Berlin Graffiti Illegal

Züge, Wände, Haus­dä­cher – Sprayer finden in Berlin genü­gend Flä­chen für ihre Akti­vi­tä­ten. Wer sich nicht die aus­drück­li­che Erlaub­nis dafür ein­holt und erwischt wird, muss mit emp­find­li­chen Stra­fen rechnen. 

Anonym sprayen in Berlin? (Foto: Albrecht Noack)

Die beiden Sprayer F. und D. waren jah­re­lang ille­gal aktiv. In einer Kreuz­ber­ger Kneipe reden sie über ihre Erleb­nisse in der Graffiti-Szene.

 

Wart ihr beim Sprayen schon einmal in Lebensgefahr?

D: Ja! Einmal muss­ten wir ein kurzes Stück durch einen Eisen­bahn­tun­nel gehen. Aus­ge­rech­net da kam ein Zug in voller Fahrt von hinten um die Kurve. Wir konn­ten uns gerade noch auf den Boden werfen und uns an die Wand pres­sen. Ich sah die Eisen­rä­der an meiner Nase vor­bei­rol­len und wusste, wenn ich mich am Zug ver­fange, dann komme ich unter die Räder. So etwas machst du nur einmal in deinem Leben.

Warum seid ihr dieses Risiko eingegangen?

D: Wir waren sehr uner­fah­ren, so was sollte einem als Profi nicht passieren.

Was ist für euch der Reiz am Sprayen?

D: Jede Aktion ist ein Aben­teuer. Du badest in Adre­na­lin und for­derst dich selbst heraus. Du beweist dir selbst, wozu du fähig bist. Es geht nicht darum, jeman­dem per­sön­lich zu scha­den. Uns geht es eher darum, das System Nacht für Nacht aufs Neue auf die Schippe zu nehmen. Das Bild war für uns nebensächlich.

Bemalt ihr heute noch Züge?

D: Nein, auch wir werden älter und ver­nünf- tiger. Train-Bom­bings (Graf­fi­tis auf Zügen) sind mit­un­ter die gefähr­lichs­ten Aktio­nen, und das Risiko, erwischt zu werden, steigt mit jedem Mal. Du wirst leicht­sin­nig und hältst dich für unbe­zwing­bar. Du ver­lierst den Respekt vor der Situa­tion. Deine Wahr­neh­mung ver­än­dert sich. Ich wurde psy­chisch krank, ja sogar paranoid.

Wieso bist du paranoid geworden?

D: Du weißt, dass die Poli­zei dich sucht. Ich konnte irgend­wann nicht mehr zuhause sein, weil ich das Gefühl hatte, dass sie mich bald finden. Bei jedem Strei­fen­wa­gen, der mir über den Weg fuhr, dachte ich, sie sind wegen mir hier und suchen mich. Immer wenn es an der Tür geklin­gelt hat, bin ich in Panik aus­ge­bro­chen. Einmal saß ich in der S‑Bahn und bin ver­rückt gewor­den, weil ich Farb­reste an meinen Fin­gern hatte. Es war, als klebe Blut an meinen Fingern.

Was war der Grund dafür, dass du endgültig damit aufgehört hast?

D: Das war unsere letzte Aktion. Wir waren dabei, zwei Cars [Wag­gons] mit einem End-To- End-Panel [kom­plet­ter Waggon bis kurz unter die Fens­ter­schei­ben] fertig zu machen, als wir in der Ent­fer­nung Schritte hörten. Wir waren uns sicher, dass im Yard [Zug­de­pot] nie­mand außer uns war. Wir ver­steck­ten uns unter den Zügen und beob­ach­te­ten, wie dunkle Schat­ten auf uns zuka­men. Sie kamen von überall.

Wie seid ihr aus der Situation rausgekommen?

D: Bei mir hat dann der Über­le­bens­in­stinkt ein­ge­setzt, und ich dachte, dass ich ein­fach durch die Leute hin­durch­ren­nen könnte. Ich prallte mit zwei Per­so­nen zusam­men und fiel auf den Boden. Sofort stand ich wieder auf und klet­terte wie vom Teufel beses­sen einen drei Meter hohen Zaun empor. Auf der ande­ren Seite sprang ich in einem Satz hin­un­ter. Zwei­fel und Schmer­zen gab es nicht, ich wollte ein­fach nur weg.

