Anonym bewerben

[Bewer­bung] Oft ent­schei­den Geschlecht, Her­kunft und Foto über den Erfolg eines Bewer­bers. Jetzt werden anonyme Bewer­bun­gen getestet.

Wo früher in der Bewer­bung Name, Foto, Geschlecht, Her­kunft und Alter stan­den, soll bald gäh­nende Leere herr­schen, sogar die eigene Adresse soll in Zukunft tabu sein. Grund­lage für den Rich­tungs­wech­sel bildet das All­ge­meine Gleich­be­rech­ti­gungs­ge­setz (AGG). 2006 in Kraft getre­ten, sieht es vor, Dis­kri­mi­nie­rung auch auf dem Arbeits­markt kon­se­quent zu bekämp­fen, Ziel ist Chan­cen­gleich­heit bei der schrift­li­chen Bewer­bung. Herr Hassan Hus­sein soll die glei­chen Chan­cen bekom­men, wie sie Herr Max Müller genießt.

Die neue EU-Richt­li­nie hat hehre Ambitio­nen und ist in erster Linie ein gesell­schafts­po­li­ti­scher Schritt. Nur harte Fakten und Qua­li­fi­ka­tio­nen sollen über eine Ein­stel­lung ent­schei­den. Irrele­vant ist, ob die Haut­farbe zur Büro­ein­rich­tung passt. Das könnte die Chance zum Bewer­bungs­ge­spräch stär­ker för­dern als die tat­säch­li­che Gleich­be­rech­ti­gung bei der Ein­stel­lung. Die vor­ge­se­he­nen Leer­stel­len in der Bewer­bung for­dern dazu heraus, von Ange­sicht zu Ange­sicht gefüllt zu werden. Nicht mehr das Papier soll für die Bewer­ber spre­chen, son­dern diese für sich selbst.

Test­lauf in der Praxis

Von den 30 durch die Anti­dis­kri­mi­nie­rungs­stelle (ADS) ange­spro­che­nen Firmen erklär­ten sich nur fünf bereit, an einem ein­jäh­ri­gen Test­lauf teil­zu­neh­men. Aller­dings – und das ist zu berück­sich­ti­gen – nur teil­weise, zum Bei­spiel bei der Aus­wahl von Aus­zu­bil­den­den. Natur­ge­mäß stieß auch das Bun­des­fa­mi­li­en­mi­nis­te­rium zu den Teil­neh­men­den. Alle diese Unter­neh­men haben bereits ent­spre­chende Erfah­run­gen oder sind dem Thema unter­neh­mens­po­li­tisch zugewandt.

Die Bun­des­agen­tur für Arbeit will mit einer neuen Option ab Mitte 2011 in ihrem Online­por­tal einem Zwang zur Angabe von Alter und Geschlecht vor­beu­gen. Wirk­li­ches Neu­land betre­ten die Unter­neh­men daher in den kom­men­den Mona­ten kaum. Die Test­phase wird vor allem eines klären: Kann sich die deut­sche Unter­neh­mens­struk­tur ein sol­ches Vor­ha­ben leis­ten? Schließ­lich werden wei­ter­hin klas­si­sche Bewer­bungs­un­ter­la­gen eingereicht­, aus denen die per­sön­li­chen Anga­ben ent­fernt werden müssen, bevor die zustän­di­gen Per­so­nal­ab­tei­lun­gen sie sehen. Die Kosten, die der deut­schen Wirt­schaft jähr­lich durch das AGG ent­ste­hen, liegen laut einer Studie bei rund 1,7 Mil­li­ar­den Euro. Auf­wand und Kosten, die hinter jeder anony­men Bewer­bung stehen, sind enorm, denn eine neu­trale Schalt­zen­trale ist not­wen­dig, um abso­lute Unvor­ein­ge­nom­men­heit zu gewähr­leis­ten. Kleine und mit­tel­stän­di­sche Unter­neh­men würden laut Aus­sage der Deut­schen Indus­trie- und Han­dels­kam­mer mit einer erzwun­ge­nen Rege­lung ins finan­zi­elle Aus gespielt werden – zumin­dest am Anfang.

Pro­bleme in der Umsetzung

Groß­bri­tan­nien, die Tsche­chi­sche Repu­blik und die USA prak­ti­zie­ren das Prin­zip bereits erfolg­reich. Fast 50 Pro­zent der dort Befrag­ten halten den anony­mi­sier­ten Lebens­lauf für ange­mes­sen, in Frank­reich, Ita­lien, Bel­gien oder den Nie­der­lan­den sind es 30 Pro­zent, in Deutsch­land dage­gen ledig­lich 17 Pro­zent. Inter­na­tio­nal ist die anonyme Bewer­bung zwar aner­kannt, aber für Deut­sche ein heik­les Thema.

In der Praxis zeigt das System wei­tere Tücken. Büro­kra­tisch und undurch­dacht würden es viele Per­so­na­ler beti­teln. Ob ein Bewer­ber männ­lich oder weib­lich ist, lässt sich an Bun­des­wehr- oder Zivil­dienst­zei­ten able­sen. Har­vard-Abschluss oder Ros­tock-Zeug­nis erlau­ben Rück­schlüsse über die soziale Her­kunft, eine ein­jäh­rige Pause nach einem guten Job lässt auf die Baby­phase schlie­ßen. Weg­las­sen allein macht nicht anonym.

In dem Ver­fah­ren steckt zudem die Gefahr der Gleich­ma­che­rei. Anonym kann auch stan­dar­di­siert bedeu­ten. Nicht nur der Qua­li­fi­zier­teste, son­dern auch der, der eine stan­dar­di­sierte, grad­li­nige Kar­riere auf­weist, wird erfolg­reich sein – wenig Platz für Quer­ein­stei­ger. Die Anti­dis­kri­mi­nie­rungs­stelle hat mit der anony­mi­sier­ten Bewer­bung eine Medi­zin für eine chro­ni­sche Krank­heit geschaf­fen, die lin­dert, aber nicht heilt.

Über Anne Bettina Nonnaß (10 Artikel)
Anne ist seit 2010 Teil der Stadtstudenten-Redaktion. Nach ihrem 3-jährigen Aufenthalt in Kanada und ihrer Tätigkeit als Cutter und Assistant Producer in British Columbia zog sie nach Berlin. Seitdem ist sie in zahlreiche Projekte involviert und unter anderem Mitglied des Erweiterten Vorstandes des UWC Network e.V. Sie studiert seit 2010 Rechtswissenschaften an der Freien Universität Berlin.