England: Viel Spaß und wenig Geld

Das Aus­lands­stu­dium — ein gern behan­del­tes Thema. Wie oft hat man nicht schon mit Neid diese Erfah­rungs­be­richte ande­rer Stu­den­ten gele­sen, die im Aus­land offen­bar die beste Zeit ihres gesam­ten Stu­di­ums verbringen…

Ich lebe und stu­diere jetzt seit 6 Mona­ten an der Uni­ver­sity of Exeter in Devon/Südengland und ich finde es inter­es­sant, im Zuge dieses Arti­kels dar­über nach­zu­den­ken, inwie­fern sich meine Erwar­tun­gen und auch Befürch­tun­gen hin­sicht­lich dieses Jahres im Aus­land erfüllt haben, denn oft kommt ja doch alles ganz anders, als man denkt.

Nehmen wir zunächst mal die Unter­kunft: Es wird ja gesagt, dass der Stan­dard in Eng­land nicht mit Deutsch­land zu ver­glei­chen ist. Kann ich voll bestä­ti­gen. Ich wohne in einer 4er WG auf dem Campus und habe ein eige­nes Zimmer mit Wasch­be­cken (oft muss man sich als “Fres­her” das Zimmer mit jeman­dem teilen), das groß­zü­gig berech­net viel­leicht 9 Qua­drat­me­ter groß und wirk­lich nicht beson­ders schön ist. Die Wände sind von diver­sen Pos­tern und Fotos meiner Vor­mie­ter ziem­lich kaputt und der Tep­pich hat auch schon bes­sere Tage gese­hen. Wenn ich daran denke dass ich dafür monat­lich mehr zahle als für meine kom­plette Woh­nung in Berlin ist das schon ein biß­chen frus­trie­rend. Man darf ein­fach nicht mit zu hohen Erwar­tun­gen an die Woh­nungs­frage ran­ge­hen. Viele inter­na­tio­nale Stu­den­ten sind gera­dezu geschockt wenn sie ihr Zimmer zum ersten Mal sehen, aber wenn man sich von vorn­her­ein darauf ein­stellt, seine Ansprü­che für ein Jahr etwas her­un­ter­zu­schrau­ben, dann kann man das Ganze mit Humor nehmen. In der ersten Woche wurden über­all auf dem Campus Poster ver­kauft, so dass man die schlimms­ten Fle­cken an den Wänden prima über­de­cken kann. 

 

Was die Uni und die Stu­den­ten­ver­tre­tung hier in der Fresher’s Week, der Ein­füh­rungs­wo­che, auf die Beine gestellt haben, war wirk­lich noch beein­dru­cken­der als ich es mir vorgestellt

“Eng­land ist 

unglaub­lich teuer.” 

 

hatte. Jeden Tag gab es zig ver­schie­dene Ver­an­stal­tun­gen. Offi­zi­elle Begrü­ßun­gen vom Prä­sidenten und dem Stu­den­ten­ver­tre­ter, Campus- und Stadt­füh­run­gen, Sport, Aus­flüge ans Meer und in umlie­gende Städte, Kino, Thea­ter­vor­füh­run­gen, Ein­füh­rungs­ver­an­stal­tun­gen der ein­zel­nen Insti­tute und Fach­be­rei­che und Partys, Partys, Partys. Auf dem ganzen Campus rann­ten Stu­den­ten der höhe­ren Jahr­gänge in leuch­ten­den oran­gen T‑Shirts herum, um even­tu­elle Fragen zu beant­wor­ten, Wege zu erklä­ren und Pro­bleme zu lö­sen. Alles war so gut orga­ni­siert, man hatte über­haupt keine Gele­gen­heit, sich einsam oder ver­lo­ren zu fühlen. Da viele Ver­an­stal­tun­gen spe­zi­ell für inter­na­tio­nale Stu­den­ten ange­bo­ten wurden, kam man mit denen am schnells­ten in Kon­takt. Das ist auch gut so, da der Alters­un­ter­schied zwi­schen einem UK-Fres­her und Aus­tausch­stu­den­ten schon erheb­lich ist. Wirk­li­che Freund­schaf­ten zu Eng­län­dern sind aus diesen

“Partys, Partys,

Partys.”

 

Grün­den nicht gerade die Regel, was ich ein biss­chen schade finde. Erst in den Semi­na­ren und Vor­le­sun­gen kommt man wirk­lich mit Eng­län­dern in Kon­takt, da ein Groß­teil der Arbeit aus Gruppenprä­sentationen besteht. Außer­dem sind die Semi­nare sehr klein, bei höchs­tens 20 Stu­den­ten ist es nicht schwer, alle kennen zu lernen. Wenn man da an Pro­se­mi­nare an der FU mit ca. 100 Leuten zurück­denkt, von denen man viel­leicht 15 grüsst und mit einem auch mal länger gespro­chen hat, lernt man dieses System schnell schät­zen. Wäh­rend ich hier pro Woche nur 9 SWS belegt habe ist der Anteil an eige­ner Recher­che erheb­lich größer als in Deutsch­land. Es wird sehr viel gele­sen und man muss sich inten­siv vor­be­rei­ten, da hier alle sehr dis­kus­si­ons­freu­dig sind und man sich nicht ein­fach zurück­leh­nen und zuhö­ren kann. 

