Berlin Graffiti Illegal
Züge, Wände, Hausdächer – Sprayer finden in Berlin genügend Flächen für ihre Aktivitäten. Wer sich nicht die ausdrückliche Erlaubnis dafür einholt und erwischt wird, muss mit empfindlichen Strafen rechnen.
Die beiden Sprayer F. und D. waren jahrelang illegal aktiv. In einer Kreuzberger Kneipe reden sie über ihre Erlebnisse in der Graffiti-Szene.
Wart ihr beim Sprayen schon einmal in Lebensgefahr?
D: Ja! Einmal mussten wir ein kurzes Stück durch einen Eisenbahntunnel gehen. Ausgerechnet da kam ein Zug in voller Fahrt von hinten um die Kurve. Wir konnten uns gerade noch auf den Boden werfen und uns an die Wand pressen. Ich sah die Eisenräder an meiner Nase vorbeirollen und wusste, wenn ich mich am Zug verfange, dann komme ich unter die Räder. So etwas machst du nur einmal in deinem Leben.
Warum seid ihr dieses Risiko eingegangen?
D: Wir waren sehr unerfahren, so was sollte einem als Profi nicht passieren.
Was ist für euch der Reiz am Sprayen?
D: Jede Aktion ist ein Abenteuer. Du badest in Adrenalin und forderst dich selbst heraus. Du beweist dir selbst, wozu du fähig bist. Es geht nicht darum, jemandem persönlich zu schaden. Uns geht es eher darum, das System Nacht für Nacht aufs Neue auf die Schippe zu nehmen. Das Bild war für uns nebensächlich.
Bemalt ihr heute noch Züge?
D: Nein, auch wir werden älter und vernünf- tiger. Train-Bombings (Graffitis auf Zügen) sind mitunter die gefährlichsten Aktionen, und das Risiko, erwischt zu werden, steigt mit jedem Mal. Du wirst leichtsinnig und hältst dich für unbezwingbar. Du verlierst den Respekt vor der Situation. Deine Wahrnehmung verändert sich. Ich wurde psychisch krank, ja sogar paranoid.
Wieso bist du paranoid geworden?
D: Du weißt, dass die Polizei dich sucht. Ich konnte irgendwann nicht mehr zuhause sein, weil ich das Gefühl hatte, dass sie mich bald finden. Bei jedem Streifenwagen, der mir über den Weg fuhr, dachte ich, sie sind wegen mir hier und suchen mich. Immer wenn es an der Tür geklingelt hat, bin ich in Panik ausgebrochen. Einmal saß ich in der S‑Bahn und bin verrückt geworden, weil ich Farbreste an meinen Fingern hatte. Es war, als klebe Blut an meinen Fingern.
Was war der Grund dafür, dass du endgültig damit aufgehört hast?
D: Das war unsere letzte Aktion. Wir waren dabei, zwei Cars [Waggons] mit einem End-To- End-Panel [kompletter Waggon bis kurz unter die Fensterscheiben] fertig zu machen, als wir in der Entfernung Schritte hörten. Wir waren uns sicher, dass im Yard [Zugdepot] niemand außer uns war. Wir versteckten uns unter den Zügen und beobachteten, wie dunkle Schatten auf uns zukamen. Sie kamen von überall.
Wie seid ihr aus der Situation rausgekommen?
D: Bei mir hat dann der Überlebensinstinkt eingesetzt, und ich dachte, dass ich einfach durch die Leute hindurchrennen könnte. Ich prallte mit zwei Personen zusammen und fiel auf den Boden. Sofort stand ich wieder auf und kletterte wie vom Teufel besessen einen drei Meter hohen Zaun empor. Auf der anderen Seite sprang ich in einem Satz hinunter. Zweifel und Schmerzen gab es nicht, ich wollte einfach nur weg.
Und wie ging es dann weiter?
D: Auf der anderen Seite war eine Schrebergartenkolonie, ich musste über viele weitere Zäune, von einer Parzelle in die nächste, klettern. Jedes Mal ist wegen der Bewe- gungsmelder das Licht hinter mir angegangen. Man konnte von überall sehen, wo ich gerade war. Ich kam mir vor wie in einem Nintendo-Spiel.
Haben dich die Wachleute kriegen können?
D: Nein, nach tausend Zäunen war ich die los. Aber ich konnte nicht einfach zur nächsten S‑Bahn-Haltestelle gehen und wegfahren. Ich versteckte mich bis zum nächsten Tag in einem Hauseingang. Am Morgen habe ich meine Klamotten ausgezogen und sie in den Müll geschmissen. So als wäre nichts gewesen.
Wie ausgezogen? Du bist nackt zur Haltestelle gelaufen?
D: Bei solchen Aktionen hast du immer zwei Garnituren an. Etwas Dunkles, damit man dich nachts schlecht sieht, darunter etwas Helles, damit man dich nicht an deiner Klei- dung wiedererkennen kann, wenn man nach dir sucht. Ich hatte sogar ein weißes Hemd an und sah aus, als käme ich gerade aus der Kirche.
Kann man einen Sprayer überhaupt noch anhand seiner Kleidung erkennen?
F: Früher war Sprayen Teil der Hip-Hop- Kultur. Heute kommen Sprayer aus allen Schichten. Darunter sind Mädchen, Punks, Heavy-Metal-Freaks, Studenten, Arbeitslose, Angestellte, Familienväter. Einem Sprayer sieht man es nicht an.
Wo habt ihr sonst gesprayt?
F: Es gibt entspannte Orte, wie Hausdächer. Die „offene“ Straße ist dagegen sehr riskant.
Wieso das?
F: Weil sie unberechenbar ist. Du weißt nicht, ob nicht doch irgendwo jemand am Fenster steht und dich beobachtet. In einem Moment ist die Straße wie ausgestorben, dann kommt plötzlich ein Polizeiauto um die Kurve.
Und warum habt ihr aufgehört?
F: Irgendwann hat man genug davon. Wir sprayen heute nur noch legale Wände oder Auftragsarbeiten. Wenn man legal arbeitet, steht die Kunst im Vordergrund. Man kann auch mal für ein paar hundert Euro Farben kaufen und hat genug Zeit, um sich in Ruhe seinem Werk zu widmen. Es gibt für mich nichts Schöneres, als an einem sonnigen Tag mit anderen Sprayern stundenlang zu malen. Das ist etwas ganz anderes, als heimlich in zwei Minuten drei Buchstaben an die Wand zu klatschen.