Flächenbrand

Die öster­rei­chi­sche #uni­brennt-Bewe­gung wird aus­ge­zeich­net. Ihre Ziele sind aber noch längst nicht erreicht.

Demonstration Unibrennt – Studienproteste in Österreich. Foto: unibrennt, Daniel Weber (Flickr)

Das kleine Alpen­land Öster­reich schafft es meist nur mit Wah­len oder dem Opern­ball in die deut­schen Medien. Viele schät­zen es als ruhi­ges Rei­se­ziel zum Wan­dern und Ski­fah­ren, doch wirt­schaft­lich oder poli­tisch spielt es in der Öffent­lich­keit keine große Rolle. Aller­dings stu­die­ren viele deut­sche Bun­des­bür­ger an öster­rei­chi­schen Uni­ver­si­tä­ten. Diese haben meist keine Zulas­sungs­be­schrän­kun­gen, und die Stu­di­en­ge­büh­ren von momen­tan 16 Euro in Wien sind im Gegen­satz zu 500 Euro in Baden-Würt­tem­berg ein Klacks. Im Ver­gleich zu Deutsch­land herr­schen also schein­bar traum­hafte Bedingungen.

Umso über­ra­schen­der ist es, dass sich im Herbst 2009 von Wien aus Pro­teste bil­de­ten, in deren Folge über 130 Uni­ver­si­tä­ten in ganz Europa besetzt wurden. Ver­netzt und for­ciert wurden die Pro­teste von der #uni­brennt-Bewe­gung, die nun Anfang Sep­tem­ber für ihre Arbeit auf der „Ars Elec­tro­nica”, einem Fes­ti­val für Kunst, Tech­no­lo­gie und Gesell­schaft in Linz, mit dem Preis für inno­va­tive Web‑2.0‑Technologien aus­ge­zeich­net wurde.

„Geld für Bildung statt für Banken und Konzerne”

Den Pro­test­auf­takt bil­dete die Beset­zung der Aula der Aka­de­mie für Bil­dende Künste in Wien am 20. Okto­ber 2009. Im Mit­tel­punkt stand hier­bei ein anbe­raum­tes Tref­fen zwi­schen dem Wis­sen­schafts­mi­nis­ter Johan­nes Hahn und dem Rek­to­rat, in dem über die Umstel­lung auf das Bache­lor/­Mas­ter-System und Bud­get­kür­zun­gen ver­han­delt werden sollte.

Bereits seit 2005 wehr­ten sich sowohl Stu­die­rende als auch Leh­rende der Aka­de­mie gegen die geplan­ten Ver­än­de­run­gen. Nach­dem zwei Tage später eine Soli­da­ri­täts­kund­ge­bung in die Beset­zung des Audi­to­rium Maxi­mums der Uni­ver­si­tät Wien mün­dete, brei­tete sich eine Beset­zungs­welle wie ein Lauf­feuer über ganz Öster­reich aus. Wäh­rend der Beset­zungs­zeit orga­ni­sier­ten die Stu­den­ten Arbeits­grup­pen und Ver­samm­lun­gen mit basis­de­mo­kra­ti­schen Dis­kus­sio­nen, die Vor­schläge für das Bil­dungs­sys­tem erar­bei­te­ten. Zudem gingen län­der­über­grei­fend Hun­dert­tau­sende auf die Straßen.

„Bildung statt Ausbildung”

Die For­de­run­gen und Kri­ti­ken der Demons­tran­ten waren viel­fäl­tig. Sie rich­te­ten sich nicht nur gegen die Bolo­gna-Reform an sich, die nach Mei­nung von Stu­die­ren­den und Leh­ren­den zu einer „Degra­die­rung der Uni­ver­si­tä­ten und Schu­len zu arbeits­markt­ori­en­tier­ten Aus­bil­dungs­stät­ten” führt, viel­mehr wurde auch gegen die Ein­füh­rung von Stu­di­en­ge­büh­ren und Zulas­sungs­be­schrän­kun­gen und für die Ver­bes­se­rung der Situa­tion der Leh­ren­den gekämpft. Ein wei­te­res Ärger­nis stellte die geplante Bud­get­kür­zung im Bil­dungs­be­reich dar, beson­ders nach­dem wäh­rend der Finanz­krise Mil­li­ar­den an Banken und Kon­zerne flossen.

Nach etwa drei Mona­ten, kurz vor Weih­nach­ten, wurden die meis­ten besetz­ten Hör­säle ent­we­der unter Anwe­sen­heit der Poli­zei geräumt oder von den Stu­die­ren­den frei­wil­lig ver­las­sen, nach­dem Zuge­ständ­nisse der Uni­ver­si­täts­lei­tung erfolg­ten. Daher flaute die ganze Bewe­gung nach den Weih­nachts­fe­rien ab. Als am 11. März 2010 der Bolo­gna-Gipfel in Wien statt­fand, konnte nicht einmal eine ein­tä­gige Beset­zung in der Uni­ver­si­tät Wien den Wider­stand wieder anfeu­ern. Ein Groß­teil der For­de­run­gen der Bewe­gung wurde nicht erfüllt. Den Poli­ti­kern wurde daher im Nach­hin­ein vor­ge­wor­fen, die Situa­tion durch leere Ver­spre­chun­gen ledig­lich „aus­ge­ses­sen” zu haben.

Strohfeuer mit Aussicht am Mehr

„Anfangs hatte alles gute Absich­ten und Gründe, es artete dann leider zu sehr in Party aus” erklärt sich die Wiener Stu­den­tin Karin Schmidt­hu­ber das Ende der Pro­teste. Andere sehen einen Grund in der Fixie­rung auf Bil­dungs­an­ge­le­gen­hei­ten. Die Pro­teste fanden zwar große Akzep­tanz in der Bevöl­ke­rung, jedoch keine breite Unter­stüt­zung. Die Aus­deh­nung auf andere soziale Bewe­gun­gen hätte die Wir­kung ver­stär­ken können, beklagt Felix Bauer, Stu­dent der Poli­tik­wis­sen­schaf­ten in Wien. Er erhofft sich für die Zukunft eine wei­ter­ge­hende Ver­net­zung der Proteste.

Nach einem Som­mer­se­mes­ter rela­ti­ver Ruhe und Still­stand, rückt nun die Bewe­gung zuneh­mend in die Öffent­lich­keit. Ab dem 29. Okto­ber läuft in den öster­rei­chi­schen Kinos der Film „#uni­brennt – Bil­dungs­pro­teste 2.0″ an. Diese Doku­men­ta­tion beleuch­tet den Ver­lauf der Pro­teste und fasst die Höhe­punkte zusam­men. Nach­dem am 19. Okto­ber in den meis­ten Uni­ver­si­tä­ten Voll­ver­samm­lun­gen abge­hal­ten wurden und eine Sterndemonstration­ zum Par­la­ment in Wien führte, besetz­ten spon­tan hun­derte Stu­den­ten das Audi­max der Uni Wien. Doch bereits am fol­gen­den Morgen wurden die letz­ten Beset­zer von der Poli­zei nach drau­ßen eskortiert.

Viele Gründe der Pro­teste im Jahr 2009 bestehen wei­ter­hin, und es kommen neue hinzu. So plant die öster­rei­chi­sche Regie­rung für die Fami­li­en­bei­hilfe, die etwa dem deut­schen Kin­der­geld ent­spricht, eine Her­absetzung des Alters von 27 auf 24 Jahre. Das würde einen Groß­teil der Stu­den­ten betref­fen. Man sollte daher Öster­reich nicht zu schnell abschrei­ben. Dort findet man gerade Geschmack am Protest.