Treffen mit einem Bruder
Wenn man von Religion in unserer Generation hört, fällt einem selten jemand ein, der streng nach seinem Glauben lebt. Die spree-Autorin Kamila hat sich mit einem ehemaligen Klassenkameraden getroffen, der sich bewusst für seinen Glauben entschieden hat: als Konvertit zum Islam.
Über Umwege zum Glück
Ich kann mich noch erinnern, als ich mit Ben in der Grundschule zusammen im katholischen Religionsunterricht saß. Damals haben wir über die Wunder Jesu gesprochen und in der Bibel gelesen. Heute glaubt Bekir, wie Ben sich jetzt nennt, an Allah und liest den Koran. Zu seinem Glauben ist der 21-Jährige vor ungefähr drei Jahren gekommen. Dadurch, dass er schon damals viele muslimische Freunde hatte, fing er an, sich mehr mit dem islamischen Glauben zu beschäftigen.
Wir haben uns schon lange nicht gesehen, deswegen bin ich an jenem Tag gespannt, wie das Treffen ablaufen wird. Als ich aus der U‑Bahn steige, tippt mir jemand auf die Schulter. Ich drehe mich um, sehe vor mir denselben Spaßvogel, den ich noch aus der Schulzeit kenne.
Bekir selbst sieht das etwas anders. „Ich war damals ein Trauerkloß.“ Das ist sein Bild von sich, vor seiner Konvertierung. Der Glaube habe ihn wieder zum Strahlen gebracht, sagt er. „Letztens habe ich eine Freundin nach Jahren wiedergesehen und sie fragte mich nur, was mit mir passiert ist, weil ich so glücklich aussah.“
Im Dienste Gottes
Mittlerweile studiert Bekir Mathematik an der Beuth Hochschule. Vor einem Jahr plante er noch ein Studium der islamischen Theologie, was perfekt für ihn schien. Er entschied sich letztendlich doch dagegen: Für das Studium hätte er wegziehen und sich somit von seiner islamischen Lerngruppe trennen müssen.
Daher hat sich Bekir für das Mathematikstudium entschieden, kann weiterhin zum Islamunterricht gehen und zudem sein großes Ziel anstreben, Lehrer zu werden. „Der Beruf des Lehrers ist im Islam einer der anerkanntesten Berufe, darum sehe ich mein Studium als einen Dienst für Allah.“
Manche Leute fragen ihn, wie er seinen Glauben in den Alltag einbringt. Er meint, dass man die Frage eigentlich umgekehrt stellen sollte. „Der Glauben ist mein Alltagsleben.“ Sogar mit Prüfungsstress geht Bekir entspannt um, seit er davon überzeugt ist, dass alles, so wie es passiert, einen Sinn hat, auch wenn er mal eine Prüfung nicht besteht.
Zwischen zwei Welten
In der Hochschule habe er keine Probleme, seinen Glauben auszuleben. „Ich bete fünf Mal am Tag, während und zwischen Vorlesungen. Niemand hat etwas dagegen, ganz im Gegenteil: In Zukunft ist sogar die Errichtung eines Gebetsraumes für die muslimischen Studierenden geplant.“
Bekir hat aber auch negative Reaktionen zu seinem Glaubenswechsel erlebt. Einige frühere Freunde haben den Kontakt zu ihm abgebrochen. Der Student sieht es aber positiv: „Ich habe vielleicht weniger Freunde als früher, aber dafür mehr Brüder und Schwestern.“ Bekir sagt selbst, dass sich sein ganzes Leben verändert habe, seitdem er Moslem ist: „Ich achte mehr auf das, was ich esse, sage, tue.“ Partys oder Barbesuche reizen ihn nicht, nur in einem Punkt ist er immer noch derselbe: Er zockt liebend gern.
Bei einem zweiten Treffen begleite ich Bekir zur Moschee. Die Sehitlik-Moschee ist eine sunnitische Moschee und lehrt den sogenannten „Mainstream-Islam“. Von den rund achtzig Moscheegemeinden in Berlin gehöre sie zu den repräsentativen, wie ich von einem Mitbruder namens Andy Schulz erfahre, der sich Abbas nennt. Er engagiert sich ehrenamtlich in der Moschee, ist für die dort stattfindenden Führungen zuständig und gibt ab und zu auch Islamunterricht.
