“A Historical Chance”

Die Auf­stände in den Maghreb-Staa­ten haben Dik­ta­to­ren zu Fall gebracht. Ähn­li­che Struk­tu­ren finden sich auch in Ost­eu­ropa. Kann sich Glei­ches bei­spiels­weise in Aser­bai­dschan wiederholen?

Jugendliche im Zentrum Bakus (Hauptstadt von Aserbaidschan) im März 2011 Jugendliche im Zentrum Bakus (Hauptstadt von Aserbaidschan) im März 2011

Die Auf­stände in den Maghreb-Staa­ten haben in den letzen Mona­ten gezeigt, was Demons­tra­tio­nen aus­lö­sen können: den Fall von Dik­ta­to­ren. Aber nicht nur Länder in Nord­afrika werden von Mili­tär­re­gi­men und Dik­ta­tu­ren regiert – ähn­li­che Struk­tu­ren finden sich auch in Ost­eu­ropa. Zum Bei­spiel in Aser­bai­dschan. Kann es sich dort wiederholen?

Am 17. April 2011 läuft ein 5‑jähriges Mäd­chen durch die Stra­ßen von Baku und schreit: “Frei­heit für Aser­bai­dschan”. Einige Minu­ten später werden Mutter und Kind von der Poli­zei fest­ge­nom­men. An diesem Tag werden noch 65 wei­tere Men­schen ver­haf­tet. Sie alle nahmen an einer Demons­tra­tion in Baku teil — orga­ni­siert von der Oppo­si­tion gegen die Regie­rung des Prä­si­den­ten Ilham Aliyev.

Seit dem Tod seines Vaters 2003 regiert Ilham Aliyev dik­ta­to­risch das Land. Wahl­ma­ni­pu­la­tion und Kor­rup­tion — Aser­bai­dschan gilt als eines der kor­rup­tes­ten Länder der Welt — gehö­ren zum Regie­rungs­all­tag. In den letz­ten Mona­ten gab es immer wieder kleine Demons­tra­tio­nen auf den Stra­ßen Bakus, jedoch nie mit mehr als 300 Teil­neh­men­den. Die fast aus­schließ­lich jungen Pro­tes­tie­ren­den for­dern die Ach­tung der Men­schen­rechte und den Kampf gegen Kor­rup­tion und Unter­drü­ckung. Doch selbst diese klei­nen, fast aus­schließ­lich fried­li­chen Pro­teste werden von der Regie­rung nie­der­ge­schla­gen. Das schwächt die sowieso schon ange­schla­gene Opposition.

Bei den Par­la­ments­wah­len 2010 wurde das erste Mal seit der Unab­hän­gig­keit 1991 kein ein­zi­ges Mit­glied der Oppo­si­ti­ons­par­teien „Mus­a­vat“ und „Volks­front“ in das Par­la­ment gewählt. Die Regie­rungs­par­tei von Ilham Aliyev hin­ge­gen erreichte die abso­lute Mehr­heit. Auch wenn Wahl­be­ob­ach­ter der Orga­ni­sa­tion für Sicher­heit und Zusam­men­ar­beit (OSZE) die Wahl­fäl­schung bestä­ti­gen, kann die Oppo­si­tion nicht gegen das Wahl­er­geb­nis vor­ge­hen. Dazu kommt, dass die Mit­glieds­zah­len der Oppo­si­ti­ons­par­teien rapide sinken. Es fehlt an finan­zi­el­len Res­sour­cen, nen­nens­wer­ter Unter­stüt­zung aus dem Aus­land und nicht zuletzt am Glau­ben der aser­bai­dscha­ni­schen Bürger.

Auch Emin Milli enga­giert sich in seinem Hei­mat­land gegen Kor­rup­tion und für Men­schen­rechte und Jugendbeteiligung.Der 30-Jäh­rige wurde 2008 fest­ge­nom­men und zu 18 Mona­ten Gefäng­nis ver­ur­teilt. Ein sati­ri­sches Video, in dem er und der Akti­vist Adnan Hajizade die aser­bai­dscha­ni­sche Regie­rung kri­ti­sier­ten, lie­ferte den Anlass für seine Fest­nahme. Seit Novem­ber 2010 ist er wieder frei und aktiv. „Ich bin kein poli­ti­scher Akti­vist, ich sage nur was ich denke”, betont er.

Emin hat keine Angst mehr. Er weiß, dass er mitt­ler­weile genug inter­na­tio­nale Auf­merk­sam­keit bekom­men hat um nicht so schnell wieder fest­ge­nom­men zu werden. Und er weiß auch, dass viele Men­schen in Aser­bai­dschan unzu­frie­den sind. Aber die Angst vor den Kon­se­quen­zen ist zu groß, kaum jemand will ein Risiko für die eigene Exis­tenz eingehen.

 „Ich glaube, Men­schen können andere mit­rei­ßen und für eine Idee begeis­tern. Es liegt etwas in der Luft, aber der rich­tige Zeit­punkt ist noch nicht gekom­men“, ent­geg­net er auf die Frage, ob Pro­teste wie in den Maghreb- Staa­ten in Aser­bai­dschan zu erwar­ten sind.

Neben der Angst der Men­schen gibt es wei­tere Hin­der­nisse. Emin sagt, dass ein freies Medium in Aser­bai­dschan oder im Kau­ka­sus fehlt, wel­ches Al Jaze­e­ras Rolle spie­len kann. Dadurch man­gelt es den Men­schen an Infor­ma­tio­nen und Raum für poli­ti­sche Dis­kus­sio­nen. Selbst über die Ereig­nisse in Ägyp­ten und Tune­sien wurde in den aser­bai­dscha­ni­schen Medien kaum berich­tet. Außer­dem nutzen nur 300.000 der über neun Mil­lio­nen Aser­bai­dscha­ner soziale Netz­werke im Internet.

 „Ich denke immer an die Idee 1918 — 2018. 1918 hatten wir einen demo­kra­ti­schen Umschwung ohne die Hilfe von neuen Medien, ohne die EU, ohne Wirt­schafts­wachs­tum, das ist ein Symbol für die neue Genera­tion. Wir werden es erst recht schaf­fen, 100 Jahre später. Wir haben eine his­to­ri­sche Chance”, fügt Emin opti­mis­tisch hinzu.

Ein Auf­stand der Grö­ßen­ord­nung wie in den Staa­ten Nord­afri­kas wird in Aser­bai­dschan in nächs­ter Zeit wohl nicht zu erwar­ten sein. Aber die nächs­ten Prä­si­dent­schafts­wah­len stehen im Früh­jahr 2013 an – viel­leicht nutzt die Regie­rung ihre „his­to­ri­sche Chance“ auf eine Reform­po­li­tik ein­fach selbst.

Über Janine Noack (20 Artikel)
Janine studierte von 2009-2012 Geschichte, Politk und Soziologie an der HU Berlin und absolviert derzeit ihren Master in Modern European History an der Universität Cambridge.