Schöne Schinken

Die Hexe Baba Jaga kann man sich als häss­li­ches Weib vor­stel­len. Aber eigent­lich ist die Hexe eine ganz Hüb­sche. Mit Chans im Glück machte sie sich auf den Weg nach Berlin.

Die Märchenhütte im Monbijou Park in Berlin Mitte. Foto: Bernd Schönberger. Die Märchenhütte im Monbijou Park in Berlin Mitte. Foto: Bernd Schönberger.

Ein „Ber­lin­ski“ hatte den pol­ni­schen Mär­chen­we­sen näm­li­chen im hei­me­li­gen Wald in Polen ihre Hütte geraubt – abge­baut, auf­ge­schnallt und mit­ge­nom­men. Aber die beiden ließen sich das nicht gefal­len und fanden in Berlin Unter­stüt­zung von Rum­pel­stilz­chen, Rot­käpp­chen („Ich schme­cke wie Scham­pus.“) und Chans‚ Halb­bru­der Hans im Glück. Zusam­men erober­ten sie vor fünf Jahren ihr Heim zurück und spie­len seit­dem jeden Winter in der Mär­chen­hütte auf.

Das Haus von Chans

Die zwei his­to­ri­schen Hütten im Herzen Ber­lins stam­men aus Polen und wurden ori­gi­nal­ge­treu wie­der­auf­ge­baut. Man ver­mu­tet, dass die Häus­chen, die in Ost­po­len an der Grenze zur Ukraine stan­den. Die arme, meist jüdi­sche Bevöl­ke­rung konnte sich zum einen keine Häuser aus Stein leis­ten, zum ande­ren durf­ten sich nur reiche Juden, nicht aber die armen in der Stadt ansie­deln. In der Win­ter­sai­son kam­pie­ren hier die Schau­spie­ler des Hexen­kes­sel Hof­thea­ters. Im Mon­bi­jou­park haben die spiel­wü­ti­gen Schau­spie­ler ihre Som­mer­re­si­denz in Form eines wun­der­schö­nen Amphi­thea­ters — im Winter ver­sam­melt man sich in der Mär­chen­hütte. Dabei sind die 200 Jahre alten Hütten nur knapp der Abriss­birne ent­kom­men. 2008 for­der­ten die Ber­li­ner Behör­den den Abriss wegen abge­lau­fe­ner Geneh­mi­gun­gen – bei dem mas­si­ven Besu­cher­an­drang von bis zu 3000 Thea­ter­gäs­ten pro Wochen­ende besann man sich dann aber doch.

Gute Grimmis gibt’s genug

Zu sehen gibt es halb­stün­dige „Grim­mis“: Von den etwas geal­ter­ten Hänsel und Gretel über den wirk­lich put­zi­gen Gestie­fel­ten Kater bis zu dem nicht ganz so popu­lä­ren „Machan­del­baum“. Unter­schie­den wird zwi­schen den jugend­freien Vor­stel­lun­gen für Kinder am Tag und den ver­ruch­te­ren Stü­cken für Erwach­sene am Abend. Mit der Tren­nung von Kinder- und Erwach­se­nen-Stü­cken bringt das Ensem­ble auch etwas zum Tragen, was nicht jedem bewusst ist: Mär­chen wurden nicht zwangs­läu­fig für Kinder erspon­nen und erzählt, son­dern trugen mora­li­sche Grund­re­geln weiter und unter­hiel­ten die Men­schen. Auf­ge­schrie­ben wurden Mär­chen in Deutsch­land erst­mals – in pro­mi­nen­ter Form – von den Grimms. Meist wurden sie aber münd­lich wei­ter­ge­ge­ben, was auch zu regio­na­len Unter­schie­den in den Erzäh­lun­gen führte. Und so werden auch die „Grim­mis“ frei inter­pre­tiert; mal skur­ril, mal düster und auch bezau­bernd. Im Vor­der­grund steht – ganz in der Tra­di­tion der Commedia dell’arte, die Unter­hal­tung des Volkes und nicht die kor­rekte Wider­gabe der Mär­chen, die Wil­helm und Jacob am Anfang des 19. Jahr­hun­derts anfin­gen zu sam­meln und schließ­lich 1812 zum ersten Mal als „Kinder- und Haus­mär­chen“ veröffentlichten.

Ohne Furcht wird ausgezogen

Und weil „Grim­mis“ Kon­junk­tur und man den Brü­dern Grimm auch mal Respekt zollen möchte, wird in diesem Jahr auch in Frank­furt am Main eine Mär­chen­hütte stehen. Das ist der per­fekte Stand­ort, denn die Mär­chen­on­kel Grimm wurden in Hanau bei Frank­furt gebo­ren und zogen in den fol­gen­den Jahren durch Städte wie Kassel, Mar­burg und wuch­sen im lau­schi­gen Steinau auf, umge­ben von Wäl­dern und Tälern. Da ist die gefühlte Nähe zu Koh­len­munk-Peter, dem Hol­län­der-Michel und dem zarten Glas­männ­lein im Schwarz­wald auch nicht mehr weit. Die Ber­li­ner Saison wird am Wochen­ende vom 18.–20. Novem­ber 2011 eröff­net. Als Schau­spiel-Schman­kerl besu­chen dieses Jahr auch Hahn, Katze, Hund und Esel als Bremer Stadt­mu­si­kan­ten die Märchenhütte.

Und am Ende eines Mär­chens heißt es immer: Ende gut – alles gut. Nicht so bei dem Grim­mis, denn: Ein Ende ist nicht in Sicht.

Mehr Infos und Karten unter www.maerchenhuette.de

 

Über Christiane Kürschner (89 Artikel)
2004 bis 2010 Studium (Philosophie, Deutsche Philologie, AVL) an der FU, HU und Uni Bern. 2007 bis 2010 Fachjournalistikstudium. PR-Volontariat bis Juni 2011. Seit Juli 2011 freie Autorin und Texterin. Ihre Leidenschaften: Bücher, Fotografie und Essen- und in allem viel Farben. www.frollein-wortstark.de
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