Und wie ging es dann weiter?

D: Auf der ande­ren Seite war eine Schre­ber­gar­ten­ko­lo­nie, ich musste über viele wei­tere Zäune, von einer Par­zelle in die nächste, klet­tern. Jedes Mal ist wegen der Bewe- gungs­mel­der das Licht hinter mir ange­gan­gen. Man konnte von über­all sehen, wo ich gerade war. Ich kam mir vor wie in einem Nintendo-Spiel.

Haben dich die Wachleute kriegen können?

D: Nein, nach tau­send Zäunen war ich die los. Aber ich konnte nicht ein­fach zur nächs­ten S‑Bahn-Hal­te­stelle gehen und weg­fah­ren. Ich ver­steckte mich bis zum nächs­ten Tag in einem Haus­ein­gang. Am Morgen habe ich meine Kla­mot­ten aus­ge­zo­gen und sie in den Müll geschmis­sen. So als wäre nichts gewesen.

Wie ausgezogen? Du bist nackt zur Haltestelle gelaufen?

D: Bei sol­chen Aktio­nen hast du immer zwei Gar­ni­tu­ren an. Etwas Dunk­les, damit man dich nachts schlecht sieht, dar­un­ter etwas Helles, damit man dich nicht an deiner Klei- dung wie­der­erken­nen kann, wenn man nach dir sucht. Ich hatte sogar ein weißes Hemd an und sah aus, als käme ich gerade aus der Kirche.

Kann man einen Sprayer überhaupt noch anhand seiner Kleidung erkennen?

F: Früher war Sprayen Teil der Hip-Hop- Kultur. Heute kommen Sprayer aus allen Schich­ten. Dar­un­ter sind Mäd­chen, Punks, Heavy-Metal-Freaks, Stu­den­ten, Arbeits­lose, Ange­stellte, Fami­li­en­vä­ter. Einem Sprayer sieht man es nicht an.

Wo habt ihr sonst gesprayt?

F: Es gibt ent­spannte Orte, wie Haus­dä­cher. Die „offene“ Straße ist dage­gen sehr riskant.

Wieso das?

F: Weil sie unbe­re­chen­bar ist. Du weißt nicht, ob nicht doch irgendwo jemand am Fens­ter steht und dich beob­ach­tet. In einem Moment ist die Straße wie aus­ge­stor­ben, dann kommt plötz­lich ein Poli­zei­auto um die Kurve.

Und warum habt ihr aufgehört?

F: Irgend­wann hat man genug davon. Wir sprayen heute nur noch legale Wände oder Auf­trags­ar­bei­ten. Wenn man legal arbei­tet, steht die Kunst im Vor­der­grund. Man kann auch mal für ein paar hun­dert Euro Farben kaufen und hat genug Zeit, um sich in Ruhe seinem Werk zu widmen. Es gibt für mich nichts Schö­ne­res, als an einem son­ni­gen Tag mit ande­ren Spray­ern stun­den­lang zu malen. Das ist etwas ganz ande­res, als heim­lich in zwei Minu­ten drei Buch­sta­ben an die Wand zu klatschen.

Über Frank Döllinger (12 Artikel)
Das Schreiben war schon immer meine Leidenschaft, sowie eine Begeisterung für Naturwissenschaft und Technik zu mir gehört. Nach einer Ausbildung in der Biotechnologie, bin ich nun auch dabei mein interdisziplinäres Fachwissen, um Kenntnisse in der Physik, Mathematik und Informatik zu erweitern. Als Student der "Naturwissenschaften in der Informationsgesellschaft" an der TU-Berlin versuche ich fächerübergreifendes Wissen mit redaktioneller Arbeit zu verknüpfen. Die Mitarbeit bei Stadtstudenten.de macht mir sehr viel Spaß - neben der vielen Erfahrungen die man hier macht.

1 Trackbacks & Pingbacks

  1. Katja dollinger | Imagearmy

Kommentare sind deaktiviert.