Am Rand

Das gesamte Stu­dium ist ein Balan­ce­akt, immer knapp am Rand ent­lang. Am Rand des Wahn­sinns. Am Rand zur Genia­li­tät. Am Rand zur Ver­zweif­lung. Im Alltag können viele Fall­stri­cke den Schritt sto­cken lassen. Doch das Ziel wird meist erreicht.

Stu­dent zu sein ist der Wahn­sinn schlecht­hin. Wir sind jung, wild und leben ein Leben am Abgrund. So dach­ten wir. Dann wurden wir mit der Hoch­schul­bü­ro­kra­tie kon­fron­tiert und muss­ten lernen: Nicht nur Genie und Wahn­sinn liegen nah bei­ein­an­der, auch Genie und Sach­be­ar­bei­ter schaf­fen ihr ganz eige­nes Spannungsfeld. 
Foto: Albrecht Noack

Ein Rand ent­steht dort, wo ein Zustand, eine Ord­nung oder die Vor­stel­lungs­kraft vieler enden. Er mar­kiert die größt­mög­li­che Ent­fer­nung vom Mit­tel­punkt der psy­chi­schen Gesund­heit. Wir began­nen als unbe­schol­tene, wiss­be­gie­rige Abitu­ri­en­ten, die aus­zo­gen, das Stu­die­ren zu lernen. Dann sollte eine Begeg­nung der ande­ren Art unsere psy­chi­sche Gesund­heit bis zum Extrem aus­rei­zen. An der Uni trifft man auf vie­ler­lei Instan­zen, die es ver­ste­hen, einen ohne Umwege in den Wahn­sinn zu trei­ben. Wird die Instanz vom pas­sen­den Indi­vi­duum ver­kör­pert, ist die Wir­kung maxi­miert. Das Büro für alles und jeden, das Stu­die­ren­den­se­kre­ta­riat, stimmt bereits darauf ein. Natür­lich ist immer dann Mit­tags­pau­sen­pflicht, wenn man nach zwei­stün­di­gem Warten im sauer­stoff­ar­men Raum an der Reihe wäre. Nur der Anblick der diver­sen For­mu­lar­bitt­stel­ler, Semes­ter­bei­trags­nach­zah­ler und Kran­ken­kas­senstem­pel­be­zie­hen­den lässt einen nicht ver­zwei­feln – es gibt noch grö­ße­res Elend als das eigene. 

Nach­her ist vorher 
Dies sind nur die all­täg­li­chen Pro­ze­du­ren, sozu­sa­gen das Kopier­kar­ten­auf­la­den der Uni­ver­si­täts­bü­ro­kra­tie. Mit Ver­wal­tungs­vor­gän­gen höhe­rer Ord­nung kommt der Stu­dent immer im unpas­sends­ten Moment in Berüh­rung, bei­spiels­weise nach der Rück­kehr aus dem Aus­land, wenn Kurse aner­kannt werden müssen. Gefühlt wird bei jedem Stu­den­ten das Rad neu erfun­den. Auf die Idee, sich vor (!) der Reise vom Pro­fes­sor die ver­ein­bar­ten Kurse schrift­lich bestä­ti­gen zu lassen, kommt man erst hin­ter­her. Ganz schlimm sind |unglei­che“ Kurse. In Frank­reich bei­spiels­weise gibt es zwar das ECTS-System, jedoch sind die Kurse oft klein­tei­lig struk­tu­riert und brin­gen nur 2 Punkte ein, wenn man eigent­lich 6 bräuchte. 
Der Wech­sel der Uni­ver­si­tät wäh­rend des Grund­stu­di­ums hält eine Kano­nade Wahn­sinn bereit. Dif­fe­rie­rende Stu­di­en­ord­nun­gen können zur Ver­zö­ge­rung des Stu­di­ums und somit zur BAföG-Ableh­nung führen. Wird die Rück­stu­fung in ein unte­res Semes­ter bean­tragt, kann es zwi­schen Insti­tut und Stu­die­ren­den­se­kre­ta­riat zu Mei­nungs­plu­ra­lis­mus kommen. 
Wahn­sinn ohne Ende 
Das BAföG-Amt för­dert auch den Wahn­sinn bei Mas­ter­stu­den­ten. So zahlt das Amt nur bei der Wahl eines kon­se­ku­ti­ven Stu­di­en­gangs weiter. Ein Bachelor/Masterstudium nach angel­säch­si­schem Vor­bild mit der Kom­bi­na­tion zweier Schwer­punkte ist so nur ohne finan­zi­elle Unter­stüt­zung vom Staat mög­lich. Selbst wenn ein B.A.-Kommunikationswissenschaftler, der her­vor­ra­gen­den Repu­ta­tion eines bestimm­ten Insti­tuts fol­gend, einen nicht­kon­se­ku­ti­ven Master in Kom­mu­ni­ka­ti­ons­wis­sen­schaft wählt, hat er nach lau­fen­der Richt­li­nie keinen Anspruch auf Gelder. 
Uns wird oft erzählt, dass wir auf­müp­fig sein soll­ten. Es wäre wahn­sin­nig, der­zei­tige Stu­dien- und Büro­kra­tie­be­din­gun­gen pro­test- und demons­tra­ti­ons­los hin­zu­neh­men. In drei Jahren qua­li­ta­tiv hoch­wer­tig stu­die­ren, jedoch in über­füll­ten Semi­na­ren sitzen, uns hoch­schul­po­li­tisch enga­gie­ren, Werk­stu­dent sein und ins Aus­land gehen. Struk­tu­riert und fle­xi­bel, jung und erfah­ren, selbst­si­cher und reflek­tie­rend – da sind Wahr­neh­mungs­stö­run­gen vorprogrammiert. 
Viel­leicht ist es die stete Aus­ein­an­der­set­zung mit der Welt und somit auch ihrer Sinn­lo­sig­kei­ten, die Stu­den­ten mehr an ihrer eige­nen Umwelt kran­ken lässt als andere Bevöl­ke­rungs­grup­pen. Doch so lange es Büro­kra­tie­be­auf­tragte gibt, besteht noch Hoffnung.