Was wäre wenn
Man stelle sich vor, eine junge Frau studiere an einer deutschen Hochschule, die ein gewisses Renommee hat und weit über die Grenzen des Landes bekannt ist. Weiterhin finde sie sich an einem Institut wieder, dessen Größe überschaubar ist. Man stelle sich weiter vor: Diese Studentin fühle sich durch die Äußerungen eines Professor sexuell belästigt.
In diesem Szenario ginge die Studentin vermutlich den offiziellen Weg über die Institutionen, um kein öffentliches Denunzieren des Professors zu riskieren. Dies würde sie vermutlich für richtig halten, um der anderen Person trotz der unangenehmen Situationen ein Mindestmaß an Schutz zu gewähren, den sie für angebracht hält und auch für sich einfordert.
Wenn man sich vorstellt, dass der bezichtigte Professor das mit der Rücksicht anders sieht, kann man sich auch vorstellen, dass sie sich plötzlich mit einem offenen Brief an ihr Institut konfrontiert sieht, geschrieben von dem betroffenen Professor, der den Namen der Studentin mehrmals erwähnt. Darin würde von Verleumdung gesprochen, von Folgen für alle, die solche Anschuldigungen erheben würden, von Erpressung und Rufmord. Man stelle sich vor, wie plötzlich sie selber als Beschuldigte und Täterin gelte. Der Spieß werde herumgedreht. Eine Studentin beschuldige einen Professor, der Professor die Studentin. Es stehe Aussage gegen Aussage.
Wenn man sich das alles vorstellen kann, dann könnte man erleichtert sein, zu erfahren, dass sich eine studentisch geführte Zeitung entscheidet, den Fall zu untersuchen. Man stelle sich also weiter vor: Es werde recherchiert. Die Studentin würde sich äußern. Doch durch den offenen Brief fühlt sich die Studentin eingeschüchtert. Sie ziehe ihre Aussage zurück, denn sie hat Angst. Der Artikel könne nicht erscheinen, denn ohne Einwilligung derjenigen, die die Aussage getroffen hat, darf man diese nicht verwenden. So erscheine also kein investigativer Beitrag. Was bliebe, sei nur die Darstellung des Prozesses und ein Druck der geschriebenen Briefe.
Würde man sich nicht fragen, warum so ein Szenario an der eigenen Hochschule stattfindet, und man nichts davon weiß? Würde man nicht wissen wollen, was wirklich geschehen ist und warum dieser Professor seinerseits die Studentin öffentlich angreift? Wäre es möglich, Partei zu ergreifen und Solidarität zu bekunden? Es wäre nicht nur möglich, es wäre nötig, damit das Recht einer jeden Frau, sich gegen sexuelle Belästigung zu wehren, nicht ausgehöhlt wird.