Kurswechsel

Wir müssen uns stän­dig neu finden. Mit­un­ter müssen wir den Kurs wech­seln, um grö­ße­ren Scha­den zu ver­mei­den. Jeder Wech­sel birgt Chan­cen und Gefah­ren – für die Kar­riere, für die Part­ner­schaft und für einen selbst.

Junge Frau steht vor der Wahl zwischen zwei Männern Nicht nur junge Frauen entscheiden sich für einen Kurswechsel. Foto: Albrecht Noack

Was wäre eine Schiff­fahrt ohne die eine oder andere hohe Welle, die gegen den Bug springt? Der Puls beschleu­nigt, man kon­zen­triert sich auf das Wesent­li­che und ist heil­froh, wenn es vor­über ist. Man steu­ert in ruhi­gere Gewäs­ser und erwar­tet doch schon wieder das nächste Unwet­ter. Eine dieser Phasen ist wohl die Zeit zwi­schen dem bestan­de­nen Abitur und dem Beginn des Stu­di­ums. End­lich raus bei Mama und Papa, in die erste WG, Frei­heit und schim­meln­des Brot schnuppern!

Neues zulassen

Wenn man aus hei­mat­li­chen Gefil­den hin­aus­ge­schip­pert ist und die große weite See, den über­füll­ten Hör­saal, sieht, kann man es mit der Angst zu tun bekom­men. So erwach­sen und gescheit, wie man sein sollte, ist man doch nicht. Ab wann ist man eigent­lich erwachsen?

Aus den Ergeb­nis­sen der Shell-Stu­dien von 1997 und 2000 kann laut Erzie­hungs­wis­sen­schaft­ler Heinz Rein­ders geschlos­sen werden, „dass die Ver­län­ge­rung der Schul­zeit bei Her­anwachsenden dazu führt, sich länger als Jugend­li­che zu sehen.“ Danach fühlen sich Abi­turienten bereits länger jung als andere in ihrem Alter. Das Stu­dium wird wohl auch nicht zu einem plötz­li­chen Erwach­sen­wer­den führen.

Erste Krise

Trotz­dem gibt es plötz­lich einen bedeu­ten­den Kurs­wech­sel in unse­rem Leben. Wir steu­ern auf etwas Unbe­kann­tes zu. Wir wissen nicht, ob wir den Anfor­de­run­gen eines Stu­di­ums gewach­sen sind. Hinzu kommt die finan­zi­elle Unab­hän­gig­keit, die aber oft mehr Sorgen als Freude mit sich bringt. Das Deut­sche Stu­den­ten­werk för­dert 21,3 Pro­zent der Stu­die­ren­den mit einer Bafög-Finan­zie­rung, der Rest erhält Geld von seinen Eltern. Trotz­dem gehen laut studenten-welt.de rund 68 Pro­zent einem Neben­job nach, um sich das Stu­dium über­haupt leis­ten zu können. Wenn am Ende des Monats die Kohle fehlt und man die erste Klau­sur ver­geigt hat, gerade weil man arbei­ten anstatt lernen musste, ist man in der Krise.

Ent­wick­lungs­psy­cho­lo­gen sehen diese kri­ti­schen Lebens­er­eig­nisse als „rich­tungs­wei­send und for­mend“, so Psy­cho­loge Thomas Wehr. In kri­ti­schen Lebens­si­tua­tio­nen besteht ein Ungleich­ge­wicht zwi­schen uns und unse­rer Umwelt. Wir sind dem Druck von außen nicht gewach­sen, können Erwar­tun­gen nicht erfül­len oder wissen ganz ein­fach nicht, in welche Rich­tung wir steu­ern sollen. Habe ich den rich­ti­gen Stu­di­en­gang gewählt? Bin ich in der rich­ti­gen Stadt gelan­det? Was möchte ich mit meinem Leben anfangen?

Findungskrise

Die stän­di­gen Ände­run­gen in unse­rer Umwelt stel­len uns häufig vor solche Fragen. Wir müssen uns nur die Zeit nehmen, auch Ant­wor­ten zu finden. Der tech­no­lo­gi­sche Fort­schritt, die grö­ßere geo­gra­fi­sche Mobi­li­tät, erfor­der­li­che Berufs­um­ori­en­tie­run­gen setzen uns unter Druck, sodass laut Wehr „der Mensch in zuneh­men­dem Maße Bewäl­ti­gungs­stra­te­gien ein­set­zen muss, um im Wirbel der kul­tu­rel­len Akze­le­ra­tion nicht unterzugehen“.

Wenn man den Sturm der ersten Stu­di­en­jahre über­stan­den hat, folgt die nächste kri­ti­sche Phase. Die Berufs­fin­dung. In wel­chem Beruf kann ich mich ent­wi­ckeln? In wel­cher Bran­che fühle ich mich wohl? Wo gibt es Arbeits­plätze? Diese Phase des Suchens ist eine der kri­tischs­ten, denn sie bestimmt maß­geb­lich den Kurs unse­res Lebens. Umso mehr belas­tet es uns, wenn wir nicht wissen, in welche Rich­tung es gehen soll.

Frösche küssen

Auch in Her­zens­an­ge­le­gen­hei­ten muss man irgend­wann einen Kurs fest­le­gen. Wenn der oder die Ange­be­tete in einer ande­ren Stadt stu­diert, wird die Bezie­hung auf eine Probe gestellt. Aber auch das Zusam­men­le­ben kann schwie­rig sein. Will man den Part­ner stän­dig um sich haben? Sitzt man im selben Boot und steu­ert auf das glei­che Ziel zu? Die Krise ist da, wenn man fest­stel­len muss, dass die Bezie­hung vor­über­ge­hend geken­tert ist und man sich neu ori­en­tie­ren muss.

Die junge Genera­tion der 20- bis 30-Jäh­ri­gen hat heute Pro­bleme, die sich vor weni­gen Jahr­zehn­ten nicht gestellt haben. „Domi­nier­ten bei der Kriegs­ge­nera­tion sach­li­che Vor­stel­lun­gen und Ver­sor­gungs­aspekte, so verlor diese Zweck­ori­en­tie­rung schnell an Bedeu­tung“, weiß Marina Rupp, Sozio­lo­gin an der Uni­ver­si­tät Bam­berg. Heute kann sich jeder selbst ver­sor­gen und muss nicht zwin­gend aus gesell­schaft­li­chen oder finan­zi­el­len Aspek­ten hei­ra­ten. Eine Part­ner­schaft soll nicht nur „har­mo­nisch und ver­läss­lich sein, sie dient jetzt auch der per­sön­li­chen und der gemein­sa­men Ent­wick­lung“, so Rupp. Dieser Anspruch macht es nicht leich­ter, den rich­ti­gen Part­ner zu finden.

Ob nun im Stu­dium, Beruf oder in dem Suchen und Finden des rich­ti­gen Part­ners. Es scheint das Wich­tigste zu sein, den Kom­pass aus­zu­pa­cken, seinen Stand­ort zu bestim­men und die Rich­tun­gen nach ret­ten­den Inseln auszuloten.