Engagement zeigen, Changemaker werden

Pots­dam wird die erste Youth Chan­ge­ma­ker City und sucht sozial enga­gierte Jugend­li­che. So soll dem Enga­ge­ment junger Men­schen eine Basis gege­ben werden.

Sich gegen Miss­stände zu enga­gie­ren, das ist wich­tig. So denken viele Men­schen. Doch die wenigs­ten tun es. Was hält die Leute davon ab, sich ehren­amt­lich sozial zu enga­gie­ren? Das ist die Frage, die sich das Team der Ashoka Jugend­in­itia­tive stellt. Seit 2008 gibt es die inter­na­tio­nale Orga­ni­sa­tion in Deutsch­land mit einem Sitz in Berlin.

Ashoka hat es sich zur Auf­gabe gemacht, Jugend­li­che zu moti­vie­ren und eigene soziale Pro­jekte zu schaf­fen. Das Beson­dere daran ist, dass Erwach­sene her­aus­ge­hal­ten werden. Jugend­li­che zwi­schen zwölf und zwan­zig Jahren sollen ohne jeg­li­che The­men­vor­ga­ben ihre eige­nen Ideen zur Ver­bes­se­rung der Gesell­schaft ent­wi­ckeln und umset­zen. „Wir glau­ben daran, dass Jugend­li­che in jungem Alter mit­be­stim­men können“, sagt Mat­thias Schef­fel­meier, Pro­jekt­ko­or­di­na­tor der Ashoka Jugend­in­itia­tive. „Sozia­les Enga­ge­ment bringt junge Leute extrem weiter. Es eröff­net neue Per­spek­ti­ven, und es ent­ste­hen umfas­sende Kon­takte dadurch, dass sie sich in Grup­pen mit gesell­schaft­li­chen Pro­ble­men auseinandersetzen“.

Durch die Reihen

Inner­halb der ver­gan­ge­nen zwei bis drei Jahre unter­stützte Ashoka etwa fünf­zig Jugend­teams in der Umset­zung ihrer Pro­jekte. Die Themen, die die jungen Leute beschäf­ti­gen, sind genauso viel­fäl­tig wie die ein­zel­nen Jugend­li­chen selbst. Die Pro­jekte rich­ten sich etwa gegen Mob­bing, Ras­sis­mus und Zwangs­hei­rat. „Wir spre­chen alle Jugend­li­chen an, aus jeder Schul­form, aller Natio­na­li­tä­ten. Themen wie Mob­bing oder Dro­gen­kon­sum beschäf­ti­gen alle. So pas­siert es oft, dass sich der neun­zehn­jäh­rige Abitu­ri­ent mit dem drei­zehn­jäh­ri­gen Haupt­schü­ler über gesell­schaft­li­che Pro­bleme aus­tauscht“, erzählt Scheffelmeier.

Obwohl ein­schlä­gige Stu­dien bestä­ti­gen, dass die Mehr­zahl der Jugend­li­chen in Deutsch­land – es sind etwa 60 Pro­zent – Inter­esse hätte, sich sozial ein­zu­brin­gen, tun es doch wenige. Offen­bar gibt es eine Hemm­schwelle, die junge Leute vom Enga­ge­ment abhält. Aber was sind das für Hem­mun­gen? Um diese Frage zu klären, soll Pots­dam die erste „Youth Chan­ge­ma­ker City“ werden. Das bedeu­tet, dass eine eigen­stän­dige Kultur des jugend­li­chen Enga­ge­ments geför­dert werden soll.

Aus diesem Grund wurden im Januar 2009 zwan­zig enga­gierte Jugend­li­che aus ganz Deutsch­land nach Berlin ein­ge­la­den. Diese bilden den „Think-and-Do-Tank“. Sie benann­ten die­je­ni­gen Fak­to­ren, die sie per­sön­lich dazu gebracht haben, sich ehren­amt­lich zu beschäf­ti­gen. Das waren bei­spiels­weise Vor­bil­der aus Schule und Fami­lie, eine Start­fi­nan­zie­rung oder die För­de­rung durch Insti­tu­tio­nen, in denen sich die Jugend­li­chen bewegten.

Das Changemaker-Profil

Eines der Mit­glie­der des Think-and-Do-Tanks ist Lamia Özal. Die Deutsch­tür­kin setzt sich mit ihrem Verein „Deu­Ki­sche Genera­tion e. V.“ für die bes­sere Inte­gra­tion von Kin­dern mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund ein. Durch ihr Schul­pro­jekt „Youth for all“ im Rahmen ihrer Arbeit für „Jugend hilft“ kam Lamia zur Ashoka-Jugend­in­itia­tive. Die Jura-Stu­den­tin wird somit vor allem für den The­men­be­reich Inte­gra­tion einstehen.

Ein ande­rer Chan­ge­ma­ker des Think-and-do-Tanks ist Andreas Dzi­a­locha. Da sich der Kunst­wis­sen­schaf­ten­stu­dent und Jazz­mu­si­ker vor allem im kul­tu­rel­len Bereich enga­giert, ist er im Chan­ge­ma­ker-City-Pro­jekt vor­nehm­lich für diesen Bereich zustän­dig. „Falls in der Dis­kus­sion nur über andere, bei­spiels­weise wirt­schaft­li­che Themen gespro­chen wird, ist es meine Auf­gabe, meinen Finger zu heben und mich für den kul­tu­rel­len Bereich ein­zu­set­zen“, erklärt der Einundzwanzigjährige.

