»Es ist kein Widerspruch akademisch und religiös zu sein«

Kausar El-Hussein (li.) und Julia Winterboer im Interview. © Florian Diesing

Seit Mona­ten demons­trie­ren in vielen deut­schen Städ­ten Men­schen bei Pegida-Demons­tra­tio­nen gegen eine angeb­li­che »Isla­mi­sie­rung des Abend­lan­des«. Julia Win­ter­boer, Spre­che­rin der Katho­li­schen Stu­die­ren­den­ge­meinde Edith Stein Berlin, und Kausar El-Hus­sein, Vor­stands­mit­glied der Mus­li­mi­schen Hoch­schul­gruppe Berlin, dis­ku­tie­ren im spree-Inter­view die aktu­elle Situa­tion und erklä­ren, wel­chen Bei­trag reli­giöse Hoch­schul­grup­pen zum inter­re­li­giö­sen Aus­tausch leis­ten können.

Wie erklärt ihr euch die zurzeit so aufgeheizte Stimmung in Deutschland?

Julia: Das ist eine sehr schwie­rige Frage, ich könnte mir vor­stel­len, dass die Angst vor etwas, das man nicht kennt, und die Angst vor dem Ver­lust der eige­nen Pri­vi­le­gien Motive sind, für Bewe­gun­gen wie Pegida auf die Straße zu gehen. Warum man sich aus­ge­rech­net den Islam als Sün­den­bock aus­sucht? Ver­mut­lich stellt er für gewisse Men­schen ein ein­fa­ches Feind­bild dar.

Kausar: Da gebe ich dir recht. Ich möchte aber beto­nen, dass meiner Mei­nung nach vor allem die Medien in Deutsch­land eine große Ver­ant­wor­tung für die aktu­elle Situa­tion tragen: Häufig schü­ren sie die Ängste der Men­schen und sähen mit­un­ter sogar Vor­ur­teile. Wenn ein Mensch, der in seinem Alltag keinen per­sön­li­chen Kon­takt zu Mus­li­men hat, stän­dig mit einer solch ein­sei­ti­gen Bericht­erstat­tung kon­fron­tiert wird, wun­dert es mich kaum, wenn irgend­wann Hass entsteht.

Macht dir das Angst?

Kausar: Die Pegida-Demons­tra­tio­nen haben gewal­tige Gegen­de­mons­tra­tio­nen her­vor­ge­ru­fen. Viele Men­schen haben sich auf einmal mit uns Mus­li­men soli­da­ri­siert und sind für gesell­schaft­li­che Viel­falt auf die Straße gegan­gen. Die Freude dar­über ist bei mir stär­ker als die Angst. Es zeigt, wie aus Schlech­tem Gutes ent­ste­hen kann.

Auf Seiten der Pegida-Anhänger waren immer wieder Menschen mit großen Pappkreuzen zu sehen. Julia, wie geht es dir dabei, wenn das christliche Symbol benutzt wird, um gegen eine andere Religion zu demonstrieren?

Julia: Ich emp­finde das als Instru­men­ta­li­sie­rung der Reli­gion für eigene Inter­es­sen. Ich möchte diesen Men­schen zwar nicht abspre­chen, dass sie sich als Chris­ten ver­ste­hen, aber ich finde es ver­let­zend, wenn sie mit dem Kreuz sug­ge­rie­ren, sie würden für Nächs­ten­liebe und christ­li­che Werte auf die Straße gehen und gleich­zei­tig aber alles andere als offen und tole­rant sind. Das ist abso­lut bizarr.

Kausar: Bizarr ist ein gutes Stich­wort, das waren die Demons­tra­tio­nen wirk­lich oft. In meinem Umfeld wurden des­halb viele Witze über Pegida gemacht. Als der erste Schnee fiel, pos­te­ten wir auf Face­book Dinge wie: »Mus­li­mi­sche Schnee­flo­cken grei­fen Deutsch­land an«.

Julia: Wir sind leider nicht ganz so humor­voll mit der Situa­tion umge­gan­gen. Viel­leicht wäre das aber besser gewesen.

Merkels Aussage, der Islam gehöre zu Deutschland, hat in den eigenen Reihen großen Protest hervorgerufen: Viele CDU- Politiker beharren darauf, dass christliche Werte das Fundament unserer Gesellschaft seien. Was sind denn typisch christliche Werte?

