Kiezreports: Wo man wohnt
In welchem Bezirk man wohnt, wenn man als Student in Berlin lebt.
Hier sprechen zur Abwechslung mal nicht über die bei Studenten begehrten Kieze wie Prenzl‚berg, Kreizberg und neuerdings dem Wedding. Der Berliner Student von heute wohnt in Reinickendorf und Marzahn.
Whirlpool, Nazis und ein Boot
Mitbewohner sind auch nur Menschen – dachte ich. Meist Studenten, auch mal Partylöwen oder Biokulturen- Züchter, soweit so gut. Frisch in Berlin, kaum WG-Erfahrung stürzte ich mich auf den Wohnungsmarkt. Einigermaßen gut gelegen, mittelgroßes Zimmer und nette Mitbewohner sollten es sein. Gleich bei der 27. Besichtigung hatte ich zugeschlagen. Durchschnittlich früh und nach nur 10 Tagen in einem Hostel zum Übergang, zog ich in eine alte Fabriketage Nähe Hermannplatz. Der Whirlpool, die Dachterrasse und das 125 qm große Wohnzimmer hatten mich bei nur schlanken 300€ Miete „all inclusive“ überzeugt – hätten mich aber nachdenklich stimmen sollen. Wie ich nach dem Einzug feststellte, waren nä mlich auch das zwielichtige Etablissement im 1. Hinterhof und die Auspuff-Prüfstation unter meinem Zimmer inklusive – nach 6 Monaten zog ich lieber weiter. Meine neuen Mitbewohner, zwei Mittdreißiger waren eigentlich ga nz nett, hielten aber Silberfischchen im Bad, Maden im Küchenschrank und mehrere Dutzend auseinander gebaute Segelbooten in der Küche. Nachdem mir mein Mitbewohner dann noch erklärt hatte, dass das mit der Ruhestörung beim NPD-Treffen in Brandenburg absolut nicht seine Schuld gewesen wäre, suchte ich das Weite. Jetzt wohne ich in meiner eigenen 2er-WG – zum Glück regnet es nur manchmal rein.
Reinickendorf
Refugees welcome – Reinickendorf ist der Ort für zerstreuungsbedürftige Großstädter. In wenigen Minuten bist Du mit dem ÖPNV im Tegeler Forst oder an den Stränden des Tegeler Sees. Mein persönlicher Favorit ist der Tegeler Hafen. Will ich alles um mich herum vergessen, ziehe ich mir dort Ozeanblick, Hafenromantik und die Sterne rein. Die sind hier – im Gegensatz zur dunstglockengeplagten Innenstadt – in voller Schönheit zu sehen. Trotz allem ist R’dorf kein verlassenes Örtchen, von dem Du nicht wieder wegkommst. Alex, Kotti oder Friedrichstraße sind mit Bahn oder Bus kaum weiter als 20 Minuten. Achtung Geheimtipp – einige der letzten Wohnungen Berlins mit erträglichen Mieten findest Du im städtischen Süden R’dorfs. E pluribus unum – Das ist Reinickendorf: Rand- und Naturbezirk, jede Menge Outdoor, preisgünstig, aber trotzdem mit Stadt und Studentenszene, weil durch Bus und Bahn direkt um die Ecke.
Steglitz
Steglitz-Zehlendorf gilt als das Reichen- und Villenviertel. Ein Villenviertel ist es immer noch, nur die Reichen wohnen inzwischen eher in Mitte. Die Mieten sind mittlerweile in Steglitz-Zehlendorf für Studenten preiswerter als im Prenzlauer Berg. Sicher, die Bezirk-Namen sind nicht so bekannt und so hip, aber verdammt, dieser Bezirk hat alles. Altbau, Neubau, Villen, Parks und mit der Schlossstraße die nach wie vor größte Einkaufsstraße Berlins. Nach 18 Uhr nimmt hier die Aktivität natürlich deutlich ab. Aber man ist als Steglitzer mit den öffentlichen Verkehrsmitteln extrem schnell in den Partybezirken, in der sicheren Gewissheit, dass das eigene Bett ruhig in Steglitz steht, wo man Nachts tatsächlich schlafen kann: Hier spielen keine Bands vor dem Haus, die Polizei fährt eher selten Dauereinsätze mit Martinshorn und mir hat noch niemand in den Hausflur gekotzt. Wer nur Party machen will, sollte in Mitte schauen. Wer studieren und leben will, hat in Steglitz gute Chancen fündig zu werden.
