Leben in Schwarz-Weiß
In unserer neonüberfluteten Welt
scheint eines fad und farblos: unser Denken.
Unsere bunte Welt bekommt klare Schwarz-
Weiß-Konturen. So glauben wir, ihre Komplexität
besser greifen zu können. Gut und
schlecht, sympathisch und unsympathisch,
schwarz und weiß. US-Präsident George W.
Bush teilt die Welt in die Lager gut und böse
ein. MTV stellt die Sinnfrage ?Hot oder not?,
und im Moment des Liebeskummers sind
?sowieso alle Männer gleich?. So ist die Welt
gleich viel übersichtlicher.
Schwarz-Weiß-Denken ist bei kleinen Kindern normal, denn sie müssen erst eigene Erfahrungen sammeln und Bewertungssysteme aufbauen. Im Alter von etwa zehn Jahren lernen die Kinder zu relativieren, und das Denken in den einfachen Kategorien sollte sich auflösen. Schwarz-Weiß-Denken ist ein zweischneidiges Schwert. Einerseits hilft es, die Wahrnehmungen zu sortieren. Andererseits beschränken diese Schubladen den Blick auf unsere Welt obwohl wir bereits den Kinderschuhen entwachsen sind.
Als schwarzes Schaf habe ich keine guten Karten, wahrscheinlich sogar den Schwarzen Peter. Pessimisten sehen schwarz, Melancholiker haben schwarzes Blut, und der Schwarzhandel, das Schwarzfahren und die Schwarzarbeit sind illegal. Wenn Schwarz überhaupt eine Farbe ist eine Frage, an der sich die Geister scheiden. Schwarz ist entschieden un-bunt, und in vielerlei Hinsicht der Inbegriff der Abwesenheit aller Farbe, das Nichts. In Schwarz trauern wir. Finsternis und Leere werden von Schwarz verkörpert, so ist es kein Wunder, dass Schwarz das Negative in Person ist.
Wer einen guten Charakter hat, trägt eine weiße Weste. Wenn es Weihnachten schneit, herrscht Freude; Weiße Weihnacht ist der Inbegriff von Harmonie. Zum Traualtar gehe ich im unschuldig reinen Weiß. Weiße Haare signalisieren nicht nur würdiges Alter, sondern auch Weisheit. Und wenn nichts gelingt die Weiße Magie hilft.
Auf den zweiten Blick erhellt sich Schwarz und Weiß verblasst. Vorbei mit der Schwarzmalerei! Begegnet uns morgens beim Gang zum Bäcker ob Weiß- oder Schwarzbrot, ist egal der Schornsteinfeger, verheißt das Glück. Abends wirken Frauen im kleinen Schwarzen besonders sexy, ein Smoking verhilft jedem Mann zur Eleganz. Das Konto schreibt schwarze Zahlen wunderbar. Auch in anderen Ländern und Kulturen ist schwarz positiv besetzt. In Afrika, dem Schwarzen Kontinent, ist schwarz beispielsweise die Farbe der fruchtbaren Erde.
Weiß ist irgendwie auch leer. Ein weißes Blatt Papier verursacht bei Prüfungen Todesängste. Weiße Spukgestalten ängstigen uns. Schwarze Limousinen sind einfach schicker als weiße. Auch Weiß ist farblos, un-bunt und drückt Kälte aus. Aus jedem fahl-sterilen Krankenhausflur möchte man sofort fliehen. Wird Weiß gar dreckig, ist ohnehin alle Reinheit verflogen.
Schwarz-Weiß ist zeitlos schön. Eine solche Fotografie besitzt eine eigene Ästhetik und scheint höheren dokumentarischen Wert zu haben als das gleiche Bild in Farbe. Der Verzicht auf Buntheit vermittelt Sachlichkeit und Funktionalität Begeistern uns einfach klare Kontraste oder misstrauen wir der Farbe? Über die absolute Helligkeit Weiß und die absolute Dunkelheit Schwarz können sich alle verständigen. Aber Rot, Gelb, Blau, Grün da sieht jeder andere Farbnuancen, hat andere Assoziationen, emotionale Reaktionen. Ist Schwarz-Weiß nur die Flucht vor der Unzuverlässigkeit der Farbe?
Es macht das Leben einfacher, die Welt in Gut und Böse einzuteilen. Wir wissen jedoch, dass das Leben kein Märchen ist und können uns für die Zwischentöne zwischen den beiden Extremen begeistern. Höchste Zeit, dass jemand ein Plädoyer für Grau in all seinen wunderbaren Abstufungen hält!