Bessere Lehre gegen Studienabbrüche

Jeder vierte Stu­dent in Deutsch­land bricht das Stu­dium ab. Alle wissen: Die Lehre muss besser werden. Doch die Unis kneifen.

Lernen soll Spaß machen – theoretisch. Lernen ist Tortur – praktisch. Dozenten sollten umdenken, damit gute Lehre kein leeres Versprechen bleibt.(Foto: view7/photocase.com)

[Lehre] Als „Stu­di­en­ab­bre­cher“ gilt, wer nach Beginn seines Erst­stu­di­ums die Hoch­schule end­gül­tig und ohne Abschluss ver­lässt – Fach­wechs­ler oder Stu­den­ten im Zweit­stu­dium aus­ge­schlos­sen. Zur Zeit sind das im Durch­schnitt rund 21 Pro­zent aller deut­schen Stu­den­ten. Sicher sind indi­vi­du­elle Fehl­ent­schei­dun­gen in der Fächer­wahl und Geld­man­gel oft Fak­to­ren für einen Abbruch, doch die wich­tigste Auf­gabe der Hoch­schu­len, die Lehre, wird selten kri­tisch betrach­tet – ein schwe­rer Fehler, sagen Experten.

Viele Studien – eine Erkenntnis

In regel­mä­ßi­gen Abstän­den werden aller­lei Daten erho­ben, bei­spiels­weise durch die inter­na­tio­nale Orga­ni­sa­tion für wirt­schaft­li­che Zusam­men­ar­beit und Ent­wick­lung (OECD). Auch das Hoch­schul-Infor­ma­ti­ons-System (HIS) sam­melt in Deutsch­land Daten zum Hoch­schul­be­trieb. Daraus ergibt sich jedes Jahr aufs Neue, dass Stu­den­ten an Fach­hoch­schu­len ihr Stu­dium weit­aus sel­te­ner abbre­chen, als dies an Uni­ver­si­tä­ten zu beob­ach­ten ist. Männer werfen öfter die Flinte ins Korn als Frauen, und am häu­figs­ten bre­chen Stu­den­ten der Sprach- und Kul­tur­wis­sen­schaf­ten, Wirt­schafts­wis­sen­schaf­ten, Infor­ma­tik und Maschi­nen­bau ab. Medi­zi­nern und Lehr­amts­stu­den­ten scheint es hin­ge­gen meist recht gut im Hör­saal zu gefal­len, ihre Abbre­cher­quote ist die geringste. Ver­gleicht man, wie viele der jungen Men­schen einen Hoch­schul­ab­schluss errei­chen, so sind das in Deutsch­land nur 23 Pro­zent. Island als Spit­zen­rei­ter schafft 63 Pro­zent, und selbst der Durch­schnitt der OECD-Länder liegt bei 39 Pro­zent. Mit klei­nen Schwan­kun­gen wissen auch die Uni­ver­si­tä­ten das nun schon seit Jahr­zehn­ten – aber im Lehr­be­trieb werden diese Daten nur wenig beachtet.

Die Rechnung ist einfach

Auch beim Anteil der Aus­ga­ben für die staat­li­che Bil­dung liegt Deutsch­land im Ver­gleich zu ande­ren Län­dern auf einem abge­schla­ge­nen Platz. Es ist kein Zufall, dass diese Werte in einem ein­deu­ti­gem Zusam­men­hang zu den Ergeb­nis­sen bei PISA stehen. Die Rech­nung ist ein­fach – wenig Inves­ti­tio­nen, wenig Erfolg, wenig Zukunft. Rike, eine Stu­den­tin der Rechts­wis­sen­schaf­ten an der FU im drit­ten Semes­ter, bekommt das Spar­pro­gramm zu spüren Ver­gan­ge­nes Jahr noch lagen die Kurs­grö­ßen dort bei 40 Stu­den­ten, dieses Jahr sind es plötz­lich mehr als 100. „Gerade bei der Lehre sollte man meiner Mei­nung nach gerade nicht sparen. Dass das trotz­dem der Fall ist, finde ich ein­fach trau­rig.“ Dass man die Stu­den­ten in einer so großen Gruppe nicht indi­vi­du­ell betreuen kann, ist klar. Die Stu­di­en­pläne werden zusam­men­ge­staucht, die Unter­richts­ein­hei­ten ver­kürzt. Der Bache­lor bringt den Hoch­schu­len vor allem eines: Ein­spar­mög­lich­kei­ten bei der Lehre. Die Stu­den­ten sollen ver­stärkt auf das Berufs­le­ben vor­be­rei­tet werden und dafür hoch­qua­li­fi­ziert sein – diese Rech­nung geht jedoch nicht auf.

