse zu haben, so gab es dort bei fast allen Kursen Prü­fun­gen über das gesamte Semes­ter ver­teilt. Für den Kurs zu Luft­ver­schmut­zung bedeu­tete dies z.B. alle 14 Tage zehn­mi­nü­tige Tests zu Beginn der Vor­le­sung, drei zwei­stün­dige Prü­fungen wäh­rend des Semes­ters und eine, ich glaube, drei­stün­dige Prü­fung am Ende des Semesters.”

 

Doch der Auf­wand hat sich gelohnt, auch wenn Tino bei der Aner­ken­nung der Prü­fungs­leis­tun­gen erst Schwie­rig­kei­ten hatte. “Obwohl ich ein Sti­pen­dium der TU hatte und an einer Part­ner­uni war, hat sich der Prü­fungs­aus­schuss in meiner Fakul­tät quer gestellt. Einige Pro­fes­so­ren haben mir sogar emp­foh­len, doch zu klagen. Glück­li­cher­weise konnte das aber mit Hilfe des Aus­lands­amts und nach diver­sen Dis­kus­sio­nen noch gere­gelt werden.”

Bei Arne hin­ge­gen lief die Aner­ken­nung rela­tiv ein­fach, da der Stu­di­en­gang Tech­ni­scher Umwelt­schutz 30 SWS Wahl­fä­cher hat, für die belie­bige Kurse ange­rech­net werden. So auch Fächer, die an aus­län­di­schen Uni­ver­si­tä­ten besucht wurden. Für Laura war das Ganze sogar noch ein­fa­cher, da die “Som­mer­uni” zwar in Koope­ra­tion mit chi­le­ni­schen Hoch­schu­len (Uni­ver­sidad Boli­va­riana und Escuela de Cine de Chile) durch­ge­führt wird, aber eigent­lich ein außer­uni­ver­si­tä­res Pro­jekt des in Berlin ansäs­si­gen Kolleg für Manage­ment und Gestal­tung Nach­hal­ti­ger Ent­wick­lung ist.

 

Doch wich­ti­ger als das erhal­tene Zer­ti­fi­kat war ihr, an etwas ganz Beson­de­rem betei­ligt zu sein. “Da wurde mal rich­tig inter­dis­zi­pli­när gear­bei­tet und nicht nur davon gere­det, wie das gerne an deut­schen Hoch­schu­len sonst der Fall ist. Es wurden alle Rekorde gebro­chen – zumin­dest was das Semi­nar­grup­pen­al­ter betrifft. Denn das reichte von 20–60 Jahren und war eigent­lich nur pro­duk­tiv für die Zusam­men­ar­beit. Die Kom­mu­ni­ka­tion – über drei Spra­chen hinweg von deutsch nach eng­lisch und dann ins Spa­ni­sche – war nicht immer ein­fach, aber hat bestimmt dem Quer­den­ken gehol­fen und somit die Spots noch besser gemacht.”

Dass die im Film­pro­jekt ent­stan­de­nen Social Spots tat­säch­lich sowohl the­ma­tisch als auch optisch durch die kom­bi­nierte Zusam­men­ar­beit von deut­schen und chi­le­ni­schen Teil­neh­mern posi­tiv geprägt wurden, ist ihnen anzu­se­hen. Die Ergeb­nisse werden hof­fent­lich dem­nächst auch unter www.uinternacional.cl veröffentlicht.

 

Wer jetzt Lust bekom­men hat, den Sprung über den großen Teich zu wagen, sollte übri­gens recht­zei­tig mit den Vor­be­rei­tun­gen für das Aus­lands­stu­dium begin­nen. Schließ­lich sind Ter­mine für Sti­pen­dien ein­zu­hal­ten, ver­schie­denste Unter­la­gen zu besor­gen und natür­lich die spa­ni­sche Spra­che zu lernen/zu reak­ti­vie­ren. Denn mit “Hasta la vista, vbaby!” ist auch in Chile nur ein mit­lei­di­ges Lächeln zu ernten!

Holger Köhler