Markenware Uni
Wieder einmal ist ein Seminar bis zum Stehkragen gefüllt. Dass es auch Kopien vom Professor gab, hat man über das Meer tuschelnder Köpfe hinweg nur erahnen können, Aushänge verkünden den Ausfall kränkelnder Dozenten, an jeder Ecke wird über die Einführung der Studienkonten diskutiert, Fachbereiche werden gestrichen und das Mensa-Essen ist von gewohnter Gaumenfreundlichkeit.
Überall sind sie, die engagierten Kommilitonen, die euch vor größerem Übel bewahren wollen: die attac-Hochschulgruppen, die Unabhängigen Linken und all die anderen aktiven Studierenden, die immer wieder die zart aufkommenden Studentenbewegungen unterstützen. Der gemeine Student wird auf eine bewegte Vergangenheit zurückblicken, wenn er nicht ohne zu lesen an den Bannern der Protestierenden vorbeigegangen ist: neben Anti-Kriegs-Demos sind es auch die Bachelor — und Masterstudiengänge, die den Demonstrierenden Angst machen. Aber wenn der Antrag auf Studiengebühren erst mal durch ist, brauchen die zukünftigen Köpfe der Gesellschaft noch nicht mal mehr Gedanken an den Lehrstuhlabbau an den Unis verschwenden.
Dann hält man auch noch peinlich genau die Regelstudienzeit ein, um den drohenden Studiengebühren zu entgehen.
Seine Semesterferien hat man ehrgeizig durch Praktika zu nutzen gewusst, wäre man doch sonst an Ödnis zu Grunde gegangen. Ist man dann reifgeprüft für den Arbeitsmarkt, klingt sich der dienstwillige Student in die 40-Stunde-Woche ein, ohne dabei allzu große Augen über den überdimensionalen Praxisbezug zur Praxis zu kriegen.
Warum sollte man da eigentlich noch solche subtilen Gefühle wie Stolz für seine Uni entwickeln? Warum gibt es dann vom Kugelschreiber bis zum XXL-Kuschelpullover alles im Uni-Shop, um sein Ehrgefühl zu demonstrieren? Warum gibt es Länder, in denen Uni-Patriotismus erst gar nicht auf den Diskussionszettel kommt? Sind wir nur zu cool, um stolz zu sein?
Fragt man hier den vielbeschäftigten deutschen Studenten, wie es um seinen Stolz für seine Hochschule steht, kommt das “Ne, bin ich nicht!” beinahe schon etwas entrüstet. Fragt man weiter, hört diese Entrüstung nicht auf: “Also ich besitze keine Uni-Klamotten, die sind doch wohl eher albern.” Über diese Antwort gilt es einen Moment nachzudenken, denn wohlgemerkt studieren im Allgemeinen die Studenten gerne an ihrer jeweiligen deutschen Universität und ein beachtlicher Anteil von Studenten hat es trotz vieler NC-Hürden geschafft, an der Wunsch-Uni das Hochschulstudium beginnen zu dürfen.
Der Begriff “Uni-Shop” ist in nahezu jedem Studentenkopf fest verankert.. Wie rechtfertigt er seine Notwendigkeit gegenüber der Universitätsleitung, wenn kaum einer der Studierenden ein T‑Shirt, ein Basecap, einen Schal oder ähnliche Utensilien mit Uni-Logo in seinem Besitz weiß? Besteht hier kein Bedarf, den Universitätsstolz der breiten Öffentlichkeit präsentieren zu wollen?
Zum “nicht wollen” gesellt sich zudem das “nicht können”, denn wie soll man sich schon mit einer Bildungsinstitution wie den drei großen Berliner Universitäten identifizieren, wenn gar kein Hintergrundwissen zur eigenen Universität existiert. Die Gründer der Uni und deren Geschichte sind den deutschen StudentInnen fast völlig unbekannt. Verwunderlich ist das nicht. Schließlich kommen die Schüler an den Schulen nur durch Zufall auf die Idee, von unseren ehrbaren Vorvätern unserer Unis zu erzählen.
Auf Befragungen von Studierenden in Nationen, in denen der Student/ die Studentin “Kundenstatus” (USA, England) besitzt, werden Antworten gegeben, die eine ganz andere Einstellung deutlich werden lassen.
