Bologna in Berlin

Nach mitt­ler­weile zwölf Jahren soll das Ber­li­ner Hoch­schul­ge­setz an den Bolo­gna-Pro­zess ange­passt werden. Zahl­rei­che Ver­än­de­run­gen sind beab­sich­tigt, die Aus­wir­kun­gen werden kon­tro­vers beurteilt.

Landeskonferenz der Rektoren und Präsidenten der Berliner Hoschulen tagt im Roten Rathaus Hochschulpolitik: Bologna-Prozess in Berlin, Foto: Bettina Jungwirth

Felix steht jetzt auf der Straße. Er ist im ver­gan­ge­nen Semes­ter in zwei Modul­prü­fun­gen durch­ge­fal­len. Somit konnte er Auf­la­gen nicht erfül­len, die ihm die Uni auf­ge­tra­gen hat. Er flog von der Uni. Im vier­ten Semes­ter ein­fach zwangs­ex­ma­tri­ku­liert. Ratlos blickt Felix jetzt in die Zukunft.

Heute ist solch ein Sze­na­rio meist fern ab der stu­den­ti­schen Rea­li­tät. Die „Mög­lich­keit einer obli­ga­to­ri­schen Bera­tung mit der gesetz­lich vor­ge­se­he­nen Sank­tion der Exma­tri­ku­la­tion” sei jedoch nichts Neues, sagt die Senats­ver­wal­tung für Bil­dung, Wis­sen­schaft und For­schung. Soll heißen: Zwangs­be­ra­tung, Prü­fun­gen bestehen, ansons­ten war es das mit dem Stu­die­ren. Noch im Mai soll eine von Bil­dungs­se­na­tor Zöll­ner ent­wor­fene Novelle zum Ber­li­ner Hoch­schul­ge­setz beschlos­sen werden. Er will damit einer erneu­ten Dis­kus­sion nach der Land­tags­wahl im Herbst vor­beu­gen. Und dass, obwohl das Ände­rungs­ge­setz von vielen Seiten heftig kri­ti­siert wird.

Neue Sparrunden befürchtet

Einige Rege­lun­gen beschrän­ken die Auto­no­mie und Leis­tungs­fä­hig­keit der Hoch­schu­len. Das sagt die Lan­des­kon­fe­renz der Rek­to­ren und Prä­si­den­ten der Ber­li­ner Hoch­schu­len (LKRP). Sie befürch­tet, dass mit der Ein­füh­rung neuer Stel­len­ka­te­go­rien künf­tig geplante Spar­maß­nah­men im Vor­feld abge­si­chert werden. Dane­ben sehen viele auch Ver­schlech­te­run­gen auf die Stu­die­ren­den zukom­men. Eine Zwangs­ex­ma­tri­ku­la­tion ist zwar bereits mög­lich, neu ist dabei jedoch, dass die Hoch­schule den Stu­die­ren­den Auf­la­gen ertei­len kann. Künf­tig gehen über­dies alle Noten zwin­gend in die Abschluss­note ein, und es wird erst­mals gesetz­lich fest­ge­schrie­ben, wie oft eine Prü­fung wie­der­holt werden darf.

„Die Novelle wider­spricht allen For­de­run­gen nach einem selbst­be­stimm­ten Stu­dium. Durch die Auf­la­gen wird die Eigen­ver­ant­wor­tung der Stu­die­ren­den unter­gra­ben, zudem werden Wahl­mög­lich­kei­ten redu­ziert”, sagt Arvid Peschel, Mit­glied des AStA der FU. Bisher können Stu­die­rende ein Drit­tel der Lehr­ver­an­stal­tun­gen frei wählen. Das wird im Ände­rungs­ge­setz gestri­chen. Als Ersatz dient eine Rege­lung, wonach Hoch­schu­len indi­vi­du­elle Gestal­tungs­mög­lich­kei­ten „aus­rei­chend” berück­sich­ti­gen sollen. „Ein Anteil von zehn Pro­zent dürfte die untere Grenze sein”, so die Senats­ver­wal­tung. Gesetz­lich fest­ge­schrie­ben ist jedoch nichts. Es ist also mög­lich, dass die finan­zi­ell ohne­hin stark belas­te­ten Hoch­schu­len diese Mög­lich­kei­ten ein­schrän­ken, um Kos­ten zu sparen. Arvid Peschel sieht die Aus­wir­kun­gen in einer ver­stärk­ten „Ver­schu­lung und Uni­for­mi­tät des Stu­di­ums, was es den Stu­die­ren­den schwer macht, sich zu spe­zia­li­sie­ren, eigene Wege im Hoch­schul­stu­dium zu gehen und über den Tel­ler­rand zu schauen.”

Mehr Aufwand für die Hochschulen

Natür­lich gehen von dem Gesetz auch posi­tive Ände­run­gen aus, doch selbst die werden nicht von der Kritik ver­schont. Für beruf­lich Qua­li­fi­zierte ohne Abitur soll der Zugang zu einem Stu­dium in Zukunft erleich­tert werden. Damit wird auf eine For­de­rung der Bil­dungs­pro­teste par­ti­ell ein­ge­gan­gen. Dies führe laut der LKRP jedoch zu einem „Mehr­auf­wand, der im Zulas­sungs­ge­schäft admi­nis­tra­tiv nicht beherrsch­bar” sei. Denn die Bud­gets der Hoch­schu­len werden durch die Novelle nicht geän­dert. Auch die Rang­folge zwi­schen Abitu­ri­en­ten mit Zeug­nis­sen und beruf­lich Qua­li­fi­zier­ten sei unklar.

Im Gesetz steht außer­dem, dass Hoch­schu­len die Mög­lich­keit eines Teil­zeit­stu­di­ums bieten sollen. Das wird von Gewerk­schaf­ten und Stu­die­ren­den­ver­tre­tun­gen begrüßt. Doch trotz dieser posi­ti­ven Grund­idee wird auch hier ein nicht zu bewäl­ti­gen­der Auf­wand befürch­tet. Wei­ter­hin bean­stan­det die Gewerk­schaft Erzie­hung Wis­sen­schaft, dass der Per­so­nen­kreis, der für das Teil­zeit­stu­dium berech­tigt ist, zu eng gefasst sei. Dar­über hinaus ist die recht­li­che Stel­lung der Teil­zeit­stu­den­ten, bei­spiels­weise in Bezug auf eine Kran­ken­ver­si­che­rung, ungeklärt.

Mehr Demo­kra­tie an der Hoch­schule, eine wich­tige For­de­rung der ver­gan­ge­nen Pro­teste, ist wei­ter­hin nicht in Sicht. An den unde­mo­kra­ti­schen Gre­mi­en­struk­tu­ren, wonach die kleinste Gruppe der Hoch­schul­leh­rer die meis­ten Stim­men hat, wird nichts geän­dert. Auch an der Erpro­bungs­klau­sel, die es dem Prä­si­dium der Hoch­schule erlaubt, von Para­gra­fen abzu­wei­chen und Gre­mien zu umge­hen, wird fest­ge­hal­ten. Des­we­gen ruft Jonas Rediske vom AStA der TU jeden dazu auf, sich ein­zu­mi­schen, der sein Stu­dium frei und selbst­be­stimmt orga­ni­sie­ren will. Ohne Enga­ge­ment wird sich nichts ändern. „Wich­tige Infos zum Thema gibt es unter www.berlhg.de.vu und auf der Bil­dungs­streik-Berlin-Seite”, sagt er. Denn wer will schon wie Felix enden?