Julia: Von diesen CDU-Poli­ti­kern möchte ich mich distan­zie­ren, solche Aus­sa­gen halte ich für sinn­ent­leerte Phra­sen, sodass ich anzweifle, ob es über­haupt »typisch christ­li­che Werte« gibt. Viel­mehr kommt es darauf an, wie man im Chris­ten­tum ver­an­kerte Kon­zepte wie zum Bei­spiel das der Nächs­ten­liebe lebt. Eine Nächs­ten­liebe bei­spiels­weise, die andere zum Opfer macht, bringt nichts, son­dern es braucht eine Hal­tung, die den Ande­ren in seiner Posi­tion ernst nimmt.

Was meinst du dazu, Kausar? Gibt es typisch islamische Werte?

Kausar: Sicher hat jede Reli­gion ihre eige­nen Werte. Vor allem aber glaube ich, dass der Mensch von Natur aus gut ist und es Werte gibt, die unab­hän­gig von Reli­gion exis­tie­ren, wie zum Bei­spiel seine Mit­men­schen zu respek­tie­ren. Reli­gion hat die Auf­gabe, solche Werte zu schüt­zen. Die ein­zel­nen Reli­gio­nen unter­schei­den sich stär­ker durch ihre spe­zi­fi­schen Gebote und Ver­bote von­ein­an­der, als durch abs­trakte Wertvorstellungen.

Ist interreligiöser Austausch ein zentrales Thema in euren Hochschulgruppen?

Kausar: Defi­ni­tiv. Wir haben bereits zwei Mal im Rama­dan unter dem Motto »Halal trifft auf Koscher!« einen inter­re­li­giö­sen Tag mit der jüdi­schen Hoch­schul­ge­meinde aus Pots­dam orga­ni­siert, außer­dem gab es ver­schie­dene Tref­fen mit christ­li­chen Hochschulgruppen.

Julia: Ähn­li­che Ver­an­stal­tun­gen gab es bei uns in den ver­gan­ge­nen Semes­tern auch. Ich per­sön­lich würde im kom­men­den Semes­ter gerne einen inter­re­li­giö­sen Abend mit mus­li­mi­schen Ver­tre­tern orga­ni­sie­ren, um über Unter­schiede in der Reli­gi­ons­aus­übung zu dis­ku­tie­ren. Kausar hat ja gerade schon ange­spro­chen, dass jede Reli­gion ihre eige­nen Gebote und Ver­bote hat, im Islam gibt es bei­spiels­weise das Gebot, fünf Mal am Tag zu beten. Der Tag ist damit ganz anders struk­tu­riert als bei uns Chris­ten und die Bezie­hung zu Gott sicher­lich auch.

Ist es im Universitätsalltag überhaupt möglich, sich an diese strengen Gebetsvorschriften zu halten, Kausar?

Kausar: Es ist auf jeden Fall schwie­rig, denn zur­zeit gibt es an keiner Uni­ver­si­tät in Berlin einen offi­zi­el­len Gebets­raum. Man muss sich also zum Gebet einen ruhi­gen Platz suchen, an dem man nie­man­den stört und auch selbst nicht gestört wird – das ist an einem stark beleb­ten Ort wie der Uni­ver­si­tät nicht gerade ein­fach. Zumal es bei­spiels­weise an der Freien Uni­ver­si­tät nicht gerne gese­hen wird, wenn Stu­die­rende auf dem Campus beten, dort kann einem des­we­gen im schlimms­ten Fall sogar mit der Exma­tri­ku­la­tion gedroht werden.* In ande­ren Län­dern ist man da zum Teil viel weiter. In den USA haben Mus­lime zum Bei­spiel sogar in staat­li­chen Ein­rich­tun­gen wie dem Kon­gress ihr eige­nes Freitagsgebet.

Julia: In dieser Hin­sicht sind wir in Deutsch­land tat­säch­lich sehr rück­schritt­lich. Gebets­räume an den Uni­ver­si­tä­ten würde ich eben­falls sehr begrü­ßen, die können ja auch inter­re­li­giös sein.

In Berlin gibt es zahlreiche Kirchen und Moscheen mit einem vielfältigen Angebot. Warum sind religiöse Hochschulgruppen als zusätzliche Anlaufadresse speziell für Studierende wichtig?

