Treffen mit einem Bruder

Spree-Autorin Kamila besucht eine Moschee. Spree-Autorin Kamila besucht eine Moschee. Quelle: Kamila Zych

Wenn man von Reli­gion in unse­rer Genera­tion hört, fällt einem selten jemand ein, der streng nach seinem Glau­ben lebt. Die spree-Autorin Kamila hat sich mit einem ehe­ma­li­gen Klas­sen­ka­me­ra­den getrof­fen, der sich bewusst für seinen Glau­ben ent­schie­den hat: als Kon­ver­tit zum Islam.

Über Umwege zum Glück

Ich kann mich noch erin­nern, als ich mit Ben in der Grund­schule zusam­men im katho­li­schen Reli­gi­ons­un­ter­richt saß. Damals haben wir über die Wunder Jesu gespro­chen und in der Bibel gele­sen. Heute glaubt Bekir, wie Ben sich jetzt nennt, an Allah und liest den Koran. Zu seinem Glau­ben ist der 21-Jäh­rige vor unge­fähr drei Jahren gekom­men. Dadurch, dass er schon damals viele mus­li­mi­sche Freunde hatte, fing er an, sich mehr mit dem isla­mi­schen Glau­ben zu beschäftigen.
Wir haben uns schon lange nicht gese­hen, des­we­gen bin ich an jenem Tag gespannt, wie das Tref­fen ablau­fen wird. Als ich aus der U‑Bahn steige, tippt mir jemand auf die Schul­ter. Ich drehe mich um, sehe vor mir den­sel­ben Spaß­vo­gel, den ich noch aus der Schul­zeit kenne.
Bekir selbst sieht das etwas anders. „Ich war damals ein Trau­er­kloß.“ Das ist sein Bild von sich, vor seiner Kon­ver­tie­rung. Der Glaube habe ihn wieder zum Strah­len gebracht, sagt er. „Letz­tens habe ich eine Freun­din nach Jahren wie­der­ge­se­hen und sie fragte mich nur, was mit mir pas­siert ist, weil ich so glück­lich aussah.“

Spree-Autorin Kamila lernt den Islam näher kennen.

Beein­dru­ckend: Der Innen­raum der Sehit­lik Moschee am Colum­bia­damm 128 in Berlin.

Im Dienste Gottes

Mitt­ler­weile stu­diert Bekir Mathe­ma­tik an der Beuth Hoch­schule. Vor einem Jahr plante er noch ein Stu­dium der isla­mi­schen Theo­lo­gie, was per­fekt für ihn schien. Er ent­schied sich letzt­end­lich doch dage­gen: Für das Stu­dium hätte er weg­zie­hen und sich somit von seiner isla­mi­schen Lern­gruppe tren­nen müssen.
Daher hat sich Bekir für das Mathe­ma­tik­stu­dium ent­schie­den, kann wei­ter­hin zum Islam­un­ter­richt gehen und zudem sein großes Ziel anstre­ben, Lehrer zu werden. „Der Beruf des Leh­rers ist im Islam einer der aner­kann­tes­ten Berufe, darum sehe ich mein Stu­dium als einen Dienst für Allah.“
Manche Leute fragen ihn, wie er seinen Glau­ben in den Alltag ein­bringt. Er meint, dass man die Frage eigent­lich umge­kehrt stel­len sollte. „Der Glau­ben ist mein All­tags­le­ben.“ Sogar mit Prü­fungs­stress geht Bekir ent­spannt um, seit er davon über­zeugt ist, dass alles, so wie es pas­siert, einen Sinn hat, auch wenn er mal eine Prü­fung nicht besteht.

Zwischen zwei Welten

In der Hoch­schule habe er keine Pro­bleme, seinen Glau­ben aus­zu­le­ben. „Ich bete fünf Mal am Tag, wäh­rend und zwi­schen Vor­le­sun­gen. Nie­mand hat etwas dage­gen, ganz im Gegen­teil: In Zukunft ist sogar die Errich­tung eines Gebets­rau­mes für die mus­li­mi­schen Stu­die­ren­den geplant.“
Bekir hat aber auch nega­tive Reak­tio­nen zu seinem Glau­bens­wech­sel erlebt. Einige frü­here Freunde haben den Kon­takt zu ihm abge­bro­chen. Der Stu­dent sieht es aber posi­tiv: „Ich habe viel­leicht weni­ger Freunde als früher, aber dafür mehr Brüder und Schwes­tern.“ Bekir sagt selbst, dass sich sein ganzes Leben ver­än­dert habe, seit­dem er Moslem ist: „Ich achte mehr auf das, was ich esse, sage, tue.“ Partys oder Bar­be­su­che reizen ihn nicht, nur in einem Punkt ist er immer noch der­selbe: Er zockt lie­bend gern.
Bei einem zwei­ten Tref­fen begleite ich Bekir zur Moschee. Die Sehit­lik-Moschee ist eine sun­ni­ti­sche Moschee und lehrt den soge­nann­ten „Main­stream-Islam“. Von den rund acht­zig Moschee­ge­mein­den in Berlin gehöre sie zu den reprä­sen­ta­ti­ven, wie ich von einem Mit­bru­der namens Andy Schulz erfahre, der sich Abbas nennt. Er enga­giert sich ehren­amt­lich in der Moschee, ist für die dort statt­fin­den­den Füh­run­gen zustän­dig und gibt ab und zu auch Islamunterricht.
„Unsere Moschee wurde ledig­lich durch Spen­den von Mit­glie­dern und Gästen finan­ziert“, erzählt Abbas. Die meis­ten ande­ren Moscheen befän­den sich in Fabrik­eta­gen oder Hin­ter­hof­woh­nun­gen. „Du musst dir vor­stel­len, da ist irgendwo in einer Neben­straße ein Klin­gel­schild, auf dem bei­spiels­weise ‚Alis‘s Moschee‘ drauf­steht“, scherzt er. So sieht aller­dings die Rea­li­tät aus, denn die Moschee­ge­mein­den werden staat­lich nicht unter­stützt. Nichts­des­to­trotz sind die in Berlin leben­den Mus­lime froh, dass es über­haupt Orte zum Beten gibt. Abbas erklärt das so: „Wenn ich gerade unter­wegs bin und merke, es ist Zeit fürs Gebet, mach ich meine Moschee-App an und gehe ein­fach in die Moschee, die in der Nähe ist.“ Anders ist es aller­dings, wenn es sich um das Frei­tags­ge­bet han­delt. „Das ist bei uns wie bei den Chris­ten die Sonn­tags­messe. An diesem beson­de­ren Tag sucht man sich die Moschee sorg­fäl­tig aus oder geht in seine Stammmoschee.“

