Zu Gast bei Burschlern

Ein junger Stu­dent schwärmt für den Sturm und Drang. Jetzt wagt er die Begeg­nung mit einer moder­nen Bur­schen­schaft, einem Relikt dieser Epoche.

[Ver­bin­dun­gen] Ich klin­gele bei der Bur­schen­schaft in Dahlem, der Fux­ma­jor öffnet mir die Tür. Auf­merk­sam folge ich ihm, den Blick schwei­fend, am alten Pia­no­forte und der schö­nen Bestuh­lung hängen blei­bend. Etwa 200 Jahre sind ver­gan­gen und doch scheint inmit­ten dieser Kulisse von aus­ge­stopf­ten Füch­sen, zer­schlis­se­nen Fahnen und Foto­gra­fien Eins­ti­ger und Jet­zi­ger; ja, inmit­ten dieser Räume scheint der Geist des Ver­gan­ge­nen, die Losung alter Tage noch greif­bar, gar lebbar zu sein. Hier befin­det sich, als Zen­trum der Villa ange­legt, der Knei­p­saal, präch­tig anzu­se­hen, mit einer langen Tafel, Wappen und Rapier an der Stirn­seite, dem­ge­gen­über der Fux­ma­jor und ich den Aus­blick in den Hof wagend. Der Saal diene zur Ver­samm­lung ebenso wie zum Tanz und Fech­ten, erklärt mir der Herr. Welch junger Mann könne heut’ noch rech­ten Schrit­tes tanzen, vom Säbel­schwung mal abge­se­hen, fügt er hinzu.

Fehlende Worte

Ich werde stut­zig. Man liest es doch in bestän­di­ger Weise, dass aus­schwei­fende Feste, frau­en­feind­li­ches Gehabe, radi­kale Gesin­nun­gen den Bur­schen­schaf­ten eigen seien, werfe ich in den Raum. „Hah, es lebe jeder deut­sche Mann, der, wie er denkt, auch spricht! Wer je auf Trug und Bos­heit sann, ver­lö­sche wie ein Licht!“, pol­tert der Fux­ma­jor und fügt fei­er­lich hinzu: „Alle Brüder sollen leben, die der Freund­schaft Bund ver­eint; jeder soll ein Hoch erle­ben, der es red­lich mit uns meint.“ Ein Kom­men­tar bleibt mir im Halse ste­cken. Frisch weiter geht es in die oberen Etagen, wo die Zimmer der Füchse und Bur­schen sich befin­den, jene sind weder recht groß noch ernst­lich klein. Die Füchse nennen ihre Zimmer gar Käm­mer­lein. Drin­nen alles was der Stu­dent heut braucht: ein Bett, ein Schreib­tisch, ein Regal, WLAN gebe es auch über­all, so der Fux­ma­jor, zudem findet sich ein ange­neh­mer Fens­ter­blick auf den großen Garten. Dar­auf­hin geht es tief hin­un­ter, hier weht ein unge­wöhn­li­cher Wind: der Pauk­kel­ler – zum Üben der Mensur – hat eine merk­wür­dige Ein­rich­tung. Höl­zerne, schwer geschun­den Figu­ren, Bilder des Pro­ze­de­res, Foto­gra­fien von blu­ten­den Köpfe. „Andenken an die Pflicht­men­sur“, so der Fux­ma­jor zu mir, gefoch­ten werde hier nicht mehr. Eine alte Kegel­bahn findet sich – älter als das Haus, lass ich mir sagen. Anschlie­ßend geht es in einen Raum mit Bar und Tresen, Leder­ses­sel und Röh­ren­fern­se­her, nir­gendwo sonst in Berlin, meint er, sei es so schön wie hier. Um keine Ant­wort schul­dig zu blei­ben, ent­gegne ich: „Wahr­lich schön hier in Dahlem.“ Wieder empor erbli­cke ich voll Bewun­de­rung für den Schrei­ner die zur Hälfte holz­ver­tä­felte Wand, ein­deu­tig von des Meis­ters Hand geschaf­fen, sage ich – und nicht eben üblich, da zumeist nur Stoff die ande­ren Häuser von Innen ziert, erklärt mir der Fux­ma­jor. In dem klei­nen, von einem Bil­lard­tisch und einem Fuß­ball­tisch fast gänz­lich aus­ge­füll­tem Zimmer, mit einem ein­zi­gen Bücher­re­gal an der kurzen Seite – die Biblio­thek – kommt der Fux­ma­jor zur Sache: Frohen Mutes lädt er mich auf die nächste Kneipe ein: Einen kurzen Moment zau­dere ich, ein leich­tes Unbe­ha­gen füh­lend. Wie geschehe mir, so es zum Sauf­ge­lage käme, und wenn man erst erführe, dass ich zwar für die alten Zeiten schwelge. Doch gedenke ich nicht, mich in Bälde mit der Frei­heit zu ver­wer­fen und ihnen beizutreten.

Faustische Feier

Jeden­falls fand ich mich am Abend auf besag­ter Kneipe wieder. Die Krüge vor mir, eng auf der Bank ein­ge­reiht, ist mir anfangs noch recht bange. Nach zwei, drei kräf­ti­gen Zügen jedoch betei­lige ich mich all­mäh­lich am Gespräch. Stunde um Stunde ver­fliegt, ich bin ver­tieft in die Gesprä­che über Stu­dium und Liebe, Pro­fes­so­ren und Frauen. So man­cher ergötzte sich in gegen­sei­ti­ger Bewun­de­rung, wäh­rend ein ande­rer um jeden Zank sich mühte. Ich weiß nicht mehr, wann ich es sagte, doch ohne mir was dabei zu denken, erzählte ich dem Fux­ma­jor von meiner Furcht: Vor den Sprü­chen der Leute, vor dem Urteil meiner Freunde, dass ich hier, man weiß ja nicht, bei­sam­men sitze. Darauf steht er auf und singt frei heraus: „Wo sich Brüder froh umar­men, flieht der Hass und der blasse Neid; nur die Freund­schaft mag erwär­men, in den Schoß die Fröh­lich­keit“. Ich schaue ihn fra­gend an, worauf er mich fixiert. „Und, willst du nun bei uns wohnen? Pro­fes­sor willste werden“, fragt der Fux­ma­jor, denn „so manch alter Herr könnt da wohl nütz­lich sein!“ Erstaunt, es war ja auch schon spät, erwi­dere ich: „Besten Dank mein Herr, doch der leichte Weg, ist nie­mals auch der rechte.“ Rasch gehe ich nach Hause, im Ohr noch die Gesänge – „… nie kehrst du wieder

Info

Lati­num Nach­weis über Latein­kennt­nisse, für manche Stu­di­en­gänge Pflicht­vor­aus­set­zung. K ann in der Schule, aber auch an der Hoch­schule erwor­ben werden. In man­chen Fällen genügt es bereits, eine uni­in­terne Klau­sur zu bestehen. Lati­num- Besit­zer müssen diese in der Regel nicht mitschreiben.