Julia: Weil an den rie­si­gen Ber­li­ner Uni­ver­si­tä­ten in vielen Stu­di­en­gän­gen ein extre­mes Gefühl des Neben­ein­an­ders unter den Stu­die­ren­den herrscht und reli­giöse Hoch­schul­grup­pen dage­gen ein Ort des Mit­ein­an­ders sind. Sie bieten einen Raum, in dem der eigene Glaube eine neue Refle­xion erfährt und in dem deut­lich wird, dass es kein Wider­spruch ist, aka­de­misch und reli­giös zu sein.

Kausar: Mus­li­mi­sche Stu­die­rende haben dar­über hinaus in den ersten Semes­tern oft ganz prak­ti­sche Fragen: Wo kann ich unge­stört beten? Wo kann ich meine Füße vor dem Gebet waschen? Welche Gerichte in der Mensa darf ich essen? In einer mus­li­mi­schen Hoch­schul­gruppe können sie sich aus­tau­schen und von der Erfah­rung der Stu­die­ren­den aus höhe­ren Semes­tern profitieren.

Kausar, in einer eurer Erstsemestler-Veranstaltungen war »Umgang mit Diskriminierung auf dem Campus« ein Programmpunkt. Machen muslimische Studierende an Berliner Hochschulen häufig Erfahrungen mit Diskriminierung aufgrund ihrer Religion?

Kausar: Ich per­sön­lich noch nicht, aber mir sieht man auch nicht an, dass ich Mus­lima bin. Frauen, die ein Kopf­tuch tragen, machen dage­gen öfter nega­tive Erfah­run­gen. Eine Freun­din von mir hat an der Hum­boldt-Uni­ver­si­tät Fran­zö­sisch auf Lehr­amt stu­diert und wurde gleich im ersten Semes­ter von einer Pro­fes­so­rin gefragt, ob sie als Mus­lima über­haupt stu­die­ren dürfe. In einem spä­te­ren Semes­ter hat die­selbe Pro­fes­so­rin vor dem gesam­ten Kurs erklärt, sie würde nicht wollen, dass ihre Kinder von einer Kopf­tuch tra­gen­den Leh­re­rin unter­rich­tet würden. Die Schi­ka­nen gingen so weit, dass meine Freun­din ihr Stu­dium letzt­end­lich abge­bro­chen hat. Das ist natür­lich ein Extrem­bei­spiel, aber es zeigt, dass Dis­kri­mi­nie­rung auch an einer Uni­ver­si­tät vorkommt.

Gegenüber christlichen Studierenden auch?

Julia: Von Dis­kri­mi­nie­rung zu spre­chen, wäre zu hoch gegrif­fen, aber Anfein­dun­gen gibt es auch gegen­über Chris­ten. Christ­li­che Stu­die­rende machen immer wieder die Erfah­rung, dass sie als unver­nünf­tig wahr­ge­nom­men werden und sich für ihren Glau­ben recht­fer­ti­gen sollen. Genauso oft erlebe ich aber, dass Stu­die­rende sehr fas­zi­niert vom christ­li­chen Glau­ben sind und großes Inter­esse zeigen, wenn sie sich mit gläu­bi­gen Kom­mi­li­to­nen austauschen.

Liebe Julia, liebe Kausar, vielen Dank für das Gespräch!

*Anm. d. Redak­tion: Auf Anfrage teilte die FU mit, dass es zum öffent­li­chem Beten auf dem Campus keine spe­zi­elle Rege­lung gebe. Wei­ter­hin seien der Uni­ver­si­tät bisher keine Fälle bekannt, bei denen sich jemand über öffent­li­ches Gebet beschwert hat. Sollte eine solche Beschwerde ein­ge­hen, würde sie von der Uni­ver­si­tät geprüft werden. 

Die Katho­li­sche Stu­die­ren­den­ge­meinde Edith Stein (KSG) ist der katho­li­schen Gemeinde Hei­lige Fami­lie zuge­ord­net und hat ihre Räume gegen­über der Pfar­rei in der Dänen­straße 17–18.
Die Mus­li­mi­sche Hoch­schul­gruppe Berlin (MHG) ist an keine Ber­li­ner Moschee gebun­den und ver­fügt daher über keine festen Räum­lich­kei­ten. Zur­zeit befin­det sich die MHG in der Umstruk­tu­rie­rung, wird aber im Laufe des Som­mer­se­mes­ters wieder Ver­an­stal­tun­gen anbie­ten. Wann es soweit ist, erfahrt ihr auf ihrer Face­book-Seite.