Radikal werden

[Grot­tian-Inter­view] Die Bil­dungs­pro­teste waren erfolg­reich, müssen aber wei­ter­ge­hen, sagt Peter Grot­tian. Wie, das erklärt er im Interview.

Haben die Bil­dungs­pro­teste etwas gebracht? Refor­men wird es frü­hes­tens im Juni geben, bis­lang sind weder Poli­tik noch Stu­den­ten­schaft auf Ver­hand­lun­gen vor­be­rei­tet. Das sagt zumin­dest Peter Grot­tian, Poli­tik-Pro­fes­sor an der FU. Er beschäf­tigt sich seit Jahren mit Hoch­schul­po­li­tik und sozia­len Pro­tes­ten. Bei den meis­ten Stra­te­gie- und Vor­be­rei­tungs­tref­fen der Studis ist er dabei.

Herr Grot­tian, es gibt immer wieder Wellen von Stu­di­pro­tes­ten, alle paar Jahre gehen die Stu­den­ten auf die Straße. Kriegt man da nicht den Ein­druck, dass man es ihnen gar nicht recht machen kann?

Es gibt bestimmt Zyklen, ja. Das ist aber der Cha­rak­ter einer jeden sozia­len Bewe­gung. Bei diesem Streik ist doch inter­es­sant, dass er bereits zwei Semes­ter lang mit großem Rück­halt geführt wurde. Auch im nächs­ten Semes­ter soll er fort­ge­führt werden.

Ist die Bilanz bisher nicht depri­mie­rend? Es hat sich doch nichts geändert.

Nein, nach dem Schub der Juni-Pro­teste gab es im Novem­ber einen zwei­ten Schub des Erfolgs. Aber es ist nach wie vor ein Verunsicherungs-Erfolg.

Was heißt das?

Das bedeu­tet, dass die klas­si­schen Ver­ant­wort­li­chen – die Hoch­schul­rek­to­ren­kon­fe­renz und die Kul­tus­mi­nis­ter – grund­sätz­lich die Kritik auf­ge­nom­men haben, aber keine befrie­di­gen­den Ant­wor­ten geben können. Die Öffent­lich­keit hat sich wei­test­ge­hend hinter die Studis gestellt. Nun ist erkenn­bar, dass die Ver­ant­wort­li­chen auf Zeit spie­len und das Pro­blem aus­sit­zen wollen.

Wird ihnen das gelingen?

In der Woche vom 7. bis 11. Juni soll es wieder einen Bil­dungs­streik geben. Höhe­punkt sind die Demos am 9. Juni. Danach führt meines Erach­tens nichts an einem Bil­dungs­gip­fel vorbei. Dort müss­ten Schü­ler und Studis mit den Ver­ant­wort­li­chen einen Aus­hand­lungs­pro­zess führen. Das ist für Demo­kra­tien auch normal.

Ver­tre­ter der Stu­den­ten­schaft wurden doch schon zur Bil­dungs­mi­nis­te­rin eingeladen.

Es geht nicht um eine insze­nierte Zwei-Stun­den-Show. Der Aus­hand­lungs­pro­zess muss trans­pa­rent sein und darf nicht hinter ver­schlos­se­nen Türen statt­fin­den. Dafür würden sich zum Bei­spiel das Audi­max der TU anbie­ten oder die O2 World.

Glau­ben Sie, da gäbe es befrie­di­gende Ergebnisse?

Bis­lang sind beide Ver­hand­lungs­sei­ten nicht aus­rei­chend vor­be­rei­tet. Das Bil­dungs­mi­nis­te­rium und die Kul­tus­mi­nis­ter müss­ten sich über ihren Stand­punkt und mög­li­che Refor­men einig werden. Doch auch unter Schü­lern und Studis gibt es viele Vor­schläge, aber keinen Kon­sens. Sie bräuch­ten eine klare Vor­stel­lung vom Stu­dium: Wie lange soll es dauern? Was gehört da rein und was nicht? Wie kann die Öko­no­mi­sie­rung der Hoch­schu­len gestoppt werden? Ant­wor­ten müssen jetzt ganz mühsam und schnell erar­bei­tet werden. Vor Juni ist also ein Aus­hand­lungs­gip­fel gar nicht möglich.

Wäre es nicht klüger, sich auf ein Thema zu kon­zen­trie­ren? Das ließe sich viel­leicht ein­fa­cher durch­set­zen als ein For­de­rungs­ka­ta­log, den nie­mand durchblickt.

In Hessen hat das Zuspit­zen auf Gebüh­ren geklappt, aber ansons­ten lässt sich damit nicht mobi­li­sie­ren. Schließ­lich ist nicht nur eine ein­zelne Maß­nahme zen­tral. Es ist wich­tig, ganz­heit­lich die Uni und die Schule im Auge zu behalten.

Wie könn­ten die Studis denn das Druck­po­ten­zial erhö­hen? Ist es über­haupt sinn­voll, ein­zelne Hör­säle zu beset­zen, wäh­rend der regu­läre Uni­be­trieb weitergeht?

Das war sicher sinn­voll, aber mög­li­cher­weise haben die Stu­die­ren­den ein biss­chen zu wenig pro­vo­ziert. In Öster­reich haben wir gese­hen, wie die Hör­saal­be­set­zun­gen von Hoch­schul­lei­tun­gen und Poli­tik ein­fach aus­ge­ses­sen wurden. Teil­weise wurden die Studis in der Öffent­lich­keit belä­chelt. Sie haben also teuer dafür bezahlt, dass sie nicht den Ste­phans­dom oder wich­tige Stra­ßen besetzt haben.

Müsste der Pro­test in Deutsch­land radi­ka­ler werden?

Im Som­mer­se­mes­ter gibt es einen drit­ten Anlauf, da könnte man auch die Streik­form ändern und zum Bei­spiel Unis dicht machen oder Rek­to­rate besetzen.