Erst mal Urlaub

Mor­gens, halb acht in Wales. Kälte, Sturm, Sire­nen und ich mit­ten­drin. In meinem dem Wetter nicht ange­pass­ten Schlaf­dress stehe ich mit ver­quol­le­nen Augen am Meer und friere. Wie konnte es so weit kommen? Im Januar habe ich beschlos­sen, ich brau­che vor dem Staats­examen unbe­dingt Ferien. Also ab ins Ausland.

Ein halbes Jahr später fliege ich nach London und reise von dort zum gefühl­ten Ende der Welt. Wer glaubt, eine Bahn­fahrt durch Bran­den­burg sei lang­wei­lig, hat keine Ahnung. Wohin man nur sieht: Weiden und Schafe. Davon gibt es hier mehr als Ein­woh­ner. Aber ich dachte mir, wer aus einer Groß­stadt kommt, hat von einer Klein­stadt mehr als bei­spiels­weise von London. Also wage ich mich nach Abe­ryst­wyth, ein 20.000-Seelen-Ort an der West­küste von Wales. Im Januar habe ich beschlos­sen, ich brau­che vor dem Staats­examen unbe­dingt Ferien.

Im kalten Wales wird man schnell mit­ein­an­der warm. Foto: Sandra Gerstädt

Die Tages­reise mit meinem 30-Kilo-Koffer endet in einer Neun-Qua­drat­me­ter-Kammer im Wohn­heim. Es ist duster, aber ich habe ein großes Bett. Ein fairer Aus­gleich zur Innen­hof­an­sicht. Für schlappe 450 Euro im Monat  da soll mal einer meckern. Das Appartement?g teile ich mit sieben Leuten. Wir haben zwei Bäder und eine große Küche, die unser Auf­ent­halts­raum ist. Dort spielt sich der Alltag ab. Das Zimmer ist nur die Abstell- und Schlaf­kam­mer. Ich stelle fest, dass ich hier andere Schwer­punkte setzen muss, um eine gute Zeit zu haben.

Man darf gar nicht erst anfan­gen, sich im Wohn­heim fest­zu­set­zen. Hier gibt es viele Stu­den­ten aus sämt­li­chen Län­dern: Ein­fach anspre­chen und dann geht es nach drau­ßen. Da gibt es das Meer und 50 Pubs; eine höhere Pub-Dichte gibt es nir­gendwo sonst in Großbritannien.

Wenn man alles Lebens­wich­tige direkt vor der Tür hat, nimmt man gern in Kauf, nach dem drit­ten Feu­er­alarm drau­ßen zu zit­tern, nur weil manche zum Rau­chen nicht raus­ge­hen. So sieht man end­lich alle Leute, die im selben Haus wohnen. Nach zehn Minu­ten habe ich mit jedem Mit­be­woh­ner ein Foto vorm Feu­er­wehr­auto, und die Rau­cher bezah­len für den Spaß.

Hier ist eben alles anders. Alles ver­rückt! Wo sonst geht man ins Pub und trifft auf 20 Stu­den­ten, die als Oma ver­klei­det Wodka-Shots trin­ken. Nicht zu ver­ges­sen die als Schlumpf bemal­ten Irren, die bei 10 Grad halb­nackt durch die Stra­ßen tor­keln. Wie ein Frei­zeit­park mit Pro­gramm rund um die Uhr! Am Ende jedes schö­nen Tages liegen die Frei­zeit-Ani­ma­teure fried­lich auf dem Bür­ger­steig und schla­fen, bis die Sonne am Hori­zont erscheint.

So ist das im Land des schlech­ten Geschmacks. Aber man muss den Briten wirk­lich zugute halten: Sie sind die freund­lichs­ten Men­schen, die ich bisher getrof­fen habe. Hier werde ich stets mit einem It was nice to meet you?g ver­ab­schie­det. Und die meinen es ernst. Ob an der Uni oder im Super­markt  jeder scheint das, was er macht gern zu tun. Wie abnormal.

Nichts­des­to­trotz muss man mit seinen Erwar­tun­gen auf­pas­sen. Wenn einem jeder erzählt, wie geil es wird und man sich darauf ein­stellt, wird man ent­täuscht. Das Wohn­heim ist nicht das Hilton, das Essen nicht gesund und die Stadt?g nun mal nicht Berlin. Aber man lernt es schnell lieben. Wenn man beim Son­nen­un­ter­gang am Meer sitzt, möchte man nie wieder hier weg, obwohl erst eine Woche hinter einem und ein Jahr vor einem liegt.