Der ewig Gestrige

Illustration von Angelika Schaefer

Liech­ten­stein: Ein sehr klei­nes Land, ein Fürs­ten­tum, zwi­schen Öster­reich und der Schweiz, knapp 37.000 Ein­woh­ner. Die eins­tige Steu­er­oase wirbt mit einer Null-Tole­ranz-Poli­tik. Zumin­dest gegen­über Steu­er­be­trü­gern. Ansons­ten geben sich die Ein­woh­ner des Klein­staa­tes offen und tole­rant. Die meis­ten jeden­falls. G. nicht. Er schreibt Leser­briefe. Er schreibt viele. Er tut es, weil er der Gesell­schaft eines klar machen will: Homo­se­xua­li­tät ist böse.

G. saß Zei­tung lesend in seinem Wohn­zim­mer, umge­ben von Eichen­mö­beln und Fami­li­en­fo­tos, und ärgerte sich. Er hätte laut flu­chen, die Zei­tung zer­rei­ßen oder weg­wer­fen können. Er tat es nicht. Er schrieb seinen ersten Leser­brief. Das war 1997. Über die Jahre folg­ten etli­che. Wie viele er bisher geschrie­ben hat, das kann G. nur schät­zen, 200 viel­leicht. Er holt einen blauen Akten­ord­ner hervor, seine Samm­lung. Die abge­druck­ten Briefe hat er akku­rat aus der Zei­tung aus­ge­schnit­ten und zusam­men mit seinen ein­ge­reich­ten Ori­gi­na­len in Klar­sicht­hül­len gehef­tet. Er blät­tert durch. Es sind wohl mehr als 200. Andere sam­meln Brief­mar­ken, G. sam­melt Leser­briefe. Seine eige­nen. Es ist sein Hobby. Eine Chro­nik des Zorns.

G. ist heute etwas über 70 Jahre alt, er ist Rent­ner. Zusam­men mit seiner Frau wohnt er in einem klei­nen Haus in Vaduz, in Liech­ten­stein. Es ist weiß ver­putzt, eine weiße Stein­treppe führt zum Ein­gang. Vorbei an dem Buchs­baum und dem Wind­rad in Regen­bo­gen­far­ben. Die Men­schen, die hier leben, kennen G., und sie kennen seine Adresse. Er schreibt sie unter jeden Leser­brief. Er macht es, weil er zu seinem Wort steht und zu Sätzen wie: „Das mit der ein­ge­tra­ge­nen Part­ner­schaft für Homo­se­xu­elle ist wie ein Krebsgeschwür.“

Homo­se­xua­li­tät habe ihn schon immer beschäf­tigt, es sei eine Plage und er möchte sie bekämp­fen. Wenn G. von Krebs­ge­schwü­ren spricht, von Plagen, reißt er die Augen weit auf. Er schiebt die Lese­brille nach unten, bis an die Nasen­flü­gel. Dann dreht er am Ehe­ring. Fast fünf­zig Jahre ist er nun ver­hei­ra­tet. Auch seine drei Kinder sind ver­hei­ra­tet. Das sei wich­tig. Fami­lie sei wich­tig. Und Glaube.

Seine Eltern haben ihn, seine Brüder und die Schwes­ter römisch-katho­li­schen erzo­gen. G. kam als vier­tes von fünf Kin­dern zur Welt. Die Eltern waren Bauern, die Kinder halfen viel mit, sonn­tags gingen alle zusam­men in die Kirche. Er habe eine schöne Kind­heit gehabt, auch wegen der Eltern. G. sucht in dem blauen Ordner, dann zitiert er aus seinem eige­nen Leser­brief: „Ein Kind gedeiht besser bei Vater und Mutter.“ Nach einer kurzen Pause fügt er hinzu: „Als bei so Schwulen.“

Homo­se­xua­li­tät war in Liech­ten­stein lange straf­bar. G. sagt, das sei rich­tig gewe­sen, Sünden müss­ten bestraft werden. Bestraft werden Homo­se­xu­elle seit über zwan­zig Jahren nicht mehr. Aber noch bis 2011 kämpf­ten sie für die Aner­ken­nung der gleich­ge­schlecht­li­chen Partnerschaft.

Es gab eine Gegen­kam­pa­gne, initi­iert von einem Cousin des als sehr kon­ser­va­tiv gel­ten­den Erz­bi­schofs von Vaduz, Wolf­gang Haas. G. unter­stützte ihn. Das Fürs­ten­haus hielt sich aus alldem heraus.

Es kam zum Refe­ren­dum, es kam zur Volks­ab­stim­mung. Das Ergeb­nis war ein­deu­tig: Die Mehr­heit, fast 70 Pro­zent der Liech­ten­stei­ner, stimm­ten für das Part­ner­schafts­ge­setz. Heute gibt es das Gesetz und eine Stabs­stelle für Chan­cen­gleich­heit. Gleich­ge­stellt sind Schwule und Lesben trotz­dem noch nicht, Men­schen wie Lukas Oehri.

