Das Erwachen danach ‑1968

Vor 40 Jahren sah die Welt noch anders aus. Zahl­rei­che Ver­öf­fent­li­chun­gen gehen dem Mythos „68er“ nach.

T‑Shirts mit dem Auf­druck von Ches Gesicht gehö­ren zum kul­tu­rel­len Gemein­gut. Aber wer denkt dabei an die Frie­dens­be­we­gung der 68er, in der man gegen den Viet­nam­krieg demons­trierte? Wer denkt an Dutschke und Ohnes­org? Wer denkt an die Beset­zung der Springer-Druckereien?

Als im Mai 1968 große stu­den­ti­sche Unru­hen mit wochen­lan­gen Gene­ral­streiks in Paris ent­stan­den, wurde der revo­lu­tio­näre Gedanke ver­stärkt und brei­tete sich weiter aus: Nicht nur in Europa, auch in den USA und Japan taten sich vor allem die bür­ger­li­chen Schich­ten sowie Stu­den­ten zusam­men und demons­trier­ten gegen Auto­ri­tä­ten und Kon­ser­va­tis­mus, für sexu­elle Frei­heit und bes­sere Stu­di­en­be­din­gun­gen. In den USA grün­dete sich die Bür­ger­rechts­be­we­gung „Black Power“. Am 21. August 1968, bekannt als „Prager Früh­ling“, wurden die Reform­ver­su­che in der  SSR gewalt­sam zer­schla­gen. Auf der ganzen Welt stan­den sich kul­tu­relle, poli­ti­sche und wirt­schaft­li­che Kräfte gegen­über. Der Grund: Die Befrei­ung des Menschen.

Kurs­buch 11–15 1968: Revo­lu­tion in Lateinamerika.

„Nennen wir die Welt, für deren Zukunft Che Gue­vara gefal­len ist, bei ihrem rich­ti­gen Namen, nennen wir sie die Erste Welt, denn sie ist größer als jede andere. [… ] Was hat die unsere dage­gen zu bieten?“, fragt sich Peter Weiss in seinem Kurs­buch-Bei­trag. Vier der von Hans Magnus Enzens­ber­ger her­aus­ge­brach­ten Maga­zine, in denen die intel­lek­tu­elle Oppo­si­tion der 70er Jahre zu Wort kam, erschei­nen anläss­lich des 40. Jah­res­ta­ges in einer Son­der­aus­gabe im Suhr­kamp Verlag.

Ursachen weiterhin unklar

Die Dyna­mik, die zu dieser brei­ten und welt­weit akti­ven Pro­test­welle und mas­sen­haf­tem Auf­be­geh­ren führte, haben die Wis­sen­schaf­ten bis heute nicht end­gül­tig geklärt. In dem Band „1968 – Vom Ereig­nis zum Mythos“ ver­su­chen Wis­sen­schaft­ler, Phi­lo­so­phen und Zeit­zeu­gen durch sys­te­ma­ti­sche Ana­ly­sen Ant­wor­ten zu finden.

1968 – Vom Ereig­nis zum Mythos.

„Ganz anders als die Revo­lu­tion frü­he­rer Geschichts­pe­ri­oden rich­tet sich diese Oppo­si­tion gegen die Tota­li­tät einer gut funk­tio­nie­ren­den, gedeih­li­chen Gesell­schaft – ein Pro­test gegen ihre Form, die Waren­form von Men­schen und Dingen, gegen die Auf­bür­dung fal­scher Werte und einer fal­schen Moral“, erklärt Her­bert Mar­cuse in seinem 1969 erst­mals erschie­nen­dem Essay „Ver­such über die Befrei­ung“. Er und Phi­lo­so­phen wie Haber­mas und Sartre ver­folg­ten die Bewe­gun­gen mit einem wachen Auge. Adorno warnt in einer Schrift vor den Not­stand­ge­set­zen, die zuletzt Hitler miss­brauchte: „Daß die Not­stands­freude kein Zufall ist, son­dern Aus­druck eines mäch­ti­gen gesell­schaft­li­chen Zuges, sollte die Oppo­si­tion dage­gen nicht min­dern son­dern stei­gern“, ver­langt er in „Gegen die Not­stands­ge­setze“. Trotz großen Pro­tes­tes traten sie im Mai 1968 in Kraft. Dieser Auf­satz wie wei­tere Auf­schreie aus der intel­lek­tu­el­len 68er Bewe­gung finden sich in dem Band „1968 – Eine Enzyklopädie“.

1968: Eine Enzyklopädie.

Aufarbeitung statt Verdrängung

Heute lässt das Schlag­wort „68er“ an die bunte Hippie-Bewe­gung, die für „Love, Sex and Peace“ stand, denken. Das Motto der Stu­den­ten­be­we­gung – „Unter den Tala­ren – der Muff von tau­send Jahren“ – ist eben­falls geläu­fig. Aber der grund­sätz­li­che Ursprung der sozia­len Bewe­gung der 68er wird meist ver­ges­sen: Was die revo­lu­tio­näre Genera­tion ein­for­derte, war die Auf­ar­bei­tung der Gräu­el­ta­ten ihrer Eltern und Groß­el­tern im Holo­caust. Peter Weiss ver­ar­bei­tet in seinem Büh­nen­stück „Die Ermitt­lung“ die Ausch­witz-Pro­zesse, die von 1963 bis 1965 in Frank­furt am Main statt­fan­den. Darin benutzt er die Tat­sa­chen­be­richte von KZ-Gefan­ge­nen und ihren Wär­tern, die Grau­sam­keit und Unmensch­lich­keit eine Stimme geben.

Die Ermitt­lung: Ora­to­rium in 11 Gesängen.

Che Gue­vara wurde 1967 ohne Gerichts­be­schluss exe­ku­tiert. Sein Tod war einer der Anlässe, etwas ver­än­dern zu wollen. 40 Jahre später lassen Putin in Moskau, Olym­pia in Peking, Mugabe in Sim­babwe an die Zeit geden­ken, in der man noch etwas ver­än­dern wollte.

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Über Christiane Kürschner (89 Artikel)
2004 bis 2010 Studium (Philosophie, Deutsche Philologie, AVL) an der FU, HU und Uni Bern. 2007 bis 2010 Fachjournalistikstudium. PR-Volontariat bis Juni 2011. Seit Juli 2011 freie Autorin und Texterin. Ihre Leidenschaften: Bücher, Fotografie und Essen- und in allem viel Farben. www.frollein-wortstark.de
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