Spree-Autorin Kamila besucht eine Moschee.

Im Gespräch: So lernt Spree-Autorin Kamila den Islam am besten kennen.

Gut und Böse?

Laut Senats­an­ga­ben von 2010 gibt es in Berlin zwi­schen 220.000 und 300.000 Mus­lime. Auf die Frage, wie viele Jugend­li­che in Berlin zum Islam kon­ver­tie­ren, kann mir Abbas keine kon­krete Ant­wort geben: „Es gibt keine genauen Zahlen, da man auch für sich selbst kon­ver­tie­ren kann, ohne dass jemand davon erfährt.“
Zu dem Vor­wurf, dass viele Kon­ver­ti­ten sich radi­ka­len, isla­mis­ti­schen Grup­pen wie z.B. dem Sala­fis­mus anschlie­ßen, hat er jedoch eine klare Mei­nung: „Durch die Medien ent­steht ein fal­scher Ein­druck vom Islam.“ Offi­zi­ell spricht man von etwa vier­hun­dert Sala­fis­ten in Berlin, dies ist nur ein Bruch­teil der in der Haupt­stadt leben­den Mus­lime. „Doch genau dieser Bruch­teil wird in den Medien stän­dig the­ma­ti­siert, so dass bei Laien der Ein­druck ent­steht, der Islam sei gene­rell radi­kal und extremistisch.“
Dass der Sala­fis­mus in Deutsch­land so bekannt ist, liege laut Abbas vor allem an der Prä­senz im Inter­net, gerade auf Platt­for­men wie You­tube. Die extre­mis­ti­sche Strö­mung hat ihre Wur­zeln in Saudi-Ara­bien, wo Leute aus­ge­bil­det und anschlie­ßend ins Aus­land zum Mis­sio­nie­ren geschickt werden. Saudi-Ara­bien sub­ven­tio­niert die Sala­fis­ten, was erst eine solche mediale Mis­sio­nie­rung ermög­licht. „Wir machen so etwas nicht, denn wir sind für die Mus­lime da und nicht dafür, dass Leute kon­ver­tie­ren“, meint Abbas ent­schlos­sen. Natür­lich würde sich die Gemeinde über Zuwachs freuen, doch er muss fest­stel­len, dass es kaum deutsch­spra­chige Ange­bote für Mus­lime gibt. Wer sich im Inter­net über die Reli­gion infor­mie­ren möchte, landet nicht selten auf isla­mis­ti­schen Seiten, wie der vom radi­ka­len Pre­di­ger Pierre Vogel.

Ungewisse Identität

Die heu­tige Genera­tion von jungen Mus­li­men steht zudem vor einem wei­te­ren Pro­blem. „Viele Jugend­li­che prak­ti­zie­ren ihren Glau­ben nicht rich­tig, da sie ihn nie rich­tig gelernt haben“, ver­mu­tet Abbas. Die Rede ist von Kin­dern aus Fami­lien ehe­ma­li­ger Gast­ar­bei­ter oder Flücht­linge, welche meist aus den ärme­ren, unge­bil­de­ten Schich­ten und länd­li­chen Regio­nen kamen. In Deutsch­land baute man sich dann all­mäh­lich ein Leben auf, meist in Bezir­ken wie Neu­kölln, in denen soziale Armut und schwie­rige Lebens­be­din­gun­gen noch heute teil­weise anzu­tref­fen sind. „Den Jugend­li­chen fehlt es an iden­ti­täts­stif­ten­den Merk­ma­len. Aus diesem Grund suchen sie sich etwas, auf das sie stolz sein können und das ist meis­tens ent­we­der die Natio­na­li­tät, der Glaube oder das Geschlecht“, ana­ly­siert Abbas. Werden diese Werte fest ver­an­kert, besteht das Risiko zur Radi­ka­li­sie­rung, wobei man wieder bei den extre­mis­ti­schen Grup­pie­run­gen landet und sich der Teu­fels­kreis schließt.
Glück­li­cher­weise sind solche Fälle eher selten. In Berlin herrscht zum einen ein fried­li­cher Umgang der Moschee­ge­mein­den unter­ein­an­der, und auch der Dialog mit den Gemein­den ande­rer Reli­gio­nen findet statt.