 

Von einer Cam­pus­uni­ver­si­tät kann man in Berlin ja nicht wirk­lich reden. Die Uni­ver­sity of Exeter dage­gen erstreckt sich über einen Hügel in der Nähe der Stadt, alle Gebäude sind zu Fuß zu errei­chen. Darauf hatte ich mich sehr gefreut und es gefällt mir auch jetzt noch sehr gut. Man kann mühe­los den ganzen Tag auf dem Campus ver­brin­gen, ohne sich zu lang­wei­len, denn die Uni funk­tio­niert wie eine eigene kleine Stadt: es gibt einen Radio- und einen Fern­seh­sen­der, eine einmal wöchent­lich erschei­nende Zei­tung, Super­märkte, eine Bank, ver­schie­dene Geschäfte und einige Restau­rants und Knei­pen. Außer­dem sind alle Insti­tute tech­nisch sehr gut aus­ge­stat­tet. Alle Stu­den­ten bekom­men auto­ma­tisch eine Email-Adresse, und über­all findet man rie­sige Com­pu­ter­räume. Einige Semi­nare haben eigene Home­pages, und es ist abso­lut üblich, Texte und Handouts per Email zu ver­tei­len. Ich bin über­rascht, wie sehr sich die Stu­den­ten hier mit ihrer Uni­ver­si­tät ver­bun­den fühlen. Neben dem eigent­li­chen Stu­dium hat man auch in einem großen Teil seiner Frei­zeit mit der Uni zu tun, denn unge­fähr jedes erdenk­li­che Hobby wird hier ange­bo­ten, ange­fan­gen bei zig ver­schie­de­nen Sport­ar­ten. Mit der rie­si­gen Viel­falt kann sich unser berühmt-berüch­tig­ter Hoch­schul­sport wirk­lich nicht messen! Aber bei Sport bleibt es nicht: in der ersten Stu­di­en­wo­che haben sich beim soge­nann­ten “Fres­hers-Squash” die Socie­ties vor­ge­stellt denen man als Student

“Es ist ja ein weit 

ver­brei­te­tes Gerücht dass die Eng­län­der gerne viel trinken. ”

 

bei­tre­ten kann. Da gibt es wirk­lich alles an Unter­hal­tungs­mög­lich­kei­ten, was man sich vor­stel­len kann. Ich bin davon ziem­lich begeis­tert, weil ich mit so einem viel­fäl­ti­gen Ange­bot nicht gerech­net hatte. Von Thea­ter über alle Arten von Bands bis hin zur Break-Beat oder Out-Of-Door-Society (die ver­an­stal­ten Wan­de­run­gen) kann man so ziem­lich alles aus­pro­bie­ren, was man schon immer mal kennen lernen wollte. Es gibt auch die Expe­di­tion-Society die aben­teu­er­li­che Wochen­end­trips unter­nimmt und so Späße wie die Bier‑, Cock­tail- oder Wein­so­ciety, wo logi­scher­weise immer nur getrun­ken wird. Ich bin unter ande­rem in der Inter­na­tio­nal Society. Die bieten Fahr­ten durch ganz Groß­bri­tan­nien an, man lernt für unglaub­lich wenig Geld sehr viel vom Land kennen. All das wird von Stu­den­ten orga­ni­siert und gelei­tet — meiner Mei­nung nach ein beacht­li­ches Enga­ge­ment. Auch für das See­len­heil der Stu­den­ten sorgt die Stu­den­ten­ver­tre­tung hier, aber nicht mit Mit­ar­bei­tern wie den bei uns ja sehr belieb­ten “Frau­en­be­auf­trag­ten”, son­dern gleich mit einer Hot­line, wo man 24 Stun­den am Tag seine Pro­bleme und Sorgen los­wer­den kann. 

 

