Das gesamte Studium ist ein Balanceakt, immer knapp am Rand entlang. Am Rand des Wahnsinns. Am Rand zur Genialität. Am Rand zur Verzweiflung. Im Alltag können viele Fallstricke den Schritt stocken lassen. Doch das Ziel wird meist erreicht.
Student zu sein ist der Wahnsinn schlechthin. Wir sind jung, wild und leben ein Leben am Abgrund. So dachten wir. Dann wurden wir mit der Hochschulbürokratie konfrontiert und mussten lernen: Nicht nur Genie und Wahnsinn liegen nah beieinander, auch Genie und Sachbearbeiter schaffen ihr ganz eigenes Spannungsfeld.
Ein Rand entsteht dort, wo ein Zustand, eine Ordnung oder die Vorstellungskraft vieler enden. Er markiert die größtmögliche Entfernung vom Mittelpunkt der psychischen Gesundheit. Wir begannen als unbescholtene, wissbegierige Abiturienten, die auszogen, das Studieren zu lernen. Dann sollte eine Begegnung der anderen Art unsere psychische Gesundheit bis zum Extrem ausreizen. An der Uni trifft man auf vielerlei Instanzen, die es verstehen, einen ohne Umwege in den Wahnsinn zu treiben. Wird die Instanz vom passenden Individuum verkörpert, ist die Wirkung maximiert. Das Büro für alles und jeden, das Studierendensekretariat, stimmt bereits darauf ein. Natürlich ist immer dann Mittagspausenpflicht, wenn man nach zweistündigem Warten im sauerstoffarmen Raum an der Reihe wäre. Nur der Anblick der diversen Formularbittsteller, Semesterbeitragsnachzahler und Krankenkassenstempelbeziehenden lässt einen nicht verzweifeln – es gibt noch größeres Elend als das eigene.
Nachher ist vorher
Dies sind nur die alltäglichen Prozeduren, sozusagen das Kopierkartenaufladen der Universitätsbürokratie. Mit Verwaltungsvorgängen höherer Ordnung kommt der Student immer im unpassendsten Moment in Berührung, beispielsweise nach der Rückkehr aus dem Ausland, wenn Kurse anerkannt werden müssen. Gefühlt wird bei jedem Studenten das Rad neu erfunden. Auf die Idee, sich vor (!) der Reise vom Professor die vereinbarten Kurse schriftlich bestätigen zu lassen, kommt man erst hinterher. Ganz schlimm sind |ungleiche“ Kurse. In Frankreich beispielsweise gibt es zwar das ECTS-System, jedoch sind die Kurse oft kleinteilig strukturiert und bringen nur 2 Punkte ein, wenn man eigentlich 6 bräuchte.
Der Wechsel der Universität während des Grundstudiums hält eine Kanonade Wahnsinn bereit. Differierende Studienordnungen können zur Verzögerung des Studiums und somit zur BAföG-Ablehnung führen. Wird die Rückstufung in ein unteres Semester beantragt, kann es zwischen Institut und Studierendensekretariat zu Meinungspluralismus kommen.
Wahnsinn ohne Ende
Das BAföG-Amt fördert auch den Wahnsinn bei Masterstudenten. So zahlt das Amt nur bei der Wahl eines konsekutiven Studiengangs weiter. Ein Bachelor/Masterstudium nach angelsächsischem Vorbild mit der Kombination zweier Schwerpunkte ist so nur ohne finanzielle Unterstützung vom Staat möglich. Selbst wenn ein B.A.-Kommunikationswissenschaftler, der hervorragenden Reputation eines bestimmten Instituts folgend, einen nichtkonsekutiven Master in Kommunikationswissenschaft wählt, hat er nach laufender Richtlinie keinen Anspruch auf Gelder.
Uns wird oft erzählt, dass wir aufmüpfig sein sollten. Es wäre wahnsinnig, derzeitige Studien- und Bürokratiebedingungen protest- und demonstrationslos hinzunehmen. In drei Jahren qualitativ hochwertig studieren, jedoch in überfüllten Seminaren sitzen, uns hochschulpolitisch engagieren, Werkstudent sein und ins Ausland gehen. Strukturiert und flexibel, jung und erfahren, selbstsicher und reflektierend – da sind Wahrnehmungsstörungen vorprogrammiert.
Vielleicht ist es die stete Auseinandersetzung mit der Welt und somit auch ihrer Sinnlosigkeiten, die Studenten mehr an ihrer eigenen Umwelt kranken lässt als andere Bevölkerungsgruppen. Doch so lange es Bürokratiebeauftragte gibt, besteht noch Hoffnung.