In Amerika überraschten dementsprechend die studentischen Meinungen wenig, gilt Amerika schließlich allgemeinhin als ein eher stolzes Land, das sich nicht scheut, seine Meinung über eigene Grenzen hinaus zu transportieren. Auch fallen einem die stets aus Film und Fernsehen bekannten, üblich wiederkehrenden Bilder glücklicher, auf dem Campus herumstolzierender Studenten ein, die in sportlichen Uni-Shirts ihre Herkunft zeigen. Ob im aufgeschlossenen Los Angeles an der University of California oder im eher traditionelleren Kansas an der Wichita State University, es schickt sich an, am Ruhm der Universität zu partizipieren. Man sieht sich als Teil des Ganzen und ist dementsprechend motiviert, sich in jeglicher Form mit der Uni zu identifizieren. “Ich bin stolz, an der Wichita State studieren zu dürfen und trage diese Einstellung natürlich auch nach außen”, berichtet Dusty. Und mit ihm tun dies Millionen von anderen Studenten insbesondere über die Unikleidung. Die stärkere Einbindung in universitäre Einrichtungen oder Aktivitäten motiviert und fördert die Integration und Identifikation. Man wird Teil der Gesamtgemeinschaft. Auch Studiengebühren tragen hierzu ihren Teil bei. Einerseits steigt der persönliche Wert mit der eigenen finanziellen Belastung, anderseits werden Studenten von der Uni anders als in Deutschland behandelt. Man ist ein für eine Dienstleistung gut zahlender Kunde, dem neben dem Lehrangebot noch weitere Freizeitangebote zur Verfügung stehen. Kleine Seminare erhöhen den Lernfaktor, Freizeit- und Sportgruppen den Wohlfühlfaktor unter Studenten. So erhält die Universität eine weitaus renommiertere Stellung als in Deutschland. Man partizipiert an der Unigemeinschaft, wird Teil dieser und überträgt dies auf sein eigenes Selbstverständnis. Ausgedrückt wird dieser Gemeinschaftssinn im idealen Medium Kleidung. Einfach zugänglich über unzählige Uniläden, verkörpern sie die typisch amerikanische Unkompliziertheit. Sportliche Modeartikel wie Sweatshirts und Caps werden als nützliche Altagskleidung angesehen, die lässig und komfortabel praktisch zu tragen sind. Und ob nun Levi’s, GAP oder eben der Name der Universität darauf steht, ist egal. Marke ist schließlich Marke.
Auch in England lässt sich dieser Modetrend erkennen. Die Nähe Englands zu Amerika zeigt sich nicht nur im politischen Dialog der beiden Länder oder in den überdimensionalen Supermärkten, sondern auch in der Nähe der Studenten zu ihren Universitäten. Ähnlich den amerikanischen Studenten pflegen Engländer eine besondere Beziehung zu ihrer Universität, die auch außerhalb von Eliteuniversitäten wie Oxford oder Cambridge zu finden sind. An der University of Warwick in Coventry wohnen grundsätzlich alle Erstsemester auf dem Campus in Studentenwohnheimen, um sie an das Unileben heranzuführen. Auch die an kleine Städte erinnernde Infrastruktur der Universitäten ist mehr als in Deutschland auf ein studentisches Leben am Campus ausgerichtet. Fakultäten, Bars, Clubs, Theater, Kinos, Sporteinrichtungen, Mensa, Shops, Verwaltung, Wohnungen, alles findet sich in einem auf dem Campus, so dass die Uni mehr als nur Lernort ist. Man lebt an der Uni. Ergänzt wird das studentische Leben durch unzählige Societies, die von allen erdenklichen Sportarten über kulturelle Gemeinschaften eine riesige Palette an Freizeitangeboten abdecken und somit das unterhaltsame Profil der Uni schärfen. So binden sich die Studenten an ihre Uni, wird sie doch zum Ort des kommunikativen Austauschs und zum Kennen lernen neuer Freunde. Man trifft seine Society und vertritt diese dann selbstverständlich in der eigenen Universitätsvereinskleidung. Man wird gerne zum Werbeträger, schließlich stehen die Studenten hinter dem Klub und somit hinter ihrer Uni. Zwar gibt es mittlerweile viele
“Wiederkehrende Bilder glücklicher auf dem Campus herumstolzierender Studenten.”
