Angst vor’m weißen Blatt? Hausarbeiten schreiben
Der Abgabetermin im Kalender, die Literatur auf dem Schreibtisch – auf dem Bildschirm nur eine weiße Fläche. Bei Schreibblockaden hilft die Schreibwerkstatt.
Das Aufschieben von Hausarbeiten ist bei Studierenden weit verbreitet. Kommen zu der Prokrastination noch die ständige Beschäftigung mit dem Schreiben und negative Gefühle wie Angst und Überforderung, spricht man von einer Schreibblockade.Um eine solche Blockade nicht zum Normalzustand werden zu lassen, bietet die Freie Universität Berlin eine Schreibwerkstatt an. „Von der Idee zum Text“ heißt der semesterbegleitende Workshop, der von der Studien- und Psychologischen Beratung veranstaltet wird. Hier lernen die Studierenden, welche grundlegenden Arbeitsmethoden des wissenschaftlichen Schreibens es gibt und welche Strategien zur Bewältigung von Schreibhemmungen ihnen die Angst vor dem leeren Blatt nehmen können.
Prokrastination
Es ist ein sonniger Frühlingsnachmittag, und während andere Kommilitonen am Wasser die Woche ausklingen lassen, sitzen sechs Studierende im Gruppenraum 6 in der Brümmerstraße 50. Diplom-Psychologin Edith Püschel betritt den Raum; der Workshop beginnt.
Die Studierenden sollen zunächst von ihren Schreiberfahrungen in den letzten zwei Wo- chen berichten. Eine Studentin erzählt, dass sie ihre Hausarbeit bereits seit zwei Semes- tern aufschiebe. Erst sei sie im Ausland gewesen und nun habe sie so viel mit anderen Seminaren zu tun. Was denn mit ihren festen „Schreibtagen“ passiert sei, erkundigt sich Püschel. Denn sie rät dazu, sich feste Tage zu setzen, an denen man an seiner Hausarbeit schreibt. „Geschrieben habe ich schon“, so die Studentin, „nur nicht an meiner Hausarbeit.“ Püschel nickt mit dem Kopf: „Flucht in die Seminare, um das Schreiben hinauszuzögern“, sagt sie, womit sie das Phänomen meint, sich allen möglichen Dingen zu widmen, nur um nicht mit dem Schreiben der Hausarbeit zu beginnen.
„Schön, nicht die Einzige zu sein, die Hausarbeiten zwei Semester lang aufschiebt“, knüpft ihre Sitznachbarin an das Thema an. Sie berichtet, sehr viele Bücher auszuleihen und zu lesen, das Schreiben dann aber immer wieder aufzuschieben. Generell beschäftigen sich alle der Anwesenden sehr viel mit ihren Hausarbeiten, sie lesen und recherchieren viel, nur der Punkt des Aufschreibens wird immer hinausgezögert. Eine strukturierte Vorgehens- weise sei in diesem Fall sehr wichtig, erklärt Püschel. Neben festen Schreibtagen empfiehlt sie deswegen auch das Anfertigen eines Wis- senschaftsjournals, in dem – ähnlich wie bei einem Tagebuch – Notizen und Abschnitte zur Hausarbeit festgehalten werden. „Schreiben eröffnet neue Assoziationsräume“, so die Psychologin. Genau das ist das Problem: Wenn man erst gar nicht mit dem Schreiben beginnt, können diese auch nicht entstehen.
Gedanken strukturieren
Es folgen einige Übungen, die zeigen sollen, wie man seine Gedanken strukturieren und an den Schreibprozess herangehen kann. Für die erste Übung sollen die Teilnehmer mithilfe des Cluster-Verfahrens ihre Gedanken zum Thema „Schreiben müssen“ aufschreiben. Aus den Assoziationen sollen sie vier Sätze formulieren. „Schreiben müssen ist Zwang“ schreibt eine der Studentinnen, die „Pflicht zu produzieren“ ein anderer. Eine Teilnehmerin berichtet, dass sie das Schreiben richtig in Panik versetze. Sie schreibe drei Sätze und fange dann beim vierten an zu denken, dass die ersten Sätze sprachlich schlecht seien oder keine Struktur hätten und fange wieder von vorne an. Die anderen Teilnehmer nicken mit dem Kopf, bei ihnen verläuft der Schreibprozess ähnlich.
Das Problem in diesem Fall ist der Gedanke, beim Schreiben sofort die perfekte Endversion niederschreiben zu wollen. „Anstatt nur zu schreiben, will man gleichzeitig strukturieren und inhaltlich gut sein. Mit diesen Gedanken schränkt man sich von vornherein ein und erhöht das Risiko, eine Schreibblockade zu bekommen“, so Püschel.
Free Writing
In der nächsten Übung soll das „Free Writing“, das automatische Schreiben, geübt wer- den. Zehn Minuten lang sollen die Teilnehmer durchgängig schreiben, ohne dabei den Stift abzusetzen. Gedanken wie „Das ist schlecht, was ich gerade schreibe“ sollen ignoriert werden; es geht um den Schreibfluss und darum, das Geschriebene nicht schon während des Schreibens zu beurteilen. Danach soll der Text auf inhaltlicher und sprachlicher Ebene untersucht werden, Kernaussagen rausgeschrieben und definiert werden, und ob es sich bei diesem Satz gerade um eine Behauptung oder ein Argument handelt. Diese Übung wird von den Studierenden unterschiedlich wahrgenommen. Eine Teilnehmerin berichtet, dass sie der Gedanke, nicht mit dem Schreiben aufhören zu dürfen, enorm gestresst habe und sie deshalb verkrampft. Solche Impulse seien normal, erzählt die Psychologin, genauso wie der Impuls, aufhören zu wollen. In diesem Zusammenhang weist sie darauf hin, dass man zwischen dem Runterschreiben und der Korrektur eine Pause machen sollte und sich am besten bewegen und zum Beispiel einen Spaziergang machen sollte.
Eine Studentin hingegen ist ganz begeistert von der Übung und berichtet, dass diese Methode perfekt für sie sei, weil sie zum ersten Mal einfach alles runtergeschrieben habe, ohne zu sehr über die Struktur oder Inhalt nachzudenken. Diese Technik wolle sie in der Zukunft auf jeden Fall anwenden.
Zwar füllen sich die Blätter auf den Laptops der Studierenden jetzt nicht automatisch, doch bietet die Schreibwerkstatt ihren Besuchern eine neue Perspektive, um sich wieder ihrer Hausarbeit zu widmen. Ihre Arbeit werde sehr gut aufgenommen, weiß die Dozentin. Viele Studierenden schreiben ihr, wenn sie ihre Abschlussarbeit erfolgreich beendet haben. Die Briefe hebe sie alle auf, lächelt Psychologin Püschel.
Oh mein Gott, wenn ich an meine Studienzeit denke, dann gibt es genau zwei grundlegende Gedanken. “Was für eine schöne Zeit” und “wie froh bin ich doch keine Hausarbeiten mehr zu schreiben”. Das war für mich immer der absolute Horror und fast jede Arbeit wurde auf den letzten Drücker fertig. Ich hab mir sogar mal eine Hausarbeit von einem Ghostwriter schreiben lassen, weil an dieser Arbeit mein gesamtes Studium hing…