Stumme Studenten
Was ist los mit den Studenten in Berlin? Auf der einen Seite fängt früher oder später jeder von ihnen an, die Situation an den Hochschulen zu kritisieren:
Die überfüllten Seminare, die veraltete oder nicht vorhandene Literatur, die schlechte Organisation, die Schwierigkeit, bei immer mehr Studenten und immer weniger Professoren einen Betreuer für die Abschlussarbeit zu finden… auf der anderen Seite zeigen die Studenten eher wenig Präsenz und Engagement, wenn es darum geht, etwas zu verändern.
Die Grundstimmung ist fast immer Resignation — ob es nun um die potentielle Einführung von Studiengebühren, die Abschaffung von Tutorien oder die Vertretung der vielen kleinen fachspezifischen Interessen geht.
Wörter wie Studierendenparlament, Akademischer Senat, Asta und Fachbereichsrat haben zwar die meisten schon einmal gehört. Über die jährlichen Wahlen für das Studentenparlament und die Fachbereichsräte wird man jeden Winter mit dem Rückmeldebescheid zusammen informiert. Doch wer geht hin?
An der FU lag die Wahlbeteiligung in diesem Jahr bei den StuPa-Wahlen bei knapp 13% und damit im Berlin-Vergleich noch relativ hoch. Trotzdem erstaunlich, dass selbst die gleichzeitig durchgeführte Urabstimmung über das Semesterticket, die doch nun wirklich jeden anging, nicht mehr Studis an die Urnen locken konnte. An der HU nimmt
die Beteiligung an den StuPa-Wahlen seit Jahren kontinuierlich ab. Nach 12,3% 1997 und 9,3% 1999 lag sie in diesem Jahr nur noch bei 6,1%.
“Man sollte Zeuge
sein, mittun und Verantwortung tragen.
Der Mensch ohne mittuende Verantwortung
zählt nicht.”
Antoine de Saint-Exupéry
Dass man als Student nicht nur das StuPa, sondern auch die studentischen Vertreter in wirklich entscheidungsrelevanten Gremien der Hochschulen wählen kann, wissen noch weniger Studierende.
Worin liegt das apathische Verhalten der Studenten begründet? Was ist aus den alten Zeiten geworden: Da waren die Demonstrationen und die politische Einmischung der “68er”-Studenten-Politik an der Hochschule war bis dahin ein Tabu und allgemeinpolitische Aktivitäten z. B. des AStAs sind auch heute noch sehr umstritten. Oder die berühmten Streiks des Wintersemesters 1988⁄89, aus denen an der FU die Projekttutorien hervorgingen. (Die übrigens seitdem nach und nach weggespart weggespart werden, ohne dass es zu Protestmärschen durch Berlin kommt.)
Ist der Student heute anders? Hat er nicht mehr genug Zeit, weil die Anforderungen des Lebens härter geworden sind, oder denkt er individualistischer? Nach der Shellstudie Jugend 2002 ist das Interesse von Jugendlichen an Politik rückläufig, obwohl sie sich gesellschaftlich engagieren — gilt das auch für den Studenten?
Fühlt sich der gemeine Student von der jetzigen Hochschulpolitik vielleicht nicht repräsentiert? Viele sehen schließlich die AStA-Mitglieder als linke, rastalockige, etwas suspekte, viel redende und wenig entscheidende Personen, mit denen man sich lieber nicht zu sehr beschäftigt. Doch nicht zu vergessen: Je mehr Kommilitonen das Studierendenparlament und damit indirekt auch den AStA wählen würden, desto “legitimer” und repräsentativer wären diese Organe.
Oder ist die Studentenschaft ganz einfach schlecht über ihre Beteiligungsmöglichkeiten informiert, sei es aus eigener Unlust oder wegen schlechter PR der jeweiligen Institutionen?
Wir fanden zumindest letzteres im eigenen Umkreis bestätigt und starten deshalb eine Serie über die Gremien der Hochschulpolitik und ihre Arbeit, Entscheidungen und Leistungen an den einzelnen Universitäten und Fachhochschulen.
In diesem Heft werden wir einen kleinen Überblick darüber geben, welche Gremien es gibt, wie sie zusammengesetzt werden und was ihre offiziellen Aufgaben sind, und uns danach der TU zuwenden. Vielleicht können wir damit Begriffen, die bis jetzt nur leere Worthülsen in euren Köpfen waren, ein bisschen Inhalt geben und Lust darauf machen, ein Student mit Stimme zu sein.
Frauke Lüchow, Katja Schluzy