Der erste Arzt

Es gibt nur wenige wirk­lich unschöne erste Male in der Aus­bil­dung zum Arzt. Schmerz­haft wurde es, als ich das erste Mal ein­fach nur Ange­hö­ri­ger eines schwer erkrank­ten und dann ver­stor­be­nen Ver­wand­ten war. Da war ich kein Medi­zin­stu­dent oder Arzt, son­dern Pri­vat­per­son und musste akzep­tie­ren, dass manche Enden unaus­weich­lich sind.

Einen ein­deu­ti­gen Zeit­punkt, ab dem man plötz­lich Arzt ist, gibt es nicht. Im Stu­dium beschäf­tigt man sich von Beginn an mit zu Vielem, als dass man wohl mit bestan­de­nem Examen sagen würde “Jetzt bin ich Arzt?”.

Ich selbst stehe gerade am diesem “Wen­de­punkt?” — im Prak­ti­schen Jahr genieße ich noch ein wenig den Status des Stu­den­ten, werde aber immer am “Ernst des Arzt-Lebens?” nach dem Staats­examen gemes­sen. Spä­tes­tens danach sollte all die Theo­rie des Stu­di­ums abruf­bar und parat sein. Bin ich erst dann zum ersten Mal wirk­lich Arzt?

Wäh­rend des Stu­di­ums wächst man gut in seine Beru­fung hinein und macht so manche “erste Male?” durch. Man bewäl­tigt schein­bar unüber­wind­bare Dinge wie die jener Ein­stiegs­klau­su­ren, die einen großen Teil der Stu­den­ten erst mal “aus­siebt?”.

Die Ekel und Ängste im Prä­pa­ra­ti­ons­saal — wo es in Wirk­lich­keit kaum so mar­tia­lisch zugeht, wie es Film und Fern­se­hen denken lassen — werden über­wun­den. Ich wurde gut darauf vor­be­rei­tet, was auf mich zukam. Dort durch­lebt jeder Arzt­an­wär­ter den Moment des Respekts vor ande­ren. Beim Anblick des “Prä­pa­rats?” kommt der Gedanke “wer war dieser Mensch, was hat er bewirkt, warum musste er ster­ben??” Jetzt liegt er im Prä­pa­ra­ti­ons­saal, er hat sich bzw. seinen Körper nach dem Tod für die Stu­den­ten bereit­ge­stellt. War er vorher Pati­ent? Wie wurde er betreut und ver­sorgt? Fragen.

Nach der größ­ten Hürde, dem Phy­sikum, bin ich plötz­lich das erste Mal “Kol­lege?”. Wäh­rend der Famu­la­tu­ren und Prak­tika fühlte ich mich immer siche­rer, und meine Ver­ant­wor­tung wuchs. Im Prak­ti­schen Jahr vor dem Staats­examen weiß ich immer einen echten Arzt wie einen schüt­zen­den Schat­ten hinter mir, wenn ich mich um die Pati­en­ten küm­mere. Zwar ist es nur Übung, aber so ent­steht das Gefühl dafür, wie es sein wird, wenn ich später allein Ent­schei­dun­gen zu tref­fen habe.

Selbst als Arzt werden Momente kommen, in denen ich mich frage, ob ich meine Arbeit wirk­lich hun­dert­pro­zen­tig gut gemacht habe. Dieses erste Mal?g erwar­tet mich. Ich weiß nicht, ob ich mich vor ihm fürchte.

Ich freue mich auf die vielen “ersten Male?”, die mir dieser Beruf brin­gen wird. Jeder Pati­ent ist ein eige­ner neuer Mensch. Jedem Pati­en­ten will ich als Arzt gute Hilfe und Unter­stüt­zung sein.