Die Ebenen der Schuld

Der Vor­le­ser
Regie: Ste­phen Daldry
Mit: Kate Wins­let, Ralph Fien­nes, David Kross, Bruno Ganz, Hannah Herz­sprung, Lena Olin, Mat­thias Habich, Karo­line Her­furth
Start: 26. Februar 2009

Zuerst sieht man ein Ei. Ein gekoch­tes Ei in einem Eier­be­cher. Makel­los und unver­sehrt steht es als Symbol für alles, was unschein­bar, unschul­dig und schlicht ist. Sein Äuße­res lässt nicht ver­mu­ten, was es in sich trägt. Doch es braucht nicht viel, damit die Fas­sade Risse bekommt.

Deutsch­land in den 50er Jahren: Der 2. Welt­krieg und die deut­schen Gräu­el­ta­ten lasten schwer auf dem Land. Doch man ver­schanzt sich in ver­krampf­ter Nor­ma­li­tät. In der Fami­lie von Michael Berg ist es nicht anders. Der 15-Jäh­rige weiß kaum etwas von den furcht­ba­ren Ver­bre­chen im Drit­ten Reich. Eines Tages lernt Michael die wesent­lich ältere Hanna kennen und ver­liebt sich in sie. Die Bezie­hung dauert einen Sommer. Sie weist ihn in die Kunst der Liebe ein, er liest ihr vor. Dass Hanna selbst nicht liest, ent­geht Michael. Er ist glück­lich. Dann ist Hanna verschwunden. 

Jahre später trifft Michael Hanna im Gerichts­saal wieder – als Ange­klagte in einem Pro­zess gegen fünf ehe­ma­lige Wär­te­rin­nen des Kon­zen­tra­ti­ons­la­gers Ausch­witz. Dass Michael ver­sucht, Hannas Ver­hal­ten wider aller Ver­nunft und Moral zu ver­ste­hen, ist sein großes Ver­dienst – und seine per­sön­li­che Tra­gö­die. Bern­hard Schlink, der die Roman­vor­lage schrieb, beschreibt den Kon­flikt so: „Wir wollen die Täter ver­ur­tei­len, weil sie Täter sind, und ver­ste­hen, weil sie uns nahe sind – diese Span­nung ist nicht auf­zu­lö­sen, sie ist aus­zu­hal­ten.“ Über viele Jahre wird Michael von dieser Span­nung hin- und her­ge­ris­sen, immer zwi­schen Nach­sicht und Verdammung.

Die fas­zi­nie­rende und ver­stö­rende Geschichte von Hanna und Michael wurde von Regis­seur Ste­phen Daldry ver­filmt, der bereits mit „The Hours“ und „Billy Elliot“ inter­na­tio­nale Beach­tung fand. Neben Kate Wins­let und Ralph Fien­nes über­zeugt beson­ders Nach­wuchs­schau­spie­ler David Kross, der den jungen Michael Berg verkörpert. 

Bern­hard Schlink zeigt sich mit der Ver­fil­mung seines Romans zufrie­den: Ein Film könne ein Buch nicht repro­du­zie­ren, sagt Schlink, aber der Autor kann hoffen, dass ein Regis­seur für die Geschichte und das Thema gute Bilder findet. Dies ist Daldry ohne Zwei­fel gelun­gen. Selten hat ein bedeu­ten­der Roman wie „Der Vor­le­ser“ in einer Ver­fil­mung sei­nes­glei­chen gefunden.