Machtspiele

[Trotz­re­gie­rung] Mer­kels Devise scheint zu sein: „Ich wurde gewählt, also regiere ich.” Mit einer sol­chen Trotz­hal­tung ist aber kein Staat zu machen.

Regie­rungs­rück­tritte, Haus­halts­de­fi­zite, Wehr­pflichts­dis­kus­sio­nen, Land­tags­wah­len, Atom­po­li­tik, Par­tei­po­li­tik, Demons­tra­tio­nen und Migra­ti­ons­de­batte. Die Liste der Pro­bleme ist lang, Lösun­gen werden oft unzu­rei­chend dis­ku­tiert und unver­ständ­lich kom­mu­ni­ziert. Steht Deutsch­land eine poli­ti­sche Wende bevor oder gar ein neuer Kurs à la „jetzt erst recht”?

Zwölf Monate nach der Bun­des­tags­wahl vom 27. Sep­tem­ber 2009 sieht die Bilanz des ersten Regie­rungs­jah­res von Schwarz-Gelb eher trübe aus. Die Umfra­ge­werte sind im Keller: die Koali­tion erhält Anfang Sep­tem­ber nur 33 Pro­zent Zustim­mung. Der Glaube an Refor­men und einen neuen Regie­rungs­kurs ist längst Geschichte. Im Bereich der Außen­po­li­tik beschreibt der „Eco­no­mist” Mer­kels Reak­tion auf die Wirt­schafts­krise in Grie­chen­land sar­kas­tisch mit „Akro­po­lis now” in Anleh­nung an „Apo­ka­lypse now”. „Die Zeit” ver­sucht, mit einem „Guide for Guido” ihren Bei­trag zu leisten.

In der Innen­po­li­tik bietet sich das glei­che Bild. „Die Pro­bleme an der Wurzel packen” hieß Mer­kels Zau­ber­for­mel zur „Grie­chen­land­krise”, das könnte man auch auf andere Felder anwen­den. Täg­lich suchen Zei­tungs­kom­men­tare, TV-Gesprä­che, Exper­ten-Inter­views und Doku­men­ta­tio­nen die Wurzel der Pro­bleme deut­scher Poli­tik zu ent­de­cken. Bis­lang erfolglos.

Deut­lich wurde nur: Der Moder­ni­sie­rungs­kurs der Union ließ interne Dif­fe­ren­zen der CDU/CSU eska­lie­ren. Die rechte Frak­tion spricht offen von der Mög­lich­keit einer Abspal­tung und somit Grün­dung einer „Kon­kur­renz­par­tei”. Die Frage ist, wie viel Poli­tik ist noch mög­lich, wenn die Regie­rungs­spitze brö­ckelt. Die Unsi­cher­heit kann Merkel schon lange nicht mehr ver­ber­gen. Das hat sich nach der Som­mer­pause und einem mehr oder weni­ger aus­gie­bi­gen Urlaub nicht geän­dert. Gegen­wär­tig sind posi­tive oder lobende Worte über die poli­ti­sche Füh­rung Deutsch­lands nicht zu ent­de­cken. Was die Regie­rung macht, macht sie falsch. Ent­we­der reagiert sie zu lang­sam, wie in der Grie­chen­land­krise. Oder sie han­delt über­stürzt, wie bei der Umsatz­steuer für Hotels. Das Publi­kum kann in der Poli­tik der­zeit weder eine Vision noch eine klare Rich­tung erken­nen. Stän­dig gibt es über­stürzte Fern­seh­auf­tritte und leere Aus­sa­gen und Ver­spre­chun­gen der Kanzlerin.

Es gibt so viel, wor­über man sich in der aktu­el­len Poli­tik­land­schaft auf­re­gen will. Es gibt so viel, was man ganz anders gere­gelt sehen möchte. Es gibt so viele Luft­num­mern, mit denen unsere Poli­ti­ker ihr Wahl­volk bespa­ßen. Die nächs­ten Wahlen sind in drei Jahren, und so lange kann Deutsch­land keinen Stagna­tions­kurs fahren. Der momen­tane aktio­nis­ti­sche Zick­zack­kurs ver­schlei­ert die tat­säch­li­che Unent­schlos­sen­heit nur, er besei­tigt sie nicht. Eine „jetzt erst recht”-Mentalität wäre viel­leicht nicht der rich­tige Weg, aber sicher­lich ein „jetzt fangen wir an zu regieren”-Kurs.

Über Janine Noack (20 Artikel)
Janine studierte von 2009-2012 Geschichte, Politk und Soziologie an der HU Berlin und absolviert derzeit ihren Master in Modern European History an der Universität Cambridge.