Berlin als Ausland
Heather Dunbar, 21, kommt aus Burnaby, einem Vorort von Vancouver. Sie studiert Englisch an der Simon Fraser University und nun für ein Jahr an der Humboldt Universität. Ein Gespräch über unterschiedliche Welten, Berlins Vorzüge und Pilze.
Warum wolltest du ausgerechnet nach Deutschland?
Heather: Als ich 16 war, musste mein Papa für seine Arbeit nach Karlsruhe reisen und nahm die ganze Familie mit. Ich hatte Spaß daran, mir kleine Dinge, wie auf Deutsch Essen zu bestellen, beizubringen. Später an der Uni hatte ich Lust, weiterzumachen. Für einen Auslandsaufenthalt bot sich zwar auch Österreich an, aber da ich einen kleinen Teil bereits kannte, wollte ich Deutschland lieber mehr erkunden. Es wurde Berlin, weil es naja, Berlin ist.
Hast du dich an deiner Heimatuniversität gut vorbereitet und an der HU willkommen gefühlt?
Heather: Ja, beides. Ich fühle mich hier wohl. Auch wenn ich im International Office oftmals unfreundlich empfangen wurde. Ich vermute, es liegt an der internen Kommunikation, denn ich bekam häufig widersprüchliche Informationen, besonders bei der Belegung und Anrechnung von Kursen. Dir wird auch vermittelt, dass du dich nur als allerletzten Ausweg ans International Office wenden sollst, wenn du überhaupt nicht weiter weißt und schon überall sonst gefragt hast. Ganz anders die Leute beim Orbis, die waren sehr hilfsbereit! Fairerweise muss man dazu sagen, dass die Leute, die im Orbis arbeiten, die deutlich angenehmeren Aufgaben erledigen als die, die im International Office arbeiten.
Wie nimmst du die Atmosphäre in den Lehrveranstaltungen wahr?
Heather: Sehr freundlich und offen. Ab und zu gibt es beim Inhalt Probleme. Wenn ein Prof etwas sagt wie „ihr habt ja alle in eurem ersten Semester den Text von Soundso gelesen…“, fühle ich mich nicht berechtigt, meinen Senf dazuzugeben, weil ich diesen Grundlagentext nicht kenne. Andererseits fällt mir dann im Gespräch mit meinen Kommilitonen auf, dass viele den Text selbst nicht kennen, oder vergessen haben. Der Anteil an improvisierten Beiträgen ist hier bedeutend höher als bei uns.
Was wundert dich an Berlin?
Heather: Pilze stehen nicht im Kühlregal. Als ich zum ersten Mal Pilze gekauft habe, dachte ich, vielleicht sind das besondere deutsche Pilze, die man nicht kaltstellen muss. Nach zwei Tagen: ih. Berlin ist eine Stadt voller Widersprüche. Es gibt strenge Regeln, an die sich aber kaum jemand zu halten scheint. Wenn du in Vancouver laute Musik in der Bahn hörst, wirst du sofort zurecht gewiesen. Was die Uni angeht: Manche Leute lassen ja noch in der fünften Woche Kurse fallen! Das ist seltsam für mich. An der Simon Fraser müssen wir für jeden Kurs extra bezahlen. Wenn wir einen Kurs ersatzlos fallen lassen, gibt’s eine Gebühr von 50 Dollar.
Noch mehr Sachen, die dich wundern?
Heather: Billiger Alkohol, jederzeit verfügbar. In Vancouver darfst du nicht öffentlich trinken. Alkohol kauft man dort in einem Spirituosenladen. Hier kriegst du alles im Supermarkt, was spontane Picknicks möglich macht. Ach, und Handyverträge sind hier so billig! Ich zahle 9,95€ monatlich. Das ist der Wahnsinn. In Kanada zahlt man zwischen 60 und 70 Dollar.
Was vermisst du in Berlin?
Heather: Unsere Berge, irgendwie. Und die Leute grüßen sich hier nicht. Wenn dir in Vancouver auf der Straße jemand entgegenkommt, ist es gängig sich Guten Tag zu sagen. Es bedeutet nicht unbedingt was – vermutlich sieht man die Person nie wieder – aber ich finde das schöner als so zu tun, als würde man sich nicht sehen.
Berlin in drei Adjektiven?
Heather: Zugänglich, spontan und kantig-eigensinnig. Mit zugänglich meine ich sowohl das jederzeit Verfügbare, als auch die günstigen Eintrittspreise für Theater, Kino, Club. Es gefällt mir so gut hier, was für eine lebhafte Stadt!
Das Interview führte Kathleen Sinclair.