Abschluss — Und jetzt?

Marko Alt­haus ist frus­triert. Der Gang zum Brief­kas­ten hat wieder nur schlechte Nach­rich­ten gebracht: Eine wei­tere Absage auf eine wei­tere Bewer­bung, die er vor eini­gen Wochen hoff­nungs­voll abge­schickt hat. Irgend­wie kann er es nicht glauben.

Auf einmal passt die Beschrei­bung seiner Situa­tion auf diese Repor­ta­gen im Fern­se­hen, in denen man ver­zwei­felte Men­schen sieht, die ihre x‑te Absage fein säu­ber­lich hinter die dazu­ge­hö­rige Bewer­bung in einem Leit­zord­ner abhef­ten. Die erzäh­len, dass sie schon wirk­lich alles getan hätten, um einen Job zu bekom­men. Auf einmal gehört auch er zum “Heer der Arbeits­lo­sen”, von dem man in der Zei­tung liest. Aber er ist nicht Mitte 50 und Opfer einer “betrieb­li­chen Umstruk­tu­rie­rung” gewor­den und er ist auch kein 16jähriger Schul­ab­gän­ger, der ver­sucht, mit einem mit­tel­mä­ßi­gen Haupt­schul­ab­schluss eine Lehr­stelle zu bekom­men. Marko ist 30 und seit Früh­jahr diesen Jahres Diplom­kauf­mann (FH) mit einer guten Abschluss­note. “Ich habe erst eine Berufs­aus­bil­dung gemacht und danach meh­rere Jahre in der Musik­bran­che gear­bei­tet. Irgend­wann habe ich mich aber dann ent­schlos­sen, doch noch zu stu­die­ren, um nicht an die berühmte Glas­de­cke zu stoßen”, erklärt er. Die Glas­de­cke, die es einem als “Unstu­dier­ten” irgend­wann unmög­lich macht, auf der Kar­rie­re­lei­ter weiter nach oben zu klet­tern. Er ent­schied sich für BWL an der FHW Berlin, frei nach dem Motto “damit kann man alles machen”. Da die Musik­bran­che seit län­ge­rem wirt­schaft­lich beson­ders krankt, hatte Marko sich wäh­rend seiner Diplom­ar­beit umori­en­tiert und auf den Bereich Mobil­funk spe­zia­li­siert, einer der weni­gen Wirt­schafts­zweige, die noch wach­sen. Bis jetzt aber leider ohne Marko. Obwohl er die Stel­len­an­zei­gen-Dau­er­bren­ner “Hoch­schul­stu­dium” (in der Regel­stu­di­en­zeit), “mehr­jäh­rige Berufs­er­fah­rung” und “Aus­lands­auf­ent­halt” mit­bringt, ist er seit nun­mehr 7 Mona­ten auf der Suche. Viele Bewer­bun­gen hat er geschrie­ben, und viele Absa­gen bekom­men. Häufig lassen die Firmen ein­fach gar nichts mehr von sich hören, einige schaf­fen es nicht einmal, in ihrem Stan­dard­ab­sa­ge­for­mu­lar den Namen rich­tig ein­zu­fü­gen. So etwas schmerzt dann beson­ders, wenn man mit­be­kommt, dass man nur einer unter Hun­der­ten ist. Bei drei Firmen hatte er es sogar bis zum Vor­stel­lungs­ge­spräch geschafft. Am Ende hatte irgend­ein Mit­be­wer­ber aber mehr “Bran­chen­kennt­nis” oder war jünger (=dyna­mi­scher?) und mit “besten Wün­schen für Ihren wei­te­ren Lebens­weg” steht er dann wieder am Anfang.

Etwas anders lief es beim 26jährigen Jonas Rad­kof­ski. Er hat Wirt­schafts­in­ge­nieur­we­sen an der TU stu­diert. Da man immer wieder hört, dass deut­sche Stu­den­ten zu lange brau­chen, hat er sich mäch­tig ins Zeug gelegt und in der Regel­stu­di­en­zeit seinen Abschluss gemacht, etwas, das die wenigs­ten schaf­fen. Auf die Noten konnte er dabei nicht so sehr achten, aber dem großen Auto­mo­bil­her­stel­ler, bei dem er seine Diplom­ar­beit schrieb, war das auch nicht so wich­tig: Jonas hatte bewie­sen, was er kann, und somit wurde ihm gleich im Anschluss ein Über­nah­me­ver­trag ange­bo­ten. Eigent­lich eine Erfolgs­ge­schichte, doch Jonas ver­ließ sich zu sehr auf das, was er wäh­rend seines gesam­ten Stu­di­ums gehört hatte und was auch immer wieder in jedem “Hoch­schul-Spe­zial” der großen Zei­tun­gen und Maga­zine zu lesen ist: Inge­nieure werden über­all hän­de­rin­gend gesucht. Er war sich des­halb sicher, irgendwo ein bes­se­res Ange­bot zu bekom­men. Leider hat sich das als Trug­schluss erwie­sen. Jonas hat bald gemerkt, dass es auf abseh­bare Zeit keine guten Ange­bote gibt, möchte sich aber auch nicht “unter Wert” ver­kau­fen und hält sich des­halb augen­blick­lich mit Neben­jobs finan­zi­ell über Wasser. Das Pro­blem dabei: Er bewegt sich lang­sam aus dem Markt. Bald sind die nächs­ten Absol­ven­ten da, die jünger sind und wis­sen­schaft­lich auf dem neu­es­ten Stand. So wird es für ihn immer schwieriger.