Er ist schlank, trägt T‑Shirt, Jeans­ja­cke, die Haare kurz und mit Wachs defi­niert. Seine Stimme ist fest, sein Lächeln freund­lich. Der 26-Jäh­rige ist der Prä­si­dent von Flay. Der Verein ver­tritt die Rechte von Homo‑, Bi‑, Inter- und Trans­se­xu­el­len in Liech­ten­stein. Ohne Flay gäbe es das Part­ner­schafts­ge­setz heute viel­leicht nicht. Flay will aber noch mehr errei­chen: die Heirat und das Adop­ti­ons­recht für Lesben und Schwule. „Es kann nicht sein, dass Homo­se­xu­elle ins Aus­land ziehen müssen, nur um Kinder zu haben“, sagt Oehri. Auch er möchte eines Tages ein Kind adop­tie­ren. Er wäre der erste Mann in Liechtenstein.

Wenn es nach G. geht, wird es nie­mals dazu kommen. Gerade jetzt, wo die „sata­nis­ti­sche Schwu­len­lobby“ erstarke, müsse man sich wehren. Eine Zei­tungs­re­dak­tion sei bereits infil­triert, sagt G. Er wird seine Briefe nur noch an eine der beiden Liech­ten­stei­ner Tages­zei­tun­gen schi­cken, die ande­ren bekom­men nichts mehr. Sie haben seine letz­ten Briefe nicht ver­öf­fent­licht. Unge­wöhn­lich in Liech­ten­stein. Nor­ma­ler­weise werden alle Leser­briefe gedruckt – unge­kürzt. Warum dies­mal nicht? Die Briefe seien zu respekt­los gewe­sen, sagt ein Ver­tre­ter der Redak­tion. In der Redak­tion gebe es Schwule, sagt G. Die Sache wurde öffent­lich. Er habe dann viele Anrufe bekom­men: „Bitte schrei­ben Sie weiter.“ Das habe ihn gefreut, bestä­tigt und ermu­tigt. Er lächelt. Auf­ge­ge­ben hätte er aber auch ohne den Zuspruch ande­rer nicht. Seine Mis­sion ist noch nicht erfüllt.

Es ist Sams­tag­abend, halb sieben. Wolf­gang Haas hält eine Fest­tags-Pre­digt in der
St. Theo­dul Kapelle in Trie­sen­berg. Auch G. ist gekom­men. Die Kapelle ist voll. Beige, ocker, hell­braun, dun­kel­braun, die Gläu­bi­gen tragen graue Haare und Erd­far­ben. Es riecht nach 4711. Fast alle hier sind Rent­ner. Auch zwei junge Fami­lien sind da. An der halb geöff­ne­ten Tür stehen Männer, sie haben keinen Sitz­platz bekom­men. G. sitzt, er trägt Jackett.

Vor der Kapelle steht ein Blu­men­kü­bel mit Laven­del, dane­ben Wan­der­stö­cke. Es ist die höchst­ge­le­gene Kapelle Liech­ten­steins. Von der Decke tönt ein Laut­spre­cher: „Liebe, das können Men­schen nur mit ande­ren Men­schen erfah­ren.“ Der Bischof sagt „Men­schen“. Auch Schwule sind Men­schen. Mit Liebe meint Haas aber vor allem die Liebe zu Eltern, zu Freun­den, die geis­tige Liebe. Später erklärt er: „Wenn es um geschlecht­li­che Liebe geht, dann ist die Offen­heit auf Nach­wuchs hin zu gewähr­leis­ten.“ Damit meint er: Sex von Homo­se­xu­el­len ist nicht nach­wuchs-offen – es ist eine Sünde.

Haas drückt sich gewählt aus, viele Neben­sätze, viele Fremd­wör­ter, keine Ähs. Er ist Mitte sech­zig, Körper und Kopf rund, das Gewand weiß, die Gesichts­farbe röt­lich. Was er in seiner Pre­digt nicht sagte: Das Part­ner­schafts­ge­setz ärgert ihn immer noch. Er ist über­zeugt, dass die Liech­ten­stei­ner mehr­heit­lich dage­gen waren. Aber sich nicht trau­ten es zu sagen. Je mehr er sich auf­regt, desto kürzer, kon­kre­ter werden die Sätze: „Es macht keinen Sinn. Das ist reines Main­strea­ming. Liech­ten­stein wollte nur nicht als hin­ter­wäld­le­risch gelten.“ G. würde sagen: „Die Schwu­len­lobby ist schuld.“ Haas sagt: „Es fehlt an Glau­bens­ge­hor­sam.“ G. glaubt. Er hat bereits zwei neue Leser­briefe vor­be­rei­tet, es geht um Fami­lie, um Adop­tion und um Homo­se­xua­li­tät. Nächste Woche wird er sie an die Redak­tion schicken.