„Die Jugend­li­chen können durch sozia­les Enga­ge­ment ihr Umfeld besser wahr­neh­men und merken, was sie bewusst stört, denn ansons­ten leben junge Leute eher in den Tag hinein“, erklärt Lamia, warum jugend­li­ches Enga­ge­ment wich­tig ist. „Außer­dem gibt es ein Ent­wick­lungs­sta­dium des Selbst­be­wusst­seins. Sie merken: Ich habe etwas geschafft“.

Das Pro­blem sei, so meint die Zwan­zig­jäh­rige, dass viele Jugend­li­che nicht genug geför­dert würden. „Ich will andere dazu bewe­gen etwas zu tun, denn ich denke nicht, dass es an der Intel­li­genz liegt, ob man etwas errei­chen kann oder nicht“. Andreas ist der Mei­nung: „Wir leben in einer Kultur, in der sich jeder um seine ei­genen Pro­bleme küm­mert. Wir wollen den Geist ver­brei­ten: Da stehen noch andere neben dir“.

In drei Schritten

Das Kon­zept der Chan­ge­ma­ker City, um in einer bestimm­ten Stadt Enga­ge­ment-Hürden fest­zu­stel­len, glie­dert sich in drei Schritte. In einem ersten Schritt werden am 16. April lokale Jugend­or­ga­ni­sa­tio­nen wie AIESEC, sowie Poli­ti­ker, Medi­en­ex­per­ten, Spe­zia­lis­ten und natür­lich die Jugend­li­chen selbst in Pots­dam an einen Runden Tisch gebracht. Ziel ist es, die aktu­elle Situa­tion in Pots­dam zu klären. Zwei­tens findet am 30. Mai das große „Youth Chan­ge­ma­ker City Event“ statt. Etwa hun­dert Jugend­li­che aus Pots­dam und Berlin werden erwar­tet. Jeder, der sich bereits in irgend­ei­ner Form enga­giert, kann sich hier­für über die Home­page anmel­den. „Wir wollen wissen: Was denkt ihr, was andere junge Leute abhält, sich zu enga­gie­ren“, sagt Schef­fel­meier. „Dabei ist es wich­tig, die Jugend­li­chen selbst zu fragen und nicht Erwach­sene oder Poli­ti­ker. Die Jugend­li­chen wissen es selber am besten.“

Das Ziel dieses Tages ist, eine Liste von Hemm­schwel­len zu erstel­len, um damit wei­ter­ar­bei­ten zu können. Der dritte Schritt beinhal­tet einen großen Wett­be­werb, der für jeder­mann – auch für Erwach­sene – aus­ge­schrie­ben wird. Jeder kann hier seine Pro­jekt­ideen zum Abbau der benann­ten Hem­mun­gen ein­rei­chen. Im Juli werden die Ideen in einer Jury­sit­zung bespro­chen, und die­je­ni­gen, die Erfolg ver­spre­chen, bekom­men eine Start­fi­nan­zie­rung von bis zu 800 Euro. Diese Summe besteht aus Spen­den von Inves­to­ren wie der Robert-Bosch-Stif­tung, der J. P. Morgan Foun­da­tion, aber auch von Privatpersonen.

Erste Wahl

Pots­dam als Chan­ge­ma­ker City stellt ein inter­na­tio­na­les Novum dar. Das Ergeb­nis sollen ver­bes­serte Rah­men­be­din­gun­gen für selbst­be­stimm­tes Jugend­en­ga­ge­ment sein. Schef­fel­meier erklärt, warum gerade Pots­dam als erste Stadt für ein sol­ches Pro­jekt aus­ge­wählt wurde: „In Pots­dam haben wir einen rela­tiv guten Kon­takt zu den loka­len Jugend­or­ga­ni­sa­tio­nen. Außer­dem ist es eine über­schau­bare Stadt, und es hat in der Ver­gan­gen­heit schon eine ähn­li­che Aktion der AJKP (Arbeits­gruppe für die alter­na­tive Jugend­kul­tur in Pots­dam) gege­ben.“ Pots­dam soll den Start­schuss für eine ganze Reihe von Pro­jek­ten dieser Art geben. In den nächs­ten Jahren ist geplant, Ähn­li­ches in zwan­zig bis vier­zig Städ­ten durch­zu­füh­ren, allen voran Berlin, Frank­furt am Main und Stuttgart.

Andreas meint: „Wenn die Medien berich­ten, wie schlecht die Jugend heut­zu­tage ist, ist das ein fal­sches Bild. Es ist irre, wie viele enga­gierte Jugend­li­che es gibt. Wir wollen zeigen, Enga­ge­ment ist nichts, was uncool ist. Wahre Ver­än­de­rung kann nur durch die Men­schen selbst ent­ste­hen“. „Wir haben die Vision, dass sozia­les Enga­ge­ment der Jugend­li­chen zur Nor­ma­li­tät wird. Dass sich wirk­lich jeder enga­giert, ist zwar uner­reich­bar, aber den­noch erstre­bens­wert“, findet Scheffelmeier.