„Unsere Moschee wurde lediglich durch Spenden von Mitgliedern und Gästen finanziert“, erzählt Abbas. Die meisten anderen Moscheen befänden sich in Fabriketagen oder Hinterhofwohnungen. „Du musst dir vorstellen, da ist irgendwo in einer Nebenstraße ein Klingelschild, auf dem beispielsweise ‚Alis‘s Moschee‘ draufsteht“, scherzt er. So sieht allerdings die Realität aus, denn die Moscheegemeinden werden staatlich nicht unterstützt. Nichtsdestotrotz sind die in Berlin lebenden Muslime froh, dass es überhaupt Orte zum Beten gibt. Abbas erklärt das so: „Wenn ich gerade unterwegs bin und merke, es ist Zeit fürs Gebet, mach ich meine Moschee-App an und gehe einfach in die Moschee, die in der Nähe ist.“ Anders ist es allerdings, wenn es sich um das Freitagsgebet handelt. „Das ist bei uns wie bei den Christen die Sonntagsmesse. An diesem besonderen Tag sucht man sich die Moschee sorgfältig aus oder geht in seine Stammmoschee.“
Gut und Böse?
Laut Senatsangaben von 2010 gibt es in Berlin zwischen 220.000 und 300.000 Muslime. Auf die Frage, wie viele Jugendliche in Berlin zum Islam konvertieren, kann mir Abbas keine konkrete Antwort geben: „Es gibt keine genauen Zahlen, da man auch für sich selbst konvertieren kann, ohne dass jemand davon erfährt.“
Zu dem Vorwurf, dass viele Konvertiten sich radikalen, islamistischen Gruppen wie z.B. dem Salafismus anschließen, hat er jedoch eine klare Meinung: „Durch die Medien entsteht ein falscher Eindruck vom Islam.“ Offiziell spricht man von etwa vierhundert Salafisten in Berlin, dies ist nur ein Bruchteil der in der Hauptstadt lebenden Muslime. „Doch genau dieser Bruchteil wird in den Medien ständig thematisiert, so dass bei Laien der Eindruck entsteht, der Islam sei generell radikal und extremistisch.“
Dass der Salafismus in Deutschland so bekannt ist, liege laut Abbas vor allem an der Präsenz im Internet, gerade auf Plattformen wie Youtube. Die extremistische Strömung hat ihre Wurzeln in Saudi-Arabien, wo Leute ausgebildet und anschließend ins Ausland zum Missionieren geschickt werden. Saudi-Arabien subventioniert die Salafisten, was erst eine solche mediale Missionierung ermöglicht. „Wir machen so etwas nicht, denn wir sind für die Muslime da und nicht dafür, dass Leute konvertieren“, meint Abbas entschlossen. Natürlich würde sich die Gemeinde über Zuwachs freuen, doch er muss feststellen, dass es kaum deutschsprachige Angebote für Muslime gibt. Wer sich im Internet über die Religion informieren möchte, landet nicht selten auf islamistischen Seiten, wie der vom radikalen Prediger Pierre Vogel.
Ungewisse Identität
Die heutige Generation von jungen Muslimen steht zudem vor einem weiteren Problem. „Viele Jugendliche praktizieren ihren Glauben nicht richtig, da sie ihn nie richtig gelernt haben“, vermutet Abbas. Die Rede ist von Kindern aus Familien ehemaliger Gastarbeiter oder Flüchtlinge, welche meist aus den ärmeren, ungebildeten Schichten und ländlichen Regionen kamen. In Deutschland baute man sich dann allmählich ein Leben auf, meist in Bezirken wie Neukölln, in denen soziale Armut und schwierige Lebensbedingungen noch heute teilweise anzutreffen sind. „Den Jugendlichen fehlt es an identitätsstiftenden Merkmalen. Aus diesem Grund suchen sie sich etwas, auf das sie stolz sein können und das ist meistens entweder die Nationalität, der Glaube oder das Geschlecht“, analysiert Abbas. Werden diese Werte fest verankert, besteht das Risiko zur Radikalisierung, wobei man wieder bei den extremistischen Gruppierungen landet und sich der Teufelskreis schließt.
Glücklicherweise sind solche Fälle eher selten. In Berlin herrscht zum einen ein friedlicher Umgang der Moscheegemeinden untereinander, und auch der Dialog mit den Gemeinden anderer Religionen findet statt.