Leben in Schwarz-Weiß

In unse­rer neon­über­flu­te­ten Welt

scheint eines fad und farb­los: unser Denken.

Unsere bunte Welt bekommt klare Schwarz-

Weiß-Kon­tu­ren. So glau­ben wir, ihre Komplexität

besser grei­fen zu können. Gut und

schlecht, sym­pa­thisch und unsympathisch,

schwarz und weiß. US-Prä­si­dent George W.

Bush teilt die Welt in die Lager gut und böse

ein. MTV stellt die Sinn­frage ?Hot oder not?,

und im Moment des Lie­bes­kum­mers sind

?sowieso alle Männer gleich?. So ist die Welt

gleich viel übersichtlicher.

Schwarz-Weiß-Denken ist bei klei­nen Kin­dern normal, denn sie müssen erst eigene Erfah­run­gen sam­meln und Bewer­tungs­sys­teme auf­bauen. Im Alter von etwa zehn Jahren lernen die Kinder zu rela­ti­vie­ren, und das Denken in den ein­fa­chen Kate­go­rien sollte sich auf­lö­sen. Schwarz-Weiß-Denken ist ein zwei­schnei­di­ges Schwert. Einer­seits hilft es, die Wahr­neh­mun­gen zu sor­tie­ren. Ande­rer­seits beschrän­ken diese Schub­la­den den Blick auf unsere Welt  obwohl wir bereits den Kin­der­schu­hen ent­wach­sen sind.

Unbunte Farben
Unser Leben läuft eigent­lich nur in Schwarz-Weiß ab. Jeden­falls scheint es für die meis­ten ein­fa­cher, in groben Extre­men zu denken als in feinen Grau­stu­fen. Foto: Albrecht Noack

Als schwar­zes Schaf habe ich keine guten Karten, wahr­schein­lich sogar den Schwar­zen Peter. Pes­si­mis­ten sehen schwarz, Melan­cho­li­ker haben schwar­zes Blut, und der Schwarz­han­del, das Schwarz­fah­ren und die Schwarz­ar­beit sind ille­gal. Wenn Schwarz über­haupt eine Farbe ist eine Frage, an der sich die Geis­ter schei­den. Schwarz ist ent­schie­den un-bunt, und in vie­ler­lei Hin­sicht der Inbe­griff der Abwe­sen­heit aller Farbe, das Nichts. In Schwarz trau­ern wir. Fins­ter­nis und Leere werden von Schwarz ver­kör­pert, so ist es kein Wunder, dass Schwarz das Nega­tive in Person ist.

Wer einen guten Cha­rak­ter hat, trägt eine weiße Weste. Wenn es Weih­nach­ten schneit, herrscht Freude; Weiße Weih­nacht ist der Inbe­griff von Har­mo­nie. Zum Trau­al­tar gehe ich im unschul­dig reinen Weiß. Weiße Haare signa­li­sie­ren nicht nur wür­di­ges Alter, son­dern auch Weis­heit. Und wenn nichts gelingt die Weiße Magie hilft.

Auf den zwei­ten Blick erhellt sich Schwarz und Weiß ver­blasst. Vorbei mit der Schwarz­ma­le­rei! Begeg­net uns mor­gens beim Gang zum Bäcker ob Weiß- oder Schwarz­brot, ist egal der Schorn­stein­fe­ger, ver­heißt das Glück. Abends wirken Frauen im klei­nen Schwar­zen beson­ders sexy, ein Smo­king ver­hilft jedem Mann zur Ele­ganz. Das Konto schreibt schwarze Zahlen wun­der­bar. Auch in ande­ren Län­dern und Kul­tu­ren ist schwarz posi­tiv besetzt. In Afrika, dem Schwar­zen Kon­ti­nent, ist schwarz bei­spiels­weise die Farbe der frucht­ba­ren Erde.

Weiß ist irgend­wie auch leer. Ein weißes Blatt Papier ver­ur­sacht bei Prü­fun­gen Todes­ängste. Weiße Spuk­ge­stal­ten ängs­ti­gen uns. Schwarze Limou­si­nen sind ein­fach schi­cker als weiße. Auch Weiß ist farb­los, un-bunt und drückt Kälte aus. Aus jedem fahl-ste­ri­len Kran­ken­haus­flur möchte man sofort flie­hen. Wird Weiß gar dre­ckig, ist ohne­hin alle Rein­heit verflogen.

Flucht vor der Farbe

Schwarz-Weiß ist zeit­los schön. Eine solche Foto­gra­fie besitzt eine eigene Ästhe­tik und scheint höhe­ren doku­men­ta­ri­schen Wert zu haben als das glei­che Bild in Farbe. Der Ver­zicht auf Bunt­heit ver­mit­telt Sach­lich­keit und Funk­tio­na­li­tät Begeis­tern uns ein­fach klare Kon­traste oder miss­trauen wir der Farbe? Über die abso­lute Hel­lig­keit Weiß und die abso­lute Dun­kel­heit Schwarz können sich alle ver­stän­di­gen. Aber Rot, Gelb, Blau, Grün da sieht jeder andere Farb­nu­an­cen, hat andere Asso­zia­tio­nen, emo­tio­nale Reak­tio­nen. Ist Schwarz-Weiß nur die Flucht vor der Unzu­ver­läs­sig­keit der Farbe?

Es macht das Leben ein­fa­cher, die Welt in Gut und Böse ein­zu­tei­len. Wir wissen jedoch, dass das Leben kein Mär­chen ist und können uns für die Zwi­schen­töne zwi­schen den beiden Extre­men begeis­tern. Höchste Zeit, dass jemand ein Plä­doyer für Grau in all seinen wun­der­ba­ren Abstu­fun­gen hält!