USA: Ein Biss vom Big Apple
Sechs Monate Automobilpraktikum im extremen New York
Die Zusage für das New-York-Praktikum in der Tasche trat ich voller Tatendrang die formellen Vorbereitungen an. Dafür hatte ich sieben Wochen Zeit. Die German American Chamber of Commerce übernahm die geforderte Bürgschaft, damit ich mein Visum bekommen konnte. Wegen des amerikanischen Sicherheitsbedürfnisses waren schier endlose Formulare auszufüllen, jedes noch so intimste Detail lückenlos auszuplaudern, alles in der Hoffnung, dass einem die Tür ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten geöffnet wird.
Auch der Preis für das Visum ist eine Hürde. Das Gesamtpaket mit Sechs-Monats-Visum, Krankenversicherung und Bearbeitungsgebühren kostet 750 Euro, Zusatzgebühren für Expressbearbeitung, eine Abgabe an das US-Innenministerium und einen biometrischen Reisepass nicht mitgerechnet. Ich musste im Konsulat in Frankfurt vorsprechen, die Botschaft in Berlin war heillos überlastet. Ich musste beweisen, dass ich nach dem Praktikum nicht im Land verbleiben werde. Mein Visum erhielt ich einen Tag vor Abflug, welch Zitterpartie.
Alle Hände voll
Während der sechs Monate wohnte ich an drei pulsierenden Orten der Stadt: Harlem, Columbia, Garment District und lernte Menschen jeglicher Facon kennen. An das allmorgendliche „Hey sexy, feeling good?“ von Horden herumlungernder Rastafari-Arbeiter gewöhnte ich mich schnell, genau wie an den gepflegten Balanceakt von „Take Away Latte“, „Low fat cream cheese Bagel“, Laptoptasche und gezücktem Metroticket mit nur zwei Händen.
Mein Praktikum absolvierte ich bei einem deutschen Automobilhersteller im Marketing. Da sprach man zum Essen immer deutsch, die Arbeit am Telefon und an Präsentationen erforderte jedoch fundiertes Businessenglisch. Mein Praktikumsgehalt von 1.500 Dollar reichte für Miete, Metroticket und Lebensmittel. Im Gegensatz zu meinesgleichen in Mode, Medien und Verlagswesen, die oft wenig oder gar nichts verdienten, war es gut vergütet. Am besten verdienen mit bis zu 30 Dollar pro Stunde Rechtsanwälte und Investmentbanker im Praktikum.
NYC bei Regen oder Schnee ist immer ein Abenteuer. Es erwischt die Millionenstadt wie ein Querschläger unerwartet und bisweilen tödlich. Überflutete U‑Bahn-Schächte, zerfetzte überirdische Telefon- und Stromleitungen und Unfälle auf Sommerreifen. Es ist schon tragisch-komisch mitanzusehen, wie der Schneepflug den Straßenschnee zunächst an den Rand bläst, wo ihn Minuten später gestresste Autofahrer wieder mühselig von ihrem Auto schaufeln. Businessleute in Nadelstreifen und Gummistiefeln oder Regenschutzsäcke für Ladypumps für einen Dollar gibt es nur hier.
Die Mischung machts
Überhaupt mixen die Einheimischen zumeist das Ansprechende mit dem Praktischen: Jogginghose und Gucci-Tasche, Kokain und Biomilch, Saubermannsenator und Sexaffäre. Es gibt nichts, was es nicht gibt im extremen New York. Über totale Dekadenz oder bittere Armut entscheiden nur ein paar Straßenzüge.
Die Durchschnittsgeschwindigkeit der New Yorker Fußgänger ist unübertroffen. New Yorker reden immer über die Arbeit, den Stress, das Gehalt und kategorisieren ihren Gegenüber danach. Die New Yorker haben keine Zeit, was die oft kritisierte Oberflächlichkeit erklärt. New York zieht die Besten ihres Fachs an, die kommen, um es zu schaffen. Glamour und Elend täglich vor Augen, treiben sie sich selbst zu immer größeren Leistungen an, und Zeit gerät im Gegensatz zu Geld zu etwas sehr Seltenem und daher Kostbarem.