Gefangen im Teufelskreis
Noch sind Studiengebühren ini Berlin nur Spukgestalt, aber sie werden sich materialisieren.
Lasst uns nicht über Studiengebühren reden, sondern über tausend Euro. Wieviel sind tausend Euro: etwa vier Monate Miete, etwa anderthalb Monate jobben, mehr als anderthalb Bafög-Höchstsätze, dreihundert Bier, hundertfünfzig Kinobesuche, mehr als hundert Reclam-Bücher, zwanzig Wochen Lebensmittel, ein Laptop, ein halber Führerschein, fünfhundert Mensaessen oder Döner, zwanzigtausend Din A4 schwarz-weiß Kopien. Das alles könnte man für jeweils tausend Euro kaufen.
Tausend Euro im Jahr bedeuten fast hundert Euro pro Monat. Durchschnittlich hat laut der letzten Sozialerhebung des Studentenwerkes jeder Student 750 Euro monatlich zur Verfügung. Nach studentischem Tarifvertrag gibt es knapp über zehn Euro pro Stunde, aber wer wird schon nach Tarif bezahlt? Tausend Euro sind mehr als ein Zehntel dessen, was ein Student jährlich zur Verfügung hat.
Verführerisches Geld
Tausend Euro. Das sind zwei Semester Studiengebühren, wie sie in Hamburg, Nieder-sachsen und Nordrhein-Westfalen eingeführt werden. In Berlin noch nicht. Das ist Bestandteil der Koalitionsvereinbarung zwischen SPD und PDS. Aber die Einführung wird nicht lange auf sich warten lassen. Bei über 130.000 Studierenden in der Stadt wären jährlich 130 Millionen Euro einzunehmen. Diese sollen direkt den Hochschulen zugute kommen. Das Land könnte sich noch mehr aus der Finanzierung von Hochschulbildung zurückziehen. Gute Aussichten bei der derzeitigen Finanzsituation.
Für Studierende in gebührenpflichtigen Bundesländern wäre ein Wechsel nach Berlin durchaus lukrativ. Sie sparen etwa tausend Euro jährlich. Es zeichnet sich ein Teufelskreis ab, genauer gesagt mehrere. Der eine beinhaltet die Zunahme der Studierendenzahlen, was die Qualität weiter senkt und die NCs anhebt. Der andere beinhaltet die zusätzliche Aufbringung von tausend Euro, was dazu führt, dass einige nicht so zügig studieren können und länger diese tausend Euro zahlen. Der dritte beinhaltet die beliebten Kreditmöglichkeiten, durch die einerseits der Start ins Leben nach dem Studium mit Schulden beginnt und zum anderen das staatliche Bildungssystem durch private Zinsen bezahlt wird.
Nur private Geldinstitute bieten Kredite an, der Zinssatz liegt bei etwa sechs Prozent. Die staatliche KfW-Bankengruppe wollte einen günstigeren anbieten, wurde jedoch daran gehindert. Um das Risiko zu vermindern, werden die Studienfach- und Hochschulwahl bei der Kreditvergabe berücksichtigt, befürchten Experten. Entscheiden die Banken künftig, was und wo studiert werden darf? Wer bereits Schulden hat, wird keinen Bildungskredit bekommen. Man braucht sich ja nur die aktuellen Studienkreditangebote anzuschauen.
Kehrtwende
Es ist leicht, gegen Studiengebühren zu polemisieren. Man könnte eine gesellschaftliche Veränderung diagnostizieren, die jeden einzelnen stärker in die Verantwortung nimmt. Man könnte mit „Lehrjahre sind keine Herrenjahre“ alle Argumente vom Tisch wehen. Man könnte ein mangelndes Ausgleichssystem beklagen. Man könnte so viel. Aber man wird nichts tun … können.
Bleibt nur die argumentative Kehrtwende: Ich bin für Studiengebühren, denn dadurch erhalten die Zahlenden, also wir Studierende, mehr Mitspracherechte – die Viertelparität in allen Hochschulgremien wird durch Studiengebühren möglich. Ich bin dafür, weil die Hochschulen sehr viel besser ausgestattet sein werden. Die Hochschule wird dafür verantwortlich, wie gut sie uns für unser Geld ausbildet – tut sie es nicht, geben wir unser Geld eben andernorts aus. Es muss nicht immer Berlin sein.
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Der Autor hat sich über die Jahre weiter mit Studiengebühren beschäftigt. Alles kulminiert in seiner Empfehlung für Faire Studiengebühren (2010).