Was mich am Anfang völlig ver­wirrt hat, ist der hie­sige Umgang mit Alko­hol. Es ist ja ein weit ver­brei­te­tes Gerücht, dass die Eng­län­der gerne viel trin­ken. Das trifft auch durch­aus zu, was mich aber abso­lut ver­wun­dert ist die Tat­sa­che, dass man dazu von allen Seiten auch noch ermun­tert wird! Der Prä­si­dent der Uni­ver­si­tät zum Bei­spiel hat einen Groß­teil seiner Begrü­ßungs­rede damit ver­bracht, von “han­go­vern” zu reden was so viel heißt wie “einen Kater haben”. Und der hat das nicht ver­ur­teilt oder zu ver­nünf­ti­gem Umgang mit Alko­hol auf­ge­for­dert, nein, er fand das völlig normal und ganz prima. Nach­dem er uns dann auch noch mit­ge­teilt hat, wo wir kos­ten­los Kon­dome bekom­men können, habe ich dann gar nichts mehr ver­stan­den. Man stelle sich mal bitte vor, der Prä­si­dent einer unser Ber­li­ner Unis würde eine Rede zum Thema safer sex halten! Da man also hier von allen Seiten volle Unter­stüt­zung bekommt was aus­ge­hen und feiern angeht, wird das auch exzes­siv aus­ge­lebt. Und es wird auch gerne mal schon am Nach­mit­tag ange­fan­gen zu trin­ken, schließ­lich ist ja um 23 Uhr schon wieder Schluss. Wenn m
an also in Berlin die Woh­nung ver­lässt kommt man hier schon wieder nach Hause. Ich dachte, das würde mich ziem­lich stören, aber so schlimm ist es gar nicht. Der größte Vor­teil besteht darin, dass man spä­tes­tens am nächs­ten Mittag wieder fit ist, ganz egal, wie viel man getrun­ken hat!

 

Schon bei meinem Aus­wahl­ge­spräch für diesen Aus­lands­auf­ent­halt wurde ich gefragt, was ich vom eng­li­schen Essen halte. Damals habe ich mich nicht getraut den Herren von der Prü­fungskommission zu erzäh­len dass ich es abso­lut abscheu­lich finde, weil ich dachte, das würde viel­leicht keinen guten Ein­druck hin­ter­las­sen. Ich denke immer noch, dass die Briten das Kochen nicht gerade zu einer Kunst erho­ben haben — diese selt­sa­men Saucen die hier 

“Alle Insti­tute tech­nisch sehr gut ausgestattet.”

 

über alles drü­ber­ge­kippt werden sind ein­fach nicht mein Fall, und auch die Vor­liebe für Inne­reien, ver­ar­bei­tet zu irgend­wel­chen Kuchen oder Pas­te­ten, kann ich nicht teilen. Aber ich muss sagen, es gibt auch einige gute Sachen so dass ich mich nicht wie befürch­tet nur von Nudeln ernäh­ren muss. Leider ist das, was ich hier mag, gleich­zei­tig samt und son­ders völlig unge­sund. Fish and Chips wird tat­säch­lich über­all geges­sen und ist meis­tens sehr lecker, sogar wenn man Essig drü­ber­kippt schmeckt es noch gut. Auch diverse gefüllte Pies kann ich emp­feh­len, alles was Cadbury’s an Scho­ko­lade anbie­tet und Jacket Pota­toes, Foli­en­kar­tof­feln mit allen erdenk­li­chen Fül­lun­gen die meis­tens zum Groß­teil aus Mayon­naise bestehen. Das mit Abstand aller­beste ist aller­dings “Devon Cream Tea”, bestehend aus Scones, einem Gebäck das ent­fernt an Muf­fins erin­nert, mit Clot­ted Cream (so einer Mischung aus But­ter­creme und Sahne) und Mar­me­lade. Dazu trinkt man lecke­ren Tee und das Ganze ist eine süd­eng­li­sche Spe­zia­li­tät. Ehr­lich, allein des­we­gen lohnt es sich schon, hier­her zu kommen! 

 

Eng­land ist unglaub­lich teuer. Oh ja, das stimmt. Auch diese Tat­sa­che habe ich mir vor meiner Anreise oft vor Augen geführt. Trotz­dem haben mich die ersten Gänge zum Super­markt geschockt. Als geübte Aldi-Ein­käu­fe­rin bin ich mit den hie­si­gen Prei­sen wirk­lich nicht klar­ge­kom­men — und habe auch jetzt noch arge Pro­bleme damit. Die füh­ren­den Super­markt­ket­ten Sainsbury’s und Tesco erschie­nen mir uner­schwing­lich — leider gibt es aber keine Alter­na­tive. Am scho­ckie­rends­ten sind noch die Alko­hol­preise. Bier ist doch wahr­haf­tig fast teurer als in der Kneipe, die Logik hin­ter­schaue ich ein­fach nicht. Und die Fla­sche Wein die man ja gerne bei jedem Ein­kauf “auf Vorrat” mit­nimmt, um sie gleich abends zu trin­ken und beim nächs­tem Mal eine neue zu kaufen ist hier tabu, denn Wein unter 10 DM ist nicht zu bekommen. 

 

Alles in allem kann ich wirk­lich bisher nur posi­tiv auf meine Zeit hier zurück­bli­cken. Seit meiner Ankunft habe ich noch nicht viele Ent­täu­schun­gen erlebt — höchs­tens mal die eine oder andere Über­ra­schung. Vor allem aber hatte ich schon jede Menge Spaß und blicke mit einem lachen­den und einem wei­nen­den Auge auf meine Rück­kehr nach Berlin zurück.

 

Katha­rina Tebroke