Kritiker an den immer teurer werdenden Studiengebühren, doch bleibt die Zuneigung erhalten. Die meisten Studenten ziehen von außerhalb an die Universitäten und verlassen mit 18 oder 19 zum ersten Mal das eigene Zuhause. Gerade deshalb wird die Uni zu einer Ersatzheimat. Alleine in einer fremden Umgebung sucht man schnell Freunde und Anschluss an eine Gemeinschaft. In Deutschland mag man die Stadt, in der man studiert, in England mag man die Uni, in der man lebt. Identifikation und Integration sind daher bei vielen Befragten elementare Uni-Assoziationen und in England weit verbreitet.
Es ist aber auch nicht einfach, sein Herz mit hoher Frequenz für eine der vielen deutschen Hochschulinstitutionen schlagen zu lassen, wenn nur vereinzelte Uni-Gebäude den Campus der Universität ausmachen, weil die Fakultäten über die ganze Stadt verteilt sind. Und zum Leben bieten berliner Unis auch wenig, sieht man mal von einigen wenigen studentischen Cafes ab. Auch waren Universitäts-Klubs, wie man sie im angelsächsischen Raum zu Hauf findet, nie auch nur im Ansatz angedacht. So gibt es in Berlin eine riesige Unisport-Fußballliga, man findet aber unter den Berliner Unis keinen Fußballklub, der seine Uni repräsentiert. In Deutschland wird die Universität strikt als Arbeitsplatz angesehen. Und da wären freiwillige, uni-interne Aktivitäten doch völlig fehl am Platz.
Wir, die in Deutschland studieren, sind zu fast 100% stolz Studierende zu sein (klar, sonst wären wir ja keine!), aber stolz auf unsere Universität; das ist ein Kapitel, dass in Deutschland noch nicht oder vielleicht auch ganz bewusst nicht aufgeschlagen wurde. Deutschland, seine Universitäten und seine Studenten sind eben anders. Dass sich Japan und Deutschland in vielen Punkten erheblich voneinander unterscheiden, so auch in Bezug auf die Studierenden und die Universitäten, ist ja nichts Neues. Aber worin genau liegt dieser Unterschied begründet? Wieso erhält man eine seitenlange Antwort auf die Frage nach Hintergrundwissen über die Gründung und die Geschichte der jeweiligen japanischen Universität? Scrollen sich die japanischen Studenten aus reiner Freude am Wissenszuwachs durchs Internet, um mehr über die bewegte Vergangenheit ihrer Uni zu erfahren? Wohl kaum. Das Geheimnis verbirgt sich vielmehr im unterschiedlichen Bildungssystem. Während den japanischen Schülern schon in der Mittelstufe der Oberschule detailliertes Wissen über die Universität vermittelt wird, tappen deutsche StundentInnen bei der Frage nach dem historischen Background ihrer Universität im Dunkeln. So schüttelte eine japanische Studentin der DOSHISHA Universität in Kyoto, Japan lässig den Gründungsvater — Joe Nijima — und das Erbauungsdatum der Universität wie auf Knopfdruck aus dem Ärmel.