Marzahn
„Was? Du kommst aus Marzahn?“ Das Gesicht des Fragenden ist zu einer Maske des Unglaubens erstarrt. Ich hätte nicht mehr Irritation hervorrufen können, wenn ich den Jupitermond Io als Wohnort angegeben hätte. Sicher, diese Reaktion war eine Ausnahme. Keine Ausnahme ist aber die Klischee-Trias aus Hartz IV, Gewalt und Cindy, die mir wieder und wieder begegnet. Auch wenn nur im Scherz geäußert, verweisen solche Bemerkungen auf die Reichweite medial vermittelter Scheinwirklichkeiten. Wer Marzahn unvoreingenommen erkundet, wird schnell die blinden Topoi und referenzlosen Vorurteile entlarven, die private (und manchmal weniger private) Medien verbreiten. Also Studenten, kommt nach Marzahn!
Kurz eingeworfen:
JWD
Abkürzung für „Janz weit draußen“ … also weeeit außerhalb des S‑Bahn-Rings. Wohnen im Zentrum von Berlin ist teuer für Studenten. Aber die Mietpreise sinken mit steigender Ferne. Lange S‑Bahn-Fahrten sind immer eine gute Lektüre-Zeit.
Hellersdorf
Vor gut einem Jahr befand ich mich in Berlin auf Wohnungssuche und musste schnell feststellen, dass zentral gelegene Wohnungen für Studenten entweder zu teuer oder zu klein für meine Vorstellungen waren. Daraufhin dehnte ich meine Suche auf die östlichen Randbezirke Berlins aus und fand so eine große und vor allem günstige 3‑Zimmer-Wohnung. Abgesehen davon, dass die Wohnung preislich unschlagbar ist, wohnt es sich in Hellersdorf besser als erwartet: Es gibt genug Einkaufsmöglichkeiten, Restaurants, und mit der U5 ist man in keiner halben Stunde am Alex – durch das Zusteigen am Streckenanfang bekommt man sogar immer einen Sitzplatz. Zahlreiche Grünanlagen und Naturschutzgebiete wie das Wuhletal ziehen mich förmlich immer wieder ins Freie. Sicherlich findet man auch einige Klischees teilweise bestätigt, am Wohnen in Hellersdorf empfinde ich allerdings „nur“ die weitere Entfernung zu Freunden, Uni und dem Nachtleben Berlins nachteilig.
Lichtenberg
Mit der Wohnsituation in Lichtenberg verhält es sich wie mit den meisten Orten auf der Welt: Da sind Ecken, die können sich sehen lassen und Gegenden, die lieber ungesehen bleiben sollten. Ein sehr großer Vorzug von Lichtenberg sind die für Studenten niedrigen Mietpreise bei relativer Nähe zum Stadtkern und g ut ausgebautem öffentlichen Nahverkehr. Anders als in Friedrichshain-Kreuzberg begegnen einem hier nur wenige FeierWütige – ob das als Vor- oder Nachteil gewertet werden kann, sollte allerdings dem persönlichen Geschmack überlassen bleiben. Der Berliner Bezirk verfügt über eine große Wohnungsvielfalt: Von Alt- über Neubauten, bis hin zur Berliner Platte finden sich hier alle Farben und Formen. Ebenso weit gestreut sind die Lichtenberger Mieten. Ich wohne hier in einer schönen Altberliner Wohnung mit genialem Mietpreis und habe es dennoch nicht weit in die Stadt – der negative Ruf Lichtenbergs bei Urberlinern ist, zumindest für Ecken in Ringnähe, überholt.
Autoren: Nicole Tappe, Franziska Stenzel, Philipp Blanke, Frank Haberland, Benjamin Dinca