Seinem Kom­mi­li­to­nen Daniel Rich­ter (auch 26) geht es ähn­lich. Die Firma, bei der er seine Abschluss­ar­beit schrieb, bot ihm auch sofort einen Arbeits­platz an. Aber mit einem “sehr gut” auf dem Diplom, dazu noch in der Regel­stu­di­en­zeit und einem Jahr Aus­lands­er­fah­rung hoffte er eben­falls auf etwas Bes­se­res. Mitt­ler­weile ist auch er seit sieben Mona­ten auf der Suche. Die Liste ließe sich endlos fort­set­zen. Ver­schie­dene Geschich­ten, das­selbe Pro­blem: rat- und arbeits­los nach dem Abschluss. Wäh­rend des Stu­di­ums leuch­tet es stän­dig am Hori­zont, das Ziel, der Abschluss. Die Ein­tritts­karte in die Arbeits­welt. Doch die scheint der­zeit “wegen Über­fül­lung geschlos­sen”. Arbeits­lo­sig­keit ist auch für junge Aka­de­mi­ker ein Thema gewor­den. Dabei ist beson­ders erschre­ckend, dass es mitt­ler­weile jeden tref­fen kann. Schon lange nicht mehr ist es nur der kli­schee­be­haf­tete Phi­lo­so­phie­stu­dent im 19. Semes­ter, der sich um seine Zukunft sorgen muss, wie die vier Bei­spiele zeigen. Viel­mehr zieht sich das Pro­blem quer durch alle Stu­di­en­gänge. Diese Erkennt­nis brei­tet sich nicht nur unter den Absol­ven­ten aus; viele Stu­den­ten machen sich schon vorher Gedan­ken und fragen sich, ob sie bei solch trüben Aus­sich­ten über­haupt “fertig werden” wollen. 

David Hen­schel, 25, stu­diert Geschichte und Ger­ma­nis­tik, er ist im 8. Semes­ter und danach vor­aus­sicht­lich schein­frei. Er hat schnell stu­diert und dabei sogar noch ein Aus­lands­se­mes­ter mit­ge­nom­men. Das Stu­di­en­ende ist in greif­bare Nähe gerückt, aber das stimmt David kei­nes­wegs froh. “Ohne prak­ti­sche Erfah­run­gen bin ich quasi nicht ver­mit­tel­bar”, sagt er. Damit macht er auf ein wei­te­res Dilemma auf­merk­sam, mit dem sich vor allem die Geis­tes­wis­sen­schaft­ler in den Magis­ter­fä­chern kon­fron­tiert sehen: Die Stu­di­en­ord­nun­gen sind darauf aus­ge­legt, Nach­wuchs für die Wis­sen­schaft zu pro­du­zie­ren, nicht aber, die Stu­die­ren­den auf den Arbeits­markt vor­zu­be­rei­ten. Das muss jeder selbst in die Hand nehmen, und viele machen das auch. Sie arbei­ten neben­her, machen Prak­tika, gehen ins Aus­land. Doch genau das sehen Stu­di­en­ord­nung und Semes­ter­pläne nicht vor, und ganz schnell ist die Regel­stu­di­en­zeit über­schrit­ten, ein neuer “Lang­zeit­stu­dent” ist gebo­ren. Und wenn es nach dem Willen der Uni­ver­si­tä­ten geht, werden dafür dem­nächst Straf­ge­büh­ren fällig, obwohl das das eigent­li­che Pro­blem kaum lösen wird. Die Stim­mung unter den 

(Ex-) Stu­den­ten ist nicht gut. Sie haben unter­schied­li­che Stra­te­gien ent­wi­ckelt, um mit der Situa­tion klar zu kommen. Die einen schie­ben den Abschluss vor sich her, um sich erst gar nicht mit der unan­ge­neh­men Frage nach dem Danach aus­ein­an­der setzen zu müssen. 

Unter denen, die das Diplom oder den Magis­ter bereits in der Tasche haben, han­geln sich viele von Mini­job zu Mini­job, wobei an diese ohne den Stu­den­ten­sta­tus weit schwie­ri­ger her­an­zu­kom­men ist. Des­halb gibt es nicht wenige, die sich pro forma wieder imma­tri­ku­lie­ren. Wieder andere nehmen ein (echtes) Zweit­stu­dium auf oder hängen eine Pro­mo­tion dran. So etwa Mar­tina Geibel. Sie ist 29 und seit dem Früh­jahr 2002 fer­tige Juris­tin — ohne Job. Zuletzt wurde sie bei einer Kanz­lei in der schwä­bi­schen Pro­vinz abge­lehnt, weil ihr Eng­lisch nicht gut genug sei. Sie hat die Suche auf­ge­ge­ben und macht jetzt noch einen MBA-Aufbaustudiengang. 

Und die Moral von der Geschicht‘? Bleibt wohl nur fest­zu­stel­len, dass es keine Patent­re­zepte gibt — weder für das Stu­dium selbst, noch für das Leben danach. 

“Wenn einem das Wasser bis zum Hals steht, darf man den Kopf nicht hängen lassen!”, bemerkt Marko lako­nisch und bringt die nächste Bewer­bung zur Post.