Hierbei gilt zu bemerken, dass Oberschulen und Hochschulen in Japan oft miteinander verknüpft sind und sozusagen eine gemeinsame Einheit bilden, welche in der Lage ist, die japanischen Studierenden bis hin zum Berufsstart zu begleiten. Klar, ist dann die Art, wie sich Japaner/- innen mit ihrer Universität identifizieren eine andere, wenn sie schon mit 12 Jahren in die Oberschulwelt eintauchen, die der entsprechend gleichlautenden Hochschulinstitution angegliedert ist. Erstaunlich ist, dass selbst eine japanische Studentin, die ihr Grundstudium an der Universität Melbourne, Australien absolviert, sofort die Namen der drei Gründer dieser Universität nennen konnte, obwohl keiner der Personennamen im offiziellen Namen der “University of Melbourne” enthalten ist. Dies spricht für die Tatsache, dass sich Japaner/- innen fast automatisch mit ihrem “Arbeitgeber” identifizieren und man so im Land der aufgehenden Sonne von einem “verdeckten Stolz” und einer in frühen Jahren begründeten Zuneigung zur jeweiligen Universität sprechen kann. “Verdeckt” deswegen, weil es auch — und da haben wir Deutschen ja mal was gemeinsam mit den Japanern — an japanischen Universitäten uncool, albern und nicht “trendy” ist, mit dem Tragen der Uni-Kleidung und den entsprechenden Logos sein Zugehörigkeitsgefühl und seinen Stolz nach außen zu tragen. Vielmehr, als den Wunsch mittels Uni-Logo die Attraktivität und Einzigartigkeit der Universität öffentlich publik zu machen, steht die Universität in Japan als Stellvertreter für “die Jugend”. Japanische Studierende sind mit ihrer Universität vertraut, erkennen die Uni als Teil ihrer Heimat an und identifizieren sich auf diese Weise ganz individuell und persönlich mit ihrer Universität. Ständig in Badehose kann man wohl in Fortaleza studieren.
Die U.F.C (Universidade Federal do Ceara) im Norden Brasiliens lockt mit solchen klischeebeladenen Vorstellungen wie endlosen Traumstränden, feurigen Samba-Klängen, Delphinen im azurblauen Atlantik und gut gelaunten Kommilitonen.
Machen diese Umstände die Studierenden denn auch stolz? Hier werden natürlich südländische Eigenschaften gepflegt: Keinem Studierenden würde hier einfallen, seine Heimatstadt für den Wissenserwerb zu verlassen. Berühmt geworden ist die größte Uni Fortalezas durch die “Yankees”, wie die Fast-Food-Freunde von den Brasilianern liebevoll genannt werden: Die benutzten den Campus im 2. Weltkrieg als Stützpunkt für ihre Luftwaffe. Die geisteswissenschaftliche Fakultät liegt im angesagtesten Viertel der Stadt, da wird dem Bohéme-Leben mit Sonnenbrille an Strandterrassen gefrönt. Die Profs erfrischen sich am Nebentisch oder gehen nach dem Freitags-Kurs gleich mit ihren Zöglingen einen trinken. Um sich über Uni-Shop-Angebote Gedanken zu machen, ist es in Fortaleza sowieso zu heiß. Die offenen, freundlichen Leute gehen hier lieber mit individuellen T‑Shirts an der Strandpromenade flanieren. Um einen Uni-Platz an der Sonne zu ergattern, muss man schon sehr gescheit sein: Die Aufnahmetests haben es in sich. An der medizinischen Fakultät soll es auch schon Jahrgänge gegeben haben, wo gleich gar kein Studierwilliger den Test bestanden hat. Und diejenigen, die es geschafft haben, sind stolz, an einer der wenigen staatlichen Unis gelandet zu sein.
Integrieren ist hier eigentlich gar kein Problem. Ist man daran interessiert besonders anerkannt zu sein, dann sollte man sich politisch engagieren. Trotz allem legt man sich in Fortaleza lieber an den Strand, als seinen Argwohn gegen Ungerechtigkeiten kundzutun. Thiago, der hier Anthropologie, Soziologie und Politikwissenschaften studiert hat, meint: “Die Studentenbewegungen sind hier sehr zersplittert und sehr dogmatisch. Es gibt wirklich wenig Demos, die die Massen mobilisieren, um die allzu konformen Studenten auftauen zu lassen.” Diese Studenten legen aber wiederum gar keinen Wert auf den Kleidungsstil — in Fortaleza zählt vielleicht nur das Lächeln.
Auch wenn wir nicht per Schultrichter die Uni-Gründer infiltriert bekommen, unseren Uni-Campus suchen müssen, keine Uni-Fußball — oder Handball-Mannschaften haben, keine Delphine vor unserer Haustür planschen und die Profs wenig motiviert sind wegen zu vieler atmender Studenten im zu engen Raum: Wir müssen auch an unseren Lehreinrichtungen die kleinen Juwelen erkennen. Vielleicht schaut ihr euch das nächste Mal die Kugelschreiber, Aufkleber, Feuerzeuge und Kaffeebecher noch mal genauer an.
Heiko Imiela, Maria Krausch und Björn Tritschler