Ist Lehre noch lehrreich?

„Es muss ein­ge­se­hen werden, dass gute Wis­sen­schaft­ler nicht immer auch gute Lehrer sind“, bezieht Seve­rin, ein Stu­dent an der HU, klar Stel­lung. Die Vor­le­sun­gen und Semi­nare sind mit Stu­den­ten über­la­den. Gut auf­be­rei­tete ver­an­stal­tungs­be­glei­tende Unter­richts­ma­te­ria­lien sind oft Man­gel­ware, Ver­läss­lich­keit und Metho­dik fehlen – das soll­ten die Hoch­schu­len ihren Stu­die­ren­den eigent­lich selbst­ver­ständ­lich bieten. Dass es häufig ganz anders ist, zeigt die Rea­li­tät. „Viele Dozen­ten kommen unvor­be­rei­tet in die Vor­le­sun­gen, spulen 90 Minu­ten lang einen unstruk­tu­rier­ten Text ab und stel­len die Glie­de­rung von vor­letz­ter Woche meist erst mit einer Ver­zö­ge­rung von wei­te­ren vier Wochen online. Dabei als Stu­dent am Ball zu blei­ben ist eigent­lich unmög­lich“, berich­tet Steffi, die Geschichte studiert.

Es geht auch anders

Stu­dien und die Praxis in vielen ande­ren Län­dern, wie bei­spiels­weise den USA, haben längt belegt, wie Lehre und Lernen funk­tio­nie­ren können. „Dozen­ten soll­ten dazu ver­pflich­tet werden, didak­ti­scher zu arbei­ten“, for­dert auch Ulrike, eine Stu­den­tin der Ger­ma­nis­tik. Didak­tik und ein durch­dach­tes Unter­richts­kon­zept kosten vor allem Zeit, die sich einige Dozen­ten anschei­nend nicht nehmen wollen – oder können. Die Wis­sen­schaft hat belegt, dass wir nur rund 20 Pro­zent dessen behal­ten, was wir nur hören, was das Stan­dard­kon­zept einer Vor­le­sung dar­stellt. Diese soll­ten daher audi­tive, visu­elle und vor allem inter­ak­tive Ele­mente beinhal­ten, das Ergeb­nis der Erin­ne­rungs­leis­tung steigt damit auf 70 bis 90 Pro­zent. Dass solche Ansätze mög­lich sind, bewei­sen bereits manche Pro­fes­so­ren und Dozen­ten, die meis­ten von ihnen sind jung und kennen die Bedürf­nis­sen der Stu­den­ten noch gut aus ihrer eige­nen Studienzeit.

Umdenken

Denn die Hör­säle ver­än­dern sich. Die ältere Genera­tion der Dozen­ten eme­ri­tiert, neue Pro­fes­so­ren und Pro­fes­so­rin­nen bezie­hen Stel­lung am Red­ner­pult. Das Net­book ist für Stu­den­ten längst eine Selbst­ver­ständ­lich­keit gewor­den. Nie zuvor war es in der Theo­rie so ein­fach, die Lehre inter­ak­tiv zu gestal­ten, mit den Stu­den­ten in Kon­takt zu kommen und Feed­back von ihnen zu krie­gen. Doch dafür müssen Dozen­ten dies zum einen wollen und zum ande­ren die nötige Unter­stüt­zung erhal­ten, bei­spiels­weise in Form von Wei­ter­bil­dun­gen. Ansons­ten blei­ben alle schö­nen Worte

Über Anne Bettina Nonnaß (10 Artikel)
Anne ist seit 2010 Teil der Stadtstudenten-Redaktion. Nach ihrem 3-jährigen Aufenthalt in Kanada und ihrer Tätigkeit als Cutter und Assistant Producer in British Columbia zog sie nach Berlin. Seitdem ist sie in zahlreiche Projekte involviert und unter anderem Mitglied des Erweiterten Vorstandes des UWC Network e.V. Sie studiert seit 2010 Rechtswissenschaften